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Autorin Nathalie Weidenfeld: "Den deutschen Erziehungsstil gibt es nicht"


Erziehungstipps aus aller Welt
"Den deutschen Erziehungsstil gibt es nicht"

  • Claudia Zehrfeld
InterviewEin Interview von Claudia Hamburger

05.08.2019Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Nathalie Weidenfeld: Die promovierte Kulturwissenschaftlerin schreibt Sachbücher und Romane.Vergrößern des Bildes
Nathalie Weidenfeld: Die promovierte Kulturwissenschaftlerin schreibt Sachbücher und Romane. (Quelle: Diane von Schön)

Andere Länder, andere Sitten? Das gilt wohl auch beim Thema Erziehung. Aber: Laut Autorin Nathalie Weidenfeld kann man von jeder Mutter aus jedem noch so entfernten Land etwas lernen. Was, das hat sie im Interview verraten.

Kindererziehung ist ein anstrengendes Unterfangen. Wie schaffen das bloß andere Mütter? Haben Frauen aus anderen Kulturen vielleicht besondere Tricks? Das fragte sich Autorin Nathalie Weidenfeld und hakte bei Frauen aus 33 verschiedenen Ländern nach. So sammelte sie 99 Erziehungstipps von Müttern aus Polen, England, Kanada, Schweden, China, Afghanistan und vielen weiteren Nationen. Herausgekommen ist ihr neues Buch "Warum schwedische Eltern gute Laune haben und äthiopische Kinder hilfsbereit sind".

Im Interview erklärt sie, warum es keinen typisch deutschen Erziehungsstil gibt, welche Erfahrungen mit Vorurteilen sie bei der Recherche für ihr Buch gemacht hat und verrät, welchen der Erziehungstipps sie selbst nun oft anwendet.

t-online.de: In ihrem Buch kommen Frauen aus vielen verschiedenen Ländern zu Wort und geben Erziehungstipps. Was ist Ihrer Meinung nach typisch für deutsche Eltern?

Nathalie Weidenfeld: Den eindeutigen deutschen Erziehungsstil gibt es nicht, zumal wir in Deutschland ein bisschen zwischen Alt-68er und Neoautorität à la Winterhoff gefangen sind. Vielleicht ist das das typisch deutsche Problem: dass wir ein bisschen unsicher sind und nicht wissen was besser ist – eine liberale, eher tolerante Erziehung oder eine strenge, regelbasierte.

Als Tochter einer Französin und eines Deutschen sind sie mit zwei Sprachen und Kulturen aufgewachsen. Hat sich das in der Erziehung, die sie Ihren Kindern zukommen lassen, niedergeschlagen?

Für mein Buch hätte ich mich natürlich auch selbst als Französin interviewen können. Aber das habe ich nicht gemacht, weil ich hier sozialisiert, also hier aufgewachsen bin. Und weil ich meinen Kindern daher wohl eine tendenziell deutsche Erziehung angedeihen lasse – was immer das auch ist. Sonst wäre ich vermutlich viel strenger mit meinen Kindern. Denn das Klischee stimmt schon, dass französische Mütter ein wenig rigider sind.

Nathalie Weidenfeld, Jahrgang 1970, ist Mutter von drei Kindern (6, 13 und 15 Jahre alt). Die Autorin und promovierte Kulturwissenschaftlerin wurde in Frankreich geboren und wuchs zweisprachig in Deutschland auf.

Warum gibt es Unterschiede, wie Eltern in verschiedenen Ländern erziehen?

Das hat mit den kulturellen Prägungen jedes Landes zu tun, auch mit der Religion und den Traditionen. Daraus entstehen ganz unterschiedliche Werte, die sich niederschlagen. Das Schöne ist aber, dass Mütter bei all den Unterschieden – und ich habe Frauen aus allen möglichen Ecken der Welt und auch aus allen sozialen Schichten interviewt – die gleichen Ziele und die gleichen Probleme haben. Auch wenn sie dann unterschiedliche Methoden anwenden, wie mit den Problemen umzugehen ist. Deshalb kann man mit jedem Tipp aus jedem noch so entfernten Land etwas anfangen.

Wie sind Sie an Ihre Gesprächspartner rangekommen, kannten sie die Frauen alle vorher?

Ein paar, allerdings sehr wenige, stammen aus meinem Freundeskreis. Die restlichen Frauen habe ich über private Kontakte organisiert. Interessanterweise waren alle Frauen erstaunlich offen.

