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- Erntebilanz 2022 - Die deutsche Landwirtschaft hängt am seidenen Faden


Dürresommer
Die Angst erntet mit

  • Theresa Crysmann
Von Theresa Crysmann

Aktualisiert am 24.08.2022Lesedauer: 5 Min.
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Ein Mähdrescher bei der Getreideernte: Die Erträge weisen in diesem Jahr große regionale Unterschiede auf. In Sachsen-Anhalt sind die Ausfälle besonders schlimm.Vergrößern des Bildes
Ein Mähdrescher bei der Getreideernte: Die Erträge weisen in diesem Jahr große regionale Unterschiede auf. In Sachsen-Anhalt sind die Ausfälle besonders schlimm. (Quelle: IMAGO)

Vielen Bauern sitzt die Furcht im Nacken: Wie schlimm trifft die diesjährige Dürre die deutschen Ernten? Eine erste Bilanz überrascht.

Auf dem Land ist der Sommer vor allem eines: harte Arbeit. Gerste, Roggen, Weizen und Raps stehen goldgelb auf den Feldern. Es sind Wochen, in denen Bauern und Erntehelfer kaum vom Mähdrescher herunterkommen, häufig fahren sie auch nachts. Doch allein sind viele in ihren Fahrerkabinen nicht – eine große Sorge ist stets mit dabei.

Wie viele Tonnen kommen dieses Jahr zusammen, wenn der letzte Korntank geleert ist? Seitdem 2018, 2019 und 2020 drei Dürrejahre aufeinanderfolgten, ist aus dieser Standard- eine Angstfrage geworden.

Jetzt, wenn der Deutsche Bauernverband im August die jährliche Erntebilanz bekannt gibt, ist auf den einzelnen Höfen zwar längst klar, ob sie am Jahresende eher rote oder doch schwarze Zahlen schreiben werden. Dennoch sagt nichts mehr über die generelle Lage der deutschen Landwirte zwischen Bodensee und Stettiner Haff aus als die Rechenschieber von Bauernpräsident Joachim Rukwied.

Besser als erwartet, doch Negativtrend hält an

Das Ergebnis, das der Bauernverband am Dienstag in Berlin verkündete: Rund 43 Millionen Tonnen Getreide haben die Äcker in Deutschland bisher abgeworfen – der Großteil davon Weizen, "die wichtigste Kultur hier in Deutschland", so Rukwied. Trotz anhaltender Dürre in vielen Teilen der Republik sind davon immerhin 22 Millionen Tonnen zusammengekommen. Noch vor wenigen Tagen fürchtete man im Verband deutlich geringere Gesamterträge.

Letztlich wurde es sogar zwei Prozent mehr als im vergangenen Jahr. 2021 fuhren die Landwirte rund 42 Millionen Tonnen Getreide ein.

Doch auch wenn die Katastrophe ausblieb: Die Ackerwirtschaft ist angeschlagen. Trotz leichtem Plus im Vergleich zum Vorjahr liegt die Getreideausbeute in diesem Jahr laut Bauernverband rund 6 Prozent unter dem Durchschnitt der vergangenen acht Jahre (45,6 Millionen Tonnen) – wobei das extreme Dürrejahr 2018 hier bereits herausgerechnet ist und den Schnitt nicht nach unten zieht.

Beim Winterraps, der bedeutendsten Ölfrucht auf deutschen Feldern, lief es mit 4 Millionen Tonnen zwar ebenfalls etwas besser als im Vorjahr (2021: 3,5 Millionen Tonnen). Doch auch diese Ertragszahl reicht nicht an die Mengen heran, die über viele Jahre in Ölmühlen und Futtertrögen landeten.

Massive Unterschiede bei Niederschlägen

Zudem betonte Rukwied: Die Ernte fällt je nach Ort zum Teil sehr unterschiedlich aus. Während die deutschlandweite Bilanz von der diesjährigen Dürre eher nur ein blaues Auge trägt, sind die Ernteausfälle in einzelnen Regionen verheerend.

So sei die Ernte in den nördlichen Bundesländern und Teilen von Nordrhein-Westfalen sowie im Alpenvorland dank ausreichender Regenmengen teils überdurchschnittlich gewesen. Mitteldeutschland und vor allem Sachsen-Anhalt hätten hingegen massive dürrebedingte Ausfälle zu beklagen. Dabei galt die Börde jahrhundertelang als die Kornkammer der Republik.

"Dort fehlen nach wie vor die Niederschläge und wir müssen auch bei den Herbstkulturen mit erheblichen Einbußen rechnen", mahnte Rukwied. Die Situation auf den Höfen sei daher sehr ernst – wegen Ernteausfällen bei Futterpflanzen hätten einige Viehhalter bereits begonnen, Winterreserven zu verfüttern.

