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Das Geschäft mit abgelaufenen Süßigkeiten und falschen Etiketten


Lebensmittel zum Tiefpreis
Das Geschäft mit abgelaufenen Süßigkeiten und falschen Etiketten

  • Theresa Crysmann
InterviewVon Theresa Crysmann

Aktualisiert am 29.09.2021Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Fertiggerichte und Konserven im Regal (Symbolbild): Auch im Supermarkt enden viele Produkte im Abfall statt beim Kunden. Deutlich mehr gefährdete Lebensmittel gibt es allerdings bei den Herstellern.Vergrößern des Bildes
Fertiggerichte und Konserven im Regal (Symbolbild): Auch im Supermarkt enden viele Produkte im Abfall statt beim Kunden. Deutlich mehr gefährdete Lebensmittel gibt es allerdings bei den Herstellern. (Quelle: imago-images-bilder)

Die Preise sind verlockend niedrig, das Angebot reicht von Eistee bis zu Dosentomaten. Was im Onlineshop von Motatos landet, hätte es allerdings nie in ein Supermarktregal geschafft. Für den Betreiber ist das der wichtigste Grund, diese Ware trotzdem zu verkaufen.

Ein Karton mit 400 Tüten Gummibärchen kostet hier gerade einmal 15 Euro, der Bio-Honig kostet zwei Euro und pro Bestellung gibt es noch eine Packung Schokoladenkekse kostenlos dazu. Solche Preise sind im Onlineshop von Motatos nur möglich, weil die Lebensmittel sonst beim Hersteller im Abfall gelandet wären.

Im Interview bei t-online erklärt der Deutschlandchef von Motatos, Alexander Holzknecht, wieso viele Produkte es nicht in die Supermärkte schaffen. Und wie er Geld damit verdient, sie zu retten.

t-online: Herr Holzknecht, Ihr Onlineshop verkauft unter anderem abgelaufene Lebensmittel. Warum?

Alexander Holzknecht: Weil das Thema Lebensmittelverschwendung leider immer noch riesengroß ist. Uns geht es nicht darum, ein cooles Onlinehandel-Unternehmen zu bauen. Zu Beginn war Motatos ein Offline-Projekt eines stationären Händlers, der verstanden hatte, wie wahnsinnig es ist, dass große Mengen genießbarer Ware noch bei den Herstellern im Müll enden.

Ihnen geht es also gar nicht um die Händler, die abgelaufene Lebensmittel wegschmeißen?

Genau. Dass Ware im Supermarktregal abläuft, ist gar nicht das drängendste Problem. Aus unserer Sicht spielt sich das große Drama da ab, wo neue Ware aus der Herstellung gar nicht mehr in den Lebensmittelhandel gelangt. Das sind Produkte, die mindestens noch drei bis fünf Monate haltbar sind, aber von den Firmen als Überproduktion abgestempelt werden. An der Stelle geht Motatos rein, um das Problem anzugehen.

Wieso wird denn mehr produziert, als die Groß- und Einzelhändler überhaupt abnehmen können?

Bei Unternehmen ab einer gewissen Größe ist es absolut unmöglich, so genau zu planen, dass keine Überproduktion stattfindet und Ware zu sogenanntem "Overstock" wird. Die Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten, werden zwar immer besser darin, Planungsfehler zu vermeiden. Aber 100 Prozent Effizienz gibt es nicht.

Bei Ihnen kann also jederzeit das Telefon klingeln und ein Getränkehersteller bietet Ihnen 8.000 Flaschen Protein-Shake an?

Ja, das ist gut möglich. Planung ist tatsächlich schwierig bei uns, weil wir unsere Ware nirgendwo bestellen. Wir vertrauen einfach auf ein enges Netzwerk an Partnern. Dazu zählen inzwischen auch namhafte internationale Unternehmen. Die rufen uns an und sagen: Hey, wir haben hier ein kleines Problem. Dann nehmen wir ihnen die Ware unkompliziert und schnell ab. Aber Überproduktion ist nicht der einzige Grund, warum Hersteller uns Ware anbieten.

Welchen gibt es denn noch?

Außer "Overstock" spielen auch saisonale Effekte eine wichtige Rolle.

Sie meinen die Schoko-Weihnachtsmänner im Januar?

Genau. Das wäre die plakative Erklärung. Eigentlich geht es aber um die jahreszeitlichen Vorlieben der Verbraucherinnen und Verbraucher.

Alexander Holzknecht ist der Deutschlandchef des Onlineshops Motatos: Ein Start-up, das sich der Rettung von Lebensmitteln verschrieben hat, die in der Herstellung übrig geblieben sind oder nicht korrekt etikettiert oder abgefüllt wurden. Zuvor war Holzknecht rund zehn Jahre als Einkäufer und Manager beim Shopping-Club Brands4Friends tätig.

Das müssen Sie erklären.

Wir wissen zum Beispiel, dass die Deutschen im Sommer mehr Softdrinks konsumieren als im Winter. Die Frage ist aber: Wann fängt der Sommer an? Wie lang ist er? Wie heiß ist er dieses Jahr? Da gibt es keine völlige Planungssicherheit. 2021 war es ein eher kalter und nasser Sommer – das heißt, jetzt sind mehr Getränke verfügbar, als der Handel tatsächlich verkaufen konnte.

