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Erdbebengefahr in den Alpen: Forscher warnen vor Schmelzwassereffekt


Schmelzwasser und seine Folgen
Wissenschaftliche Studie: Erdbebengefahr in den Alpen steigt

Von t-online, dom

05.07.2025 - 13:53 UhrLesedauer: 3 Min.
Grandes Jorasses und Mont-Blanc-Massiv spiegeln sich in einem Bergsee: Wissenschaftler haben jetzt Belege für eine Erdbebentheorie gefunden.Vergrößern des Bildes
Grandes Jorasses und Mont-Blanc-Massiv spiegeln sich in einem Bergsee: Wissenschaftler haben jetzt Belege für eine Erdbebentheorie gefunden. (Quelle: imageBROKER/Moritz Wolf via www.imago-images.de)
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Seit 2015 verzeichnen Forscher eine Serie von Tausenden kleinen Erdbeben in den Alpen. Warum entstehen sie und sind die Beben Vorboten einer großen Katastrophe?

Der Klimawandel verschärft viele Naturgefahren, darunter Dürren, Hitzewellen und Sturmfluten. Nun ist eine neue hinzugekommen: Erdbeben. Forschende um die Seismologin Verena Simon vom Schweizerischen Erdbebendienst an der ETH Zürich haben herausgefunden, dass die globale Erwärmung das Abschmelzen von Gipfelgletschern beschleunigt. Das dabei entstehende Schmelzwasser, das in den Untergrund sickert, erhöht das Risiko schwerer Erdbeben, so die Wissenschaftler in einer aktuellen Studie.

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"Erhöht die Gefährdung dramatisch"

Daten und Belege des Forschungsteams stammen von unterhalb der Grandes Jorasses, einem von Gletschern bedeckten Gipfel im Mont-Blanc-Massiv, in dem sich die höchsten Berge Westeuropas befinden. Präzise seismische Messungen zeigen demnach, dass eine Hitzewelle im Jahr 2015 eine Welle kleiner Erdbeben unter dem Berg auslöste. Obwohl diese Beben selbst keinen Schaden anrichteten, sei bekannt, dass die Wahrscheinlichkeit größerer Beben steigt, wenn kleinere häufiger auftreten.

"Das erhöht die Gefährdung dramatisch", sagt Toni Kraft, Seismologe an der ETH Zürich und Mitautor der neuen Studie, die in der Fachzeitschrift "Earth and Planetary Science Letters" erschienen ist.

Wissenswert

Der Mont Blanc liegt an der Grenze zwischen Frankreich und Italien. Er ist mit 4805,59 Metern Höhe der höchste Berg der Alpen.

Seit Jahrzehnten wüssten Wissenschaftler, dass Wasser, das unter dem Druck kilometerdicker Gesteinsschichten steht, eine Schlüsselrolle bei der Auslösung von Erdbeben spielt. Wenn Wasser in die Porenräume von Gesteinen eindringt, könne der dabei entstehende Druck Kräfte neutralisieren, die Verwerfungen im Gestein eigentlich zusammenhalten — so komme es zum Abrutschen.

Auch in anderen Gegenden der Welt werden solche Phänomene beobachtet. So wird etwa davon ausgegangen, dass Bewegungen an einer sogenannten Störungslinie (Bruch- oder Versatzstelle in Gesteinsschichten) in Osttaiwan saisonal mit dem Niederschlag schwanken. Im Jahr 2003 hatte es hier ein Erdbeben der Stärke 6,8 gegeben.

Klarer saisonaler Trend in den Alpen

Bisher habe es keinen eindeutigen Nachweis für einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Erdbeben gegeben, sagte Kwanghee Kim, Seismologe an der Pusan National University in Südkorea dem Portal. Mit der neuen Arbeit der Schweizer Forscher ändere sich das.

Im Mont-Blanc-Gebiet zeigen vorhandene Aufzeichnungen bereits einen klaren saisonalen Trend: Kleine Beben häufen sich meist im Spätsommer, wenn Schmelzwasser von den Gletschern in das Gestein eindringt, und gehen im Frühjahr wieder zurück. Kraft und sein Team wollten darüber hinaus herausfinden, ob der Klimawandel auch einen längerfristigen Trend antreibt. "Das Ziel ist, einen möglichst unverzerrten Blick auf die seismische Aktivität zu bekommen", sagt er.

Mehr als 12.000 kleine Beben aufgezeichnet

In den Daten des nächstgelegenen hochwertigen Seismometers, das 2006 etwa 13 Kilometer südlich des Bergs installiert wurde, fanden die Wissenschaftler Antworten. Das Gerät hatte demnach mehr als 12.000 sehr kleine Erdbeben aufgezeichnet, die bislang übersehen wurden. Das Katalogmaterial zeigte ab 2015, nach einer extremen Hitzewelle, einen deutlichen Anstieg in Stärke und Häufigkeit der Erschütterungen, erklärt Verena Simon, Hauptautorin der ETH-Studie.

Die Forschenden überprüften zudem Wetterdaten anderer Jahre. Dabei stellten sie fest, dass stärkere Hitzewellen offenbar größere Sprünge bei der Seismizität verursachten – allerdings verzögert: flache Beben um ein Jahr, tiefe Beben (bis sieben Kilometer Tiefe) um zwei Jahre.

Ist der Mont-Blanc-Tunnel sicher?

In dem elf Kilometer langen Mont-Blanc-Tunnel zwischen Chamonix (Frankreich) und dem Aostatal (Italien) hatte sich schon früher gezeigt, wie leicht Wasser durch das Innere der Bergmassive fließen kann. Beim Tunnelbau in den frühen 1960er Jahren kam es wiederholt zu Wassereinbrüchen. Zudem zeigte der Tunnel zahlreiche Verwerfungen, die durch die Kollision der Erdplatten entstanden sind, die die Alpen einst formten.

Das seismische Verhalten der Alpen sei kompliziert, sagte Philippe Vernant, Geodynamiker an der Universität Montpellier, in der "Science". Er gibt zu bedenken, dass auch andere Faktoren eine Rolle spielen könnten. Zum Beispiel könnte der Erdbebenschub eine verspätete Reaktion auf den Bau des Mont-Blanc-Tunnels sein, der das Wassersystem im Gebirge verändert habe.

Die ETH-Forscher betonen, dass von den klimabedingten Beben keine Gefahr für den Tunnel oder umliegende Ortschaften ausgeht. Insgesamt könnten die Alpen Erdbeben bis zur Stärke 6 erleben – die Infrastruktur sei dafür ausgelegt. Doch in anderen Gebirgen wie dem Himalaja, wo deutlich größere Beben vorkommen und viele Gletscher abschmelzen, könnte derselbe Mechanismus größere Folgen haben.

Verwendete Quellen
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