Der Bauernverbandspräsident geht davon aus, dass solche Witterungsmuster sich verstetigen werden. Damit folgt er gut belegten Vorhersagen aus der Klimaforschung, die als Folge der menschengemachten Klimakrise eine Zunahme an Extremwetterereignissen prognostizieren. Dürren sind dabei besonders prominent vertreten; vor allem im Sommer nimmt schon jetzt die Zahl aufeinanderfolgender Trockentage zu.

"Wir stellen uns schon seit Jahren auf die Klimaveränderung ein", so Rukwied. Vor allem Pflanzensorten, die Hitze und Trockenheit besser widerstehen können, seien vielversprechend. Doch die wachsende Unberechenbarkeit des Wetters sei eine zusätzliche Herausforderung: "Wenn Sie den Anbau für das kommende Jahr auf trocken-heiß geplant haben und dann ist es trocken-kühl, haben Sie im Prinzip alles falsch gemacht." Für die Klimakrise fehlt den Bauern das Patentrezept.

Joachim Rukwied sorgt diese Entwicklung. Besonders mit Blick auf die Ernährungssicherheit.

Pessimistische Prognosen

"In Summe bleibt die Versorgungslage weiter angespannt", mahnte der Verbandspräsident. Gerade beim Weizen müsse man in Europa, aber auch auf dem Weltmarkt, damit rechnen, dass mehr verbraucht werde, als die Landwirte erzeugen könnten. Gerade die kriegsbedingten Ernteausfälle in der Ukraine, in Friedenszeiten der zweitwichtigste Weizenproduzent weltweit, spielen hier wohl eine Rolle. Die Belastung durch Hitzewellen und Dürre in fast allen EU-Staaten kommt hinzu.

Konkret auf die Lebensmittelsicherung für Deutschland angesprochen, ruderte Rukwied jedoch etwas zurück: Seriös lasse sich nicht weiter vorgreifen als bis zum ersten Quartal des nächsten Jahres. "Bis dorthin ist die Ernährungssicherheit aus unserer Sicht gewährleistet. Wir sind auch in der Lage, uns mit den wichtigsten Grundnahrungsmitteln, beispielsweise mit Weizen für Brot, selbst zu versorgen." Alles, was über diesen absehbaren Zeitraum hinausgehe, sei jedoch offen.

Denn wie die Ackerfrüchte im kommenden Jahr gedeihen, hängt unter anderem stark davon ab, wie verfügbar Düngemittel sein werden. Kurz: wie teuer es für die Bauern wird, um ihren Pflanzen ausreichend Nährstoffe zuzuführen.

Zur Veranschaulichung rechnete Rukwied am Dienstag vor, wie sich die Kosten für einen beliebten Stickstoffdünger bereits im vergangenen Jahr sprunghaft in die Höhe geschraubt hätten: Innerhalb weniger Wochen sei der Preis pro Tonne Kalkammonsalpeter von 175 Euro im Februar auf 920 Euro für dieselbe Menge im März geklettert.

Gesetzliche Änderungen als Existenzbedrohung

Für den Interessenverband der Landwirte hängt die Prognose für Deutschland aber auch stark mit bevorstehenden rechtlichen Änderungen in der Bundesrepublik und auf EU-Ebene zusammen. So will die Europäische Kommission den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln bis 2030 um die Hälfte reduzieren, in Naturschutzgebieten sollen sie ganz verboten werden. Der Bauernverband fürchtet, dass ein solches Anwendungsverbot allein in Deutschland mehr als drei Millionen Hektar Ackerland betreffen könne.

Dass jeder Betrieb außerdem spätestens ab 2024 vier Prozent seiner Anbauflächen stilllegen soll, um die Artenvielfalt zu fördern, führt laut Joachim Rukwied in eine Sackgasse: "Wir wären als deutsche Landwirte nicht mehr in der Lage, unsere Bevölkerung satt zu bekommen!" Das sei den Entscheidungsträgern in Brüssel aber aktuell nicht zu vermitteln. Und auch für die Bundesregierung hagelte es Kritik – angesichts des deutschen Mindestlohns für Saisonkräfte könnten die heimischen Erzeuger nicht mit der Konkurrenz aus Nachbarländern mithalten.

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Viele Spargelfelder seien in diesem Jahr nicht einmal abgeerntet worden – kein Spargelbauer könne hier mit italienischem Spargel für drei Euro pro Kilo konkurrieren. Ähnlich schwierig sei die Erdbeersaison gewesen. Allein in Baden-Württemberg sei die Anbaufläche für die Beeren innerhalb eines Jahres um knapp ein Viertel zusammengeschrumpft – das Geschäft scheint sich nicht zu rentieren.

Mit Blick auf die beschlossene Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde im Oktober forderte Rukwied eine europäische Lösung: "Wir brauchen schnellstens einen europäischen Mindestlohn auf gleichem Niveau. Sonst können wir als deutsche Betriebe im Wettbewerb schlichtweg nicht mithalten."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Pressekonferenz des Deutschen Bauernverbandes zur Erntebilanz 2022 (23.08.2022)
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