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„Es gibt keine Ausrede mehr, Fairtrade nicht zu kaufen“


Fairtrade-Vorstand im Interview
Warum Nutella den Kakao vielleicht bald selbst ernten muss


Aktualisiert am 09.05.2021Lesedauer: 5 Min.
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Fair gehandelte Produkte auf dem Frühstückstisch: Auch Discounter sind in den nachhaltigen Handel eingestiegen.Vergrößern des Bildes
Fair gehandelte Produkte auf dem Frühstückstisch: Auch Discounter sind in den nachhaltigen Handel eingestiegen. (Quelle: TransFair e.V./Ilkay Karakurt)

Das Fairtrade-Siegel auf Kaffee und Co. ist so bekannt wie nie. Doch auch im fairen Handel hinterlässt die Pandemie Spuren. Fairtrade-Vorstand Dieter Overath stellt Forderungen an Politik, Wirtschaft und Verbraucher.

Das Corona-Jahr 2020 ging auch an Fairtrade nicht spurlos vorbei. Wenn die Geschäfte und Gastronomiebetriebe geschlossen sind, gehen dort auch weniger fair gehandelte Produkte über die Theke. Dennoch zeigt sich Dieter Overath, Vorstandsvorsitzender von Fairtrade Deutschland, zuversichtlich. Die Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit sei unumstößlich, davon ist er überzeugt.

Ob die kommende Regierung die Entwicklung begünstigen wird, macht er dabei nicht von einem potenziellen Wahlsieg der Grünen abhängig. Im Interview mit t-online erklärt er, worauf es in Politik und Wirtschaft ankommt, um faire Löhne in den Produktionsländern zu sichern – und was Verbraucher dazu beitragen können.

t-online: Herr Overath, die Grünen erleben wenige Monate vor der Bundestagswahl einen Höhenflug in den Umfragen. Hoffen Sie auf eine grüne Regierung?

Dieter Overath: Wenn die Grünen mit der gleichen Vehemenz für existenzsichernde Löhne kämpfen, wie sie das für den Klimaschutz tun, sage ich: Top, die Wette gilt. In jedem Fall sollte der oder die nächste Entwicklungsministerin kein Feigenblatt einer ansonsten missratenen Politik sein, was soziale Faktoren anbelangt.

Also machen Sie Ihre Hoffnungen nicht abhängig von einer Partei?

Nein. Entwicklungsminister Gerd Müller ist das beste Beispiel. Über ihn und seine progressive Art habe ich mich nach Dirk Niebel wirklich gefreut. Es kommt auf die Person an und darauf, dass dieses Amt nicht isoliert von der übrigen Politik bleibt.

Ist einer der Kanzlerkandidaten denn trotzdem Ihr Hoffnungsträger?

Fairtrade ist mit keinem verheiratet. Sowohl die Konrad-Adenauer-, die Friedrich-Ebert- als auch die Heinrich-Böll-Stiftung sind Mitgliedsorganisationen von uns. Dass beispielsweise die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung kein Mitglied ist, ist Ausdruck ihres verqueren Denkens über globale Zusammenhänge. Letztendlich ist mir egal, wer gewinnt. Fest steht nur, dass das Amt des Entwicklungsministers oder der Entwicklungsministerin den Ball weiterschießen muss als Müller.

Derzeit wird das Lieferkettengesetz heiß diskutiert, das für mehr Schutz von Menschen und Umwelt in der globalen Wirtschaft sorgen soll. Was genau muss seitens der Politik passieren, um faire Löhne in den Produktionsländern zu sichern?

Das Lieferkettengesetz der Regierung ist ein Anfang, aber es ist noch lange keine Garantie für die Bezahlung existenzsichernder Einkommen und Löhne. Es muss vor allem eine Kontrollinstanz geben, um die Zahlung der Löhne zu überprüfen. Übrigens könnte der Staat ruhig selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Ich möchte keine Socke mehr bei der Bundeswehr sehen, für die Baumwollbäuerinnen und -bauern ausgebeutet werden.

Wenn man den Nachhaltigkeitsversprechen so mancher Unternehmen glaubt, dann müsste sich ja schon einiges getan haben. Was ist dran an den Kampagnen?

Wenn ich das alles glauben würde, müssten die Näherinnen in Bangladesch glücklich sein. Sie sind es aber nicht. Ihre Probleme bestehen unverändert seit dem Einsturz in der Textilfabrik Rana Plaza vor acht Jahren. Die Löhne haben sich nicht erhöht. Dabei führt die Pandemie erst recht zu höheren Lebenshaltungskosten. Ehe in Bangladesch und anderen Ländern nicht das Doppelte bis Dreifache an Lohn gezahlt wird, sollten viele Unternehmen ganz still sein.

Wird verantwortliches Handeln der Unternehmen nicht auch zunehmend von den Konsumenten erwartet?

Definitiv, das sehe ich schon an meinen Töchtern, die zum Shoppen nicht zu Zara, Mango oder Primark pilgern, egal, wie billig es dort sein mag. Junge Leute sind auch nicht mehr so gutgläubig gegenüber der Prosa rund um die soziale Verantwortung von Unternehmen. Der Wunsch, dass dahinter eine unabhängige Zertifizierung steht, wird immer größer. Deswegen müssen sich einige Konzerne schneller anpassen, als ihnen lieb ist.

Wie steht es um das Fairtrade-Angebot im Textilbereich?

Der Marktanteil von Fairtrade liegt hier noch weiter unter einem Prozent. Große Namen wie H&M machen wenig, obwohl sie vieles verkünden. Aber ich bin mir sicher: Die Zeit arbeitet für uns. Mit Blick auf die Wirtschaft haben viele verstanden, dass es mit der Ausbeutung so nicht weitergeht.

Woher kommt die plötzliche Einsicht?

Die Unternehmen bekommen mit, dass viele junge Leute aus den Produktionsgebieten abwandern. Anders als ihre Eltern besitzen manche von ihnen ein Smartphone und sie sehen, dass es anderswo schöner ist. Da sinkt die Lust, uns für einen Dollar am Tag die Baumwolle, Teeblätter oder Kakaobohnen zu pflücken. Die Unternehmen merken also: Um ihre Lieferkette zu sichern, muss der Anbau attraktiver werden – im Textil- sowie im Lebensmittelbereich. Sonst kann sich auch Ferrero in zehn Jahren die Kakaobohnen fürs Nutella selbst ernten.

Corona wird häufig als Brandbeschleuniger vieler globaler Probleme bezeichnet. Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf den fairen Handel?

Die Produzenten im globalen Süden hat die Corona-Krise kalt erwischt. Und sie ist dort noch lange nicht vorbei. In den Produktionsländern gibt es kein Kurzarbeitergeld und keinen Altmaier, der Fördergelder verteilt. Mit der Fairtrade-Prämie, die in der Pandemie als Ausgleich für Einkommenseinbrüche ausgezahlt werden darf, konnten wir einiges abfangen. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) haben wir außerdem einen Hilfsfonds mit rund 15 Millionen Euro für Soforthilfe und Wiederaufbau aufgesetzt.

Und wie sieht es im globalen Norden aus?

Auch hier hat Fairtrade gelitten. Nach 14 Jahren zweistelligem Wachstum fällt es mir schwer, einen Umsatzrückgang von fünf Prozent zu kommunizieren. Doch es gibt gleichzeitig auch viele erfreuliche Entwicklungen. So konnten wir beispielsweise Fairtrade-Kaffee in die Züge der Deutschen Bahn bringen.

Generell müsste es im Lebensmitteleinzelhandel doch richtig gut gelaufen sein, oder?

Ja, dort knackte Fairtrade-Kaffee einen Marktanteil von fünf Prozent. Jede dritte Rose ist in Deutschland inzwischen Fairtrade-zertifiziert. Mit 90 Prozent haben wir mittlerweile auch einen höheren Bekanntheitsgrad als das Bio-Siegel. Ich bin mir daher sicher: Fairtrade an sich hat keine Krise – im Gegenteil. Die Entwicklung zu mehr realer Nachhaltigkeit ist unumstößlich.

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Aber ist Fairtrade denn wirklich schon in der breiten Masse angekommen? Menschen mit kleinem Geldbeutel können sich die Produkte vielleicht nicht immer leisten.

In den Anfangsjahren war der Fairtrade-Gedanke ein akademischer. Aber das änderte sich schon vor 15 Jahren, als beispielsweise die ersten Discounter Fairtrade-Produkte breit ins Sortiment aufgenommen haben. Bei Lidl gibt es Fairtrade-Kaffee für 4,59 Euro das Pfund, bei Aldi ein Kilo Fairtrade-Biobananen für 1,59 Euro. Inzwischen kauft fast die Hälfte der Bevölkerung hin und wieder Fairtrade-Produkte. Und zwar nicht nur Oberstudienräte oder sonstige Gutverdiener.

Trotzdem sind Fairtrade-Produkte in der Regel teurer als herkömmliche Produkte – oder würden Sie da auch widersprechen?

Wenn Sie ein komplett nachhaltig produziertes Produkt haben wollen, geht das nicht umsonst. Mit Fairtrade arbeiten wir an der Umsetzung von existenzsichernden Einkommen und Löhnen, sorgen für Unterkünfte, Arbeitsverträge und vieles mehr. Und das hat seinen Preis. Aber da wir vor allem durch die Eigenmarken der Händler und Discounter in einen Massenmarkt hereingekommen sind, wird den Konsumenten heute auch eine breite Fülle an preiswerten Fairtrade-Produkten geboten.

Was heißt das in Zahlen?

Fast alle Händler bieten mittlerweile Fairtrade-Schokolade ab 69 Cent an. Darüber hinaus gibt es Tafeln für 2,99 Euro, genauso wie besondere Sorten für einen höheren Preis – von veganer bis hin zu fairer Bioschokolade. Man kann also sagen: Es gibt keine Ausrede mehr, Fairtrade nicht zu kaufen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Dieter Overath, Vorstandsvorsitzender von Fairtrade Deutschland
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