Hatten Sie vorher etwas anderes erwartet?

Ja, es hat mich überrascht. Schließlich handelt es sich um ein sehr intimes Thema, über das viel geschwiegen wird. Es hat mit so vielen persönlichen, aufwühlenden Dingen zu tun, das teilt man nicht unbedingt gerne. Aber in dieser Konstellation lief das wunderbar. Mein persönliches Fazit ist: Mütter sollten sich noch viel mehr über diese Dinge austauschen. Gemeinsam lachen, ihr Leid teilen. Niemand versteht eine Mutter schließlich besser als eine andere Mutter.

Sie haben gerade erwähnt, dass das Thema ein bisschen heikel ist. Haben die Frauen denn vielleicht auch Tipps gegeben, die Sie gar nicht nachvollziehen konnten?

Das gab es einmal: Das war eine Dame, die ich eigentlich kannte, die aber mittlerweile zu einer religiösen Sekte übergetreten ist. Sie hat gesagt: "Halt dich einfach an die Bibel." Sie selbst lässt ihre Kinder kaum mit anderen Kindern, die nicht zu dieser Sekte gehören, spielen. Das ist ein Tipp, den ich nicht für wahnsinnig sinnvoll halte. Deshalb habe ich das Gespräch mit ihr ohne zu zögern rausgenommen.

Sie sind Mutter von drei Kindern. Gab es auf der anderen Seite einen Tipp, den sie selbst sofort umgesetzt haben?

Ja, absolut, sogar einige. Eine türkische Mutter zum Beispiel, die berufstätig ist, hat ganz erfrischender Weise gesagt: "Was ist eigentlich wichtiger: ein aufgeräumtes Wohnzimmer oder glückliche Kinder?" Dieser Satz ist mir irgendwie hängengeblieben. Immer, wenn das Wohnzimmer jetzt schrecklich aussieht und ich denke, ich hätte keine Zeit, mit meinem Kind etwas zu machen, denke ich mir: Ist doch wurscht, lass das liegen und stress dich nicht.

Stichwort Vorurteile: Gab es auch Tipps, bei denen Sie im Vorhinein gedacht hätten, dass diese vielleicht von anderen Gesprächspartnerinnen kommen würden?

Ja, manche Vorurteile wurden völlig über den Haufen geworfen. Die Japanerin, mit der ich gesprochen habe, hat mir etwa anvertraut, wie sehr sie sich immer über die Strenge der Deutschen mit kleinen Kindern wundert. Vor allem was die Themen Süßigkeiten und Schlafen betrifft. Dabei würde man doch bei Japanern erwarten, dass sie besonders streng zu ihren Kindern sind. Oder die chinesische Mutter, die sagte, sie komme sich in Deutschland langsam vor wie in China: "Die sind hier ja genauso besessen vom schulischen Erfolg und vom Gymnasium!"

Sie haben nur einen einzigen Mann in ihrem Buch befragt. Und das auch nur, weil seine Frau bei dem kranken Kind zuhause war. Warum haben Sie hauptsächlich Mütter befragt?

Erstens gibt es nicht so viele Hausmänner. Und zweitens interessiert mich als Mutter mehr, wie eine Mutter das macht. Ich denke, Männer gehen anders mit ihren Kindern um. Was nicht heißen soll, dass man bei diesem Thema nicht auch von Männern etwas lernen kann. Aber das wäre dann ein Thema für ein anderes Buch.

Danke für das Gespräch, Frau Weidenfeld.

Fünf Erziehungstipps aus aller Welt

  1. Das Wichtigste ist nicht, ein aufgeräumtes Haus, sondern eine gute Atmosphäre zu haben. (Tamara aus der Türkei)
  2. Hab Verständnis für deine pubertierenden Kinder und denk daran: Ihr Hirn befindet sich bis zum einundzwanzigsten Lebensjahr im Umbau! (Daria aus Polen)
  3. Lerne loszulassen, auch wenn es dir schwerfällt – deine Kinder werden ihre eigenen Fehler machen. (Elea aus Israel)
  4. Vertraue deinem Kind und ermutige es, sein Leben selbst zu organisieren und Verantwortung für euer gemeinsames Leben zu übernehmen. (Astrid aus Schweden)
  5. Lebe das vor, was du von deinen Kindern verlangst. (Anne aus Holland)
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