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Iran: Regime schikaniert Familien von getöteten Demonstranