"Den deutschen Erziehungsstil gibt es nicht"
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Andere LΓ€nder, andere Sitten? Das gilt wohl auch beim Thema Erziehung. Aber: Laut Autorin Nathalie Weidenfeld kann man von jeder Mutter aus jedem noch so entfernten Land etwas lernen. Was, das hat sie im Interview verraten.
Kindererziehung ist ein anstrengendes Unterfangen. Wie schaffen das bloΓ andere MΓΌtter? Haben Frauen aus anderen Kulturen vielleicht besondere Tricks? Das fragte sich Autorin Nathalie Weidenfeld und hakte bei Frauen aus 33 verschiedenen LΓ€ndern nach. So sammelte sie 99 Erziehungstipps von MΓΌttern aus Polen, England, Kanada, Schweden, China, Afghanistan und vielen weiteren Nationen. Herausgekommen ist ihr neues Buch "Warum schwedische Eltern gute Laune haben und Γ€thiopische Kinder hilfsbereit sind".
Im Interview erklΓ€rt sie, warum es keinen typisch deutschen Erziehungsstil gibt, welche Erfahrungen mit Vorurteilen sie bei der Recherche fΓΌr ihr Buch gemacht hat und verrΓ€t, welchen der Erziehungstipps sie selbst nun oft anwendet.
t-online.de: In ihrem Buch kommen Frauen aus vielen verschiedenen LΓ€ndern zu Wort und geben Erziehungstipps. Was ist Ihrer Meinung nach typisch fΓΌr deutsche Eltern?
Nathalie Weidenfeld: Den eindeutigen deutschen Erziehungsstil gibt es nicht, zumal wir in Deutschland ein bisschen zwischen Alt-68er und NeoautoritΓ€t Γ la Winterhoff gefangen sind. Vielleicht ist das das typisch deutsche Problem: dass wir ein bisschen unsicher sind und nicht wissen was besser ist β eine liberale, eher tolerante Erziehung oder eine strenge, regelbasierte.
Als Tochter einer FranzΓΆsin und eines Deutschen sind sie mit zwei Sprachen und Kulturen aufgewachsen. Hat sich das in der Erziehung, die sie Ihren Kindern zukommen lassen, niedergeschlagen?
FΓΌr mein Buch hΓ€tte ich mich natΓΌrlich auch selbst als FranzΓΆsin interviewen kΓΆnnen. Aber das habe ich nicht gemacht, weil ich hier sozialisiert, also hier aufgewachsen bin. Und weil ich meinen Kindern daher wohl eine tendenziell deutsche Erziehung angedeihen lasse β was immer das auch ist. Sonst wΓ€re ich vermutlich viel strenger mit meinen Kindern. Denn das Klischee stimmt schon, dass franzΓΆsische MΓΌtter ein wenig rigider sind.
Nathalie Weidenfeld, Jahrgang 1970, ist Mutter von drei Kindern (6, 13 und 15 Jahre alt). Die Autorin und promovierte Kulturwissenschaftlerin wurde in Frankreich geboren und wuchs zweisprachig in Deutschland auf.
Warum gibt es Unterschiede, wie Eltern in verschiedenen LΓ€ndern erziehen?
Das hat mit den kulturellen PrΓ€gungen jedes Landes zu tun, auch mit der Religion und den Traditionen. Daraus entstehen ganz unterschiedliche Werte, die sich niederschlagen. Das SchΓΆne ist aber, dass MΓΌtter bei all den Unterschieden β und ich habe Frauen aus allen mΓΆglichen Ecken der Welt und auch aus allen sozialen Schichten interviewt β die gleichen Ziele und die gleichen Probleme haben. Auch wenn sie dann unterschiedliche Methoden anwenden, wie mit den Problemen umzugehen ist. Deshalb kann man mit jedem Tipp aus jedem noch so entfernten Land etwas anfangen.
Wie sind Sie an Ihre GesprΓ€chspartner rangekommen, kannten sie die Frauen alle vorher?
Ein paar, allerdings sehr wenige, stammen aus meinem Freundeskreis. Die restlichen Frauen habe ich ΓΌber private Kontakte organisiert. Interessanterweise waren alle Frauen erstaunlich offen.
Hatten Sie vorher etwas anderes erwartet?
