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Klimaschutz und Energiewende: Eine Frage, die unsere Zukunft entscheidet


"Der Rotmilan braucht den Stromanschluss nicht"


21.08.2022Lesedauer: 7 Min.
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Proteste für Windkraftausbau in Berlin (Symbolbild): Die Ampel will die Energiewende schaffen und gleichzeitig die Natur schützen. Geht das?Vergrâßern des Bildes
Proteste fΓΌr Windkraftausbau in Berlin (Symbolbild): Die Ampel will die Energiewende schaffen und gleichzeitig die Natur schΓΌtzen. Geht das? (Quelle: Andreas Friedrichs via www.imago-images.de)

Deutschland will die Energiewende schaffen und das Klima schΓΌtzen, gleichzeitig die Vielfalt der Natur retten. Geht das – und was hat im Zweifel Vorrang?

"Der Schreiadler stellt sich nicht an die B109 und hΓ€lt Pappschilder hoch", sagt Jens Funk. "Der Kranich macht so etwas auch nicht."

Funk kommt aus Ferdinandshof, einer kleinen Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern. Er hÀlt dort Mahnwachen an der Bundesstraße, die über Anklam Richtung Greifswald führt. DemnÀchst werden er und seine Mitstreiter 190 Mal dort gestanden haben. Sie kommen von der Bürgerinitiative "Freie FriedlÀnder Wiese", benannt nach einem großen Niedermoorgebiet.

Dort sollen Windkraftanlagen gebaut werden, was bei den Anwohnern auf Gegenwehr stâßt: "Wir versuchen hier, unserem StΓΌckchen Natur eine Stimme zu geben", sagt Funk. "Die FriedlΓ€nder Wiese ist eine der wenigen Ecken, in denen der Schreiadler vorkommt – noch." Die FlΓ€che sei außerdem ein IBA-Gebiet, eine "Important Bird Area". So werden RΓ€ume bezeichnet, die vom Verband "BirdLife international" als wichtig fΓΌr den Vogelschutz eingeschΓ€tzt werden.

Auch ein staatlich in Auftrag gegebenes Gutachten spricht von der FriedlÀnder Wiese als einem Raum mit "hoher internationaler Bedeutung" für den Vogelzug im Herbst. Der Nabu Mecklenburg-Vorpommern sagt: Über die FriedlÀnder Wiese zâgen ab September an die 100.000 GÀnse und Zigtausende Kraniche. Das Gebiet sei eine wichtige RaststÀtte auf dem Weg in die Überwinterungsgebiete und essenziell für die Nahrungssuche.

Außerdem überwinterten eine Reihe von Greifvogelarten hier. Funk und seine Mitstreiter gehen deshalb auf die Straße: "Wenn diese Arten einmal verdrÀngt oder ausgestorben sind, kriegen wir sie nicht wieder. Die sind dann weg. Ein für alle Mal weg."

Naturschutz beißt ambitionierten Windkraftausbau – ein einfaches Bild

Ferdinandshof ist kein Einzelfall in Deutschland. Der Natur- und Artenschutz beißt sich vielerorts mit dem Vorhaben, die Energiewende voranzutreiben. Am deutlichsten wird das bei WindkraftrΓ€dern. Wo sie entstehen sollen, sind schon die VΓΆgel – und sollen es auch bleiben: Ein unlΓΆsbarer Konflikt, so scheint es. Die AfD versucht dieses Narrativ zu etablieren: In mehreren AntrΓ€gen ihrer Bundestagsfraktion ist zu lesen, Naturschutz und Klimaschutz stΓΌnden im "Widerspruch" zueinander.

Beispiele lassen sich genΓΌgend finden, bei denen der Windkraftausbau aus GrΓΌnden des Naturschutzes verlangsamt oder gar verhindert wurde. So geschah es in Zossen in Brandenburg, Dahlem in Nordrhein-Westfalen oder Pfaffenhofen in Bayern. Proteste, Klagen und Petitionen von NaturschΓΌtzern gegen ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen wirken zunΓ€chst wie ein Bruderkrieg unter Weltrettern – auch wenn der Artenschutz zum Teil auch als Vehikel genutzt wird, damit die MΓΌhlen bloß nicht vor der eigenen HaustΓΌr errichtet werden. Der Windkraftausbau endet so oder so oft als ein Gezanke zwischen Klima-Kipppunkten und MΓ€usebussarden.

Dabei haben Natur- wie Klimaschützer doch eigentlich eins gemeinsam: Sie wollen den Planeten vor Schaden bewahren. Ist es also wirklich der Naturschutz, der dem Windkraftausbau im Weg steht? Deutschlands grâßte NaturschutzverbÀnde jedenfalls sehen die Schuld nicht bei sich. Sie verweisen auf Strukturen im System.

(Quelle: IMAGO/Joerg Boethling)

Windkraftausbau in Deutschland

Der Ausbau von Windenergie stockt. Im ersten Halbjahr wurden in Deutschland 311 neue Windkraftanlagen genehmigt. Das ist ein RΓΌckgang zum vergangenen Jahr. Nach Angaben des Bundesministeriums fΓΌr Wirtschaft und Klimaschutz mΓΌssten hierzulande jΓ€hrlich 1.000-1.500 neue Anlagen errichtet werden, um die festgelegten Klimaschutzziele einzuhalten. Besonders schlecht steht es um den Ausbau in Bayern und Sachsen: Hier wurden in der ersten JahreshΓ€lfte laut SWR jeweils weniger als fΓΌnf WindrΓ€der genehmigt.

"Wir klagen da, wo Naturschutz ΓΌberrannt wurde"

Nachfrage bei Caroline Gebauer. Sie ist beim Naturschutzbund BUND Leiterin fΓΌr Energie- und nationale Klimapolitik. "Wir sehen Windkraft an Land als eine Leitenergie der Zukunft. Deswegen sind wir ganz klar fΓΌr einen Windkraftausbau – nur eben natur- und sozialvertrΓ€glich", sagt sie t-online.

FΓΌr sie gibt es keinen Konflikt zwischen dem Natur- und dem Artenschutz. Man habe Studien anfertigen lassen, die zeigten: "Es ist ganz unproblematisch mΓΆglich, ein bis drei Prozent der LandesflΓ€che pro Bundesland auszuweisen." Besonders wichtig: Dies ginge auch mit Naturschutz, weil es theoretisch genΓΌgend FlΓ€chen gebe, die einen konfliktfreien Windkraftausbau erlaubten.

NatΓΌrlich: Infrastruktur bedeute immer auch Eingriffe in die Natur. Aber: "Was ist die Alternative? Die Alternative, vor der wir stehen, sind fossile EnergietrΓ€ger. Da sind die Eingriffe in die Natur gravierend hΓΆher."

Warum kommt es trotzdem zu Szenen wie in Ferdinandshof? Die NaturschΓΌtzerin vom BUND sagt: Das Problem sei, dass die ΓΆrtlichen BehΓΆrden, die zentral fΓΌr die Genehmigung von Windkraftanlagen sind, unterbesetzt seien. Nicht nur fehle es ihnen an Personal, auch der Sachverstand insbesondere zum Artenschutz sei in den Γ„mtern schlicht nicht da. Dadurch wΓΌrden Gutachten falsch interpretiert oder nicht ausreichend geprΓΌft. Das Resultat: Planung, die nicht rechtskonform sei.

Der BUND klagt in solchen FΓ€llen. "Da, wo Naturschutz ΓΌberrannt wurde", betont Gebauer. Der Verband ist aber auch ehrlich zu sich selbst: "Man wird nicht jeden Vogel retten kΓΆnnen, das ist uns schon bewusst. Aber der Naturschutz ist schon seit Jahren unterbezahlt und es wurde sehr wenig dafΓΌr getan. Deswegen muss man jetzt hier einen guten Ausgleich finden", sagt sie.

Rechtssicherheit bei Genehmigungen: "Flickenteppich"

Der Nabu, Deutschlands zweiter großer Naturschutzbund, fordert gegenüber t-online politische Rahmenbedingungen, die für Konfliktfreiheit sorgen. Dazu gehâre vor allem eine FlÀchenauswahl, bei der Kollisionen mit dem Naturschutz von vornherein ausgeschlossen seien. Und Einheitlichkeit: Derzeit gelte ein Flickenteppich aus unterschiedlichen Regeln der BundeslÀnder. Genauso wie der BUND halte man eine Energiewende auf naturvertrÀgliche Weise aber für absolut realistisch, heißt es auf Anfrage.

Ein Stichwort verÀrgert beide VerbÀnde. Es lautet: Abstandsregeln. In einigen BundeslÀndern, insbesondere in Bayern, gelten nach wie vor MindestabstÀnde von Windkraftanlagen zu Wohnbebauung, die einen Ausbau nahezu unmâglich machen. Solche Regeln seien es, die den Konflikt zwischen Natur- und Klimaschutz erst aufkommen ließen, beklagt Gebauer vom BUND: "Weil genau die dazu führen, dass Windkraft immer mehr in unzerschnittene NaturrÀume gedrÀngt wird." So wie in Ferdinandshof, wo Windkraft nun in einem für Vâgel wichtigen Moorgebiet entstehen soll.

Caroline Gebauer: "Heiligt der Zweck wirklich immer die Mittel? Wir wollen einen erneuerbaren Ausbau, der geht eben auch naturvertrΓ€glich. Warum sollten wir dann zulassen, dass dort ausgebaut wird, wo es eben nicht naturvertrΓ€glich ist? Nur weil zum Beispiel ein Markus SΓΆder seine Abstandsregeln nicht kippen mΓΆchte."

"Der Rotmilan braucht den Stromanschluss nicht"

Auch Thorsten Deppner, Anwalt fΓΌr Umweltrecht, hΓ€lt die Abstandsregeln fΓΌr den Kern des Problems. Er hat schon hΓ€ufig NaturschutzverbΓ€nde in Umweltklagen vertreten, zuletzt in einem Verfahren gegen die Giga-Fabrik von Tesla in Brandenburg. FΓΌr ihn ist der angebliche Zielkonflikt zwischen Arten- und Klimaschutz eine Scheindebatte: "LΓ€nder wie Bayern wollen nach wie vor an Regelungen wie '10h' festhalten, mΓΌssen aber trotzdem zwei Prozent der LandesflΓ€che ausbauen." Als "10h" wird eine Regelung in Bayern bezeichnet, der zufolge der Abstand eines Windrads zu einer Wohnsiedlung grundsΓ€tzlich das Zehnfache seiner HΓΆhe betragen muss. Bei einer Anlage mit 150 Metern HΓΆhe also stolze 1,5 Kilometer. Es sei ganz klar, wo die Anlagen dann gebaut werden mΓΌssen: "Das sind natΓΌrlich die aus NaturschutzgrΓΌnden betrachtet konfliktreichen Gebiete."

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Deppner findet, der Konflikt zwischen Artenschutz und Energiewende ist "sehr kΓΌnstlich herbeigeredet." NatΓΌrlich mΓΌssten diejenigen, die von den Anlagen profitieren, am Ende auch die Rechnung zahlen – also die Menschen. "Der Rotmilan braucht den Stromanschluss nicht", sagt Deppner.

"Osterpaket" soll den Ausbau vorantreiben – und die VΓΆgel?

Die neue Bundesregierung will zumindest einige der Probleme beseitigen und den Windkraftausbau beschleunigen. Rund um die Feiertage stellte sie das "Osterpaket" vor, ein BΓΌndel an Gesetzen, das seit Anfang Juli auch von den Ampel-Fraktionen beschlossen ist. Wirtschaftsminister Robert Habeck (GrΓΌne) erklΓ€rt es so: "Die erneuerbaren Energien bekommen jetzt in der AbwΓ€gung zu anderen SchutzgΓΌtern einen Vorrang." FΓΌr die Beziehungen zwischen Natur- und Klimaschutz sind vor allem zwei Γ„nderungen wichtig: das "Wind-an-Land-Gesetz" und eine Anpassung des Bundesnaturschutzgesetzes.

Das Wind-an-Land-Gesetz soll die FlΓ€chenproblematik lΓΆsen: Zwei Prozent Deutschlands sollen fΓΌr Windkraft freigemacht werden, so schreibt es das Gesetz vor. Die LΓ€nder mΓΌssen jetzt in Etappenzielen genΓΌgend FlΓ€chen finden. Dabei dΓΌrfen sie zwar nach wie vor Mindestabstandsregeln erlassen. Liefern mΓΌssen sie aber trotzdem.

Die Γ„nderungen im Naturschutz sehen eine Vereinheitlichung bei Genehmigungsverfahren fΓΌr Windkraftanlagen vor: Es soll bundesweite Standards den Artenschutz betreffend geben. Außerdem wird ein neuer Paragraf eingefΓΌhrt, der es erlaubt, "Landschaftsschutzgebiete in angemessenem Umfang" in die Suche nach neuen FlΓ€chen mit einzubeziehen.

BUND: Mit angezogener Handbremse in die richtige Richtung

Das verbindliche FlÀchenziel begrüßen sowohl der Nabu als auch der BUND gegenüber t-online. Diese Forderung vertreten die VerbÀnde zum Teil schon seit Jahren. GÀnzlich zufrieden ist man mit dem Osterpaket aber nicht: Es brauche noch mehr Klarheit darüber, wie die zwei Prozent in den BundeslÀndern zugeteilt werden sollen. Die FlÀche soll nÀmlich nur stückchenweise ausgewiesen werden. "Das ist alles noch ein bisschen mit angezogener Handbremse von der Bundesregierung", sagt Caroline Gebauer vom BUND. So gebe es immer noch zu wenig Rechtssicherheit.

Eine Nabu-Sprecherin kritisiert gegenüber t-online vor allem, dass die Liste der Vâgel im Naturschutzgesetz, die nun als kollisionsgefÀhrdet gelten, abschließend ist. Nur Vâgel, die darauf stehen, hÀtten bei Genehmigungsverfahren in Zukunft ein Anrecht auf Überprüfung. Beim Nabu erkennt man darin auch eine mâgliche Kollision mit EU-Recht.

Grâßer als bei den VerbÀnden ist die Empârung teilweise in der Politik. Mancherorts brodelt es gar bei den Grünen selbst: Ausgerechnet der Grünen-Vorsitzende in Robert Habecks Wahlkreis ist aus Protest gegen das Osterpaket zurückgetreten. Die neuen Gesetze seien für ihn unertrÀglich. Er sagt: "Ich mâchte nicht, dass der politische Arm der Naturschutzbewegung verkümmert."

"In der verdammten Pflicht, unsere Umwelt zu schΓΌtzen"

Auch in Ferdinandshof kommt das Osterpaket gar nicht gut an. Er habe damit "ganz massiv ein Problem", sagt Jens Funk. Vieles stΓΌnde jetzt in den Sternen: Alle Windeignungsgebiete, die bereits aus naturschutzrechtlichen GrΓΌnden gestrichen wurden, seien jetzt wieder auf der Tagesordnung, meint er. Vor allem aber sei nicht sicher, inwieweit die Genehmigungsverfahren noch weiter vereinfacht wΓΌrden und ob es dann ΓΌberhaupt noch eine ΓΆffentliche Beteiligung gebe.

Jens Funk mΓΆchte sich nicht wie ein Klimawandelleugner verstanden wissen. Er verstehe die Diskussion darΓΌber, wie es in diesem Land energetisch weitergeht. "Aber wir sind auch in der verdammten Pflicht, unsere Natur und Umwelt zu erhalten."

Auch deshalb gibt man sich kΓ€mpferisch in Ferdinandshof: Die Mahnwachen wΓΌrden fortgesetzt. "Wir werden auch sporadisch die B109 sperren", sagt Jens Funk. Das hΓ€tten sie schon ein paar Mal gemacht. Dann wΓΌrden Flyer in die Autos gesteckt, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Initiative stehe den Aussagen Funks zufolge auch im engen Kontakt zum Nabu-Landesverband in Mecklenburg-Vorpommern und der Wildtier-Stiftung.

Als Naturschutzverband kann der Nabu in Mecklenburg-Vorpommern auch den Gerichtsweg gehen. Stefan Schwill, Vorsitzender des Nabu in Mecklenburg-Vorpommern, meint, dass "der Bau und Betrieb von Windkraftanlagen mit der Bedeutung des Gebietes fΓΌr die Vogelwelt unvereinbar" sei. "Der Nabu wird dies nicht hinnehmen und falls notwendig rechtliche Schritte unternehmen."

Stellvertretend, versteht sich. Denn auch klagen kΓΆnnen weder Schreiadler noch Kranich.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Jens Funk
  • Telefonat mit Thorsten Deppner, Umweltanwalt
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