Läden, die stark reduzierte Produkte vertreiben, haben oftmals den Ruf, auch Mangelware zu verkaufen. Ist das bei Ihnen auch der Fall?

In unserem Sortiment gibt es B-Ware, aber das bedeutet auf keinen Fall schlechtere Qualität.

Sondern?

Beispielsweise ein falscher Schriftzug auf dem Etikett oder Fehler in der Abfüllung. Neulich hatten wir einen Bananensaft im Shop, in den versehentlich etwas Erdbeere gekommen war. Für den regulären Handel ist so ein Produkt nicht verwertbar. Bei uns schon, wir schreiben einfach einen kurzen Erklärtext dazu. Außerdem gibt es häufig Überschuss von Aktionsware: Sondergrößen und limitierte Geschmacksrichtungen. Ist der Aktionszeitraum vorbei, landet die Ware bei uns.

Das Konzept für Ihren Onlineshop zur Lebensmittelrettung gab es erst in Schweden, dann auch in Finnland und Dänemark. Wieso ist Motatos vergangenes Jahr auch in Deutschland gestartet?

Lebensmittel zu retten ist zwar ein zeitgeistiges Thema, aber Deutschland ist schon ein bisschen verschrien als Discounter-Land mit sehr aggressiver Preislandschaft. Der Start hier war deshalb die Feuertaufe, ob die Idee auf einem wirklich großen Markt funktioniert. Und das hat gut geklappt. Wir haben hier inzwischen 150.000 Kunden, das spricht für sich.

Gewinn haben Sie aber noch nicht gemacht.

Es war von Anfang an klar, dass das Ganze natürlich ein Volumengeschäft ist. Wir sind in Deutschland momentan nicht profitabel, in Skandinavien aber schon. Die Profitabilität steht auch hier auf der Agenda, aber da will ich nicht zu sehr aus dem Nähkästchen plaudern.

Mittelfristig sind Sie also auch hier auf Profit aus

Ja. Aktuell ist unsere Priorität jedoch, weiter zu wachsen.

Kritiker werfen Ihnen vor, einen Markt für Überproduktion zu schaffen, statt Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen.

Da muss ich widersprechen. Kein Hersteller kann mit uns Geld verdienen. Wenn die Optionen sind, die Ware zu vernichten oder sie zu einem kleinen, symbolischen Preis an Motatos zu geben, sind wir die bessere Lösung. Es macht keinen Sinn für Produzenten, pro-aktiv Ware für uns bereitzustellen.

Sie versprechen eine "Food Revolution" und wollen Ihre Kunden zu nachhaltigen "Klimahelden" machen. Ihr Angebot besteht aber vor allem aus Süßigkeiten, Fertigessen und Erfrischungsgetränken. Das hilft womöglich gegen Lebensmittelverschwendung, ist aber beim Thema Plastikmüll und gesunder Ernährung eher kontraproduktiv. Zerbricht da Ihre Werbestrategie?

Überhaupt nicht. Es ist nicht unsere Aufgabe, grundsätzlich das Warenangebot im Regal zu beeinflussen. Das passiert durch die Entscheidungen der Konsumentinnen und Konsumenten. Auch wenn eine Tüte Chips ökologisch nicht den allerbesten Fußabdruck hat: Wenn sie schon produziert ist, dann lasst sie uns bitte nicht wegwerfen. Das wäre doch der größte Schwachsinn.

Macht Ihr Geschäftskonzept mit gefährdeten Lebensmitteln den gemeinnützigen Organisationen wie der Tafel keine Konkurrenz?

Nein, das Risiko besteht nicht. Wir gehen bewusst an einem anderen Punkt der Lieferkette rein; direkt dort, wo der Produzent die Ware hat. Die Tafeln holen sich die Ware direkt bei den lokalen Märkten – da lassen wir ganz die Finger von. Außerdem haben solche Einrichtungen einen anderen Bedarf: Was soll die Tafel mit zwei Lkw voll Ketchup? Wenn wir trotz unserer hohen Verwertungsrate merken, dass auch bei uns etwas übrig bleibt, dann kooperieren auch wir mit der Tafel.

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Viele Supermärkte bieten Lebensmittel kurz vor dem Ablaufdatum bereits reduziert an. Ist das ein richtiger Schritt?

Definitiv. Es ist niemandem egal, dass Lebensmittel weggeworfen werden. Das sind keine leichtfertigen Entscheidungen, es fehlt einfach an guten Lösungen. Doch auch die Kunden müssen mithelfen.

Klingt, als wollten Sie die Kunden erziehen.

Die Kunden erwarten eine gewisse Qualität. Wenn sie sehen, dass ein Produkt nicht mehr lange haltbar ist, kaufen sie es nicht. Hier haben Politik und Industrie in den vergangenen 30 Jahren nicht richtig kommuniziert, was so ein Mindesthaltbarkeitsdatum eigentlich bedeutet. Daher geht es uns auch darum, zu erklären, was die Hintergründe sind. Den moralischen Zeigefinger wollen wir aber stecken lassen.

Herr Holzknecht, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Interview mit Motatos' Deutschlandchef Alexander Holzknecht
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