Ja, es hat mich ΓΌberrascht. SchlieΓlich handelt es sich um ein sehr intimes Thema, ΓΌber das viel geschwiegen wird. Es hat mit so vielen persΓΆnlichen, aufwΓΌhlenden Dingen zu tun, das teilt man nicht unbedingt gerne. Aber in dieser Konstellation lief das wunderbar. Mein persΓΆnliches Fazit ist: MΓΌtter sollten sich noch viel mehr ΓΌber diese Dinge austauschen. Gemeinsam lachen, ihr Leid teilen. Niemand versteht eine Mutter schlieΓlich besser als eine andere Mutter.
Sie haben gerade erwΓ€hnt, dass das Thema ein bisschen heikel ist. Haben die Frauen denn vielleicht auch Tipps gegeben, die Sie gar nicht nachvollziehen konnten?
Das gab es einmal: Das war eine Dame, die ich eigentlich kannte, die aber mittlerweile zu einer religiΓΆsen Sekte ΓΌbergetreten ist. Sie hat gesagt: "Halt dich einfach an die Bibel." Sie selbst lΓ€sst ihre Kinder kaum mit anderen Kindern, die nicht zu dieser Sekte gehΓΆren, spielen. Das ist ein Tipp, den ich nicht fΓΌr wahnsinnig sinnvoll halte. Deshalb habe ich das GesprΓ€ch mit ihr ohne zu zΓΆgern rausgenommen.
Sie sind Mutter von drei Kindern. Gab es auf der anderen Seite einen Tipp, den sie selbst sofort umgesetzt haben?
Ja, absolut, sogar einige. Eine tΓΌrkische Mutter zum Beispiel, die berufstΓ€tig ist, hat ganz erfrischender Weise gesagt: "Was ist eigentlich wichtiger: ein aufgerΓ€umtes Wohnzimmer oder glΓΌckliche Kinder?" Dieser Satz ist mir irgendwie hΓ€ngengeblieben. Immer, wenn das Wohnzimmer jetzt schrecklich aussieht und ich denke, ich hΓ€tte keine Zeit, mit meinem Kind etwas zu machen, denke ich mir: Ist doch wurscht, lass das liegen und stress dich nicht.
Stichwort Vorurteile: Gab es auch Tipps, bei denen Sie im Vorhinein gedacht hΓ€tten, dass diese vielleicht von anderen GesprΓ€chspartnerinnen kommen wΓΌrden?
Ja, manche Vorurteile wurden vΓΆllig ΓΌber den Haufen geworfen. Die Japanerin, mit der ich gesprochen habe, hat mir etwa anvertraut, wie sehr sie sich immer ΓΌber die Strenge der Deutschen mit kleinen Kindern wundert. Vor allem was die Themen SΓΌΓigkeiten und Schlafen betrifft. Dabei wΓΌrde man doch bei Japanern erwarten, dass sie besonders streng zu ihren Kindern sind. Oder die chinesische Mutter, die sagte, sie komme sich in Deutschland langsam vor wie in China: "Die sind hier ja genauso besessen vom schulischen Erfolg und vom Gymnasium!"
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Sie haben nur einen einzigen Mann in ihrem Buch befragt. Und das auch nur, weil seine Frau bei dem kranken Kind zuhause war. Warum haben Sie hauptsΓ€chlich MΓΌtter befragt?
Erstens gibt es nicht so viele HausmΓ€nner. Und zweitens interessiert mich als Mutter mehr, wie eine Mutter das macht. Ich denke, MΓ€nner gehen anders mit ihren Kindern um. Was nicht heiΓen soll, dass man bei diesem Thema nicht auch von MΓ€nnern etwas lernen kann. Aber das wΓ€re dann ein Thema fΓΌr ein anderes Buch.
Danke fΓΌr das GesprΓ€ch, Frau Weidenfeld.
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- Lerne loszulassen, auch wenn es dir schwerfΓ€llt β deine Kinder werden ihre eigenen Fehler machen. (Elea aus Israel)
- Vertraue deinem Kind und ermutige es, sein Leben selbst zu organisieren und Verantwortung fΓΌr euer gemeinsames Leben zu ΓΌbernehmen. (Astrid aus Schweden)
- Lebe das vor, was du von deinen Kindern verlangst. (Anne aus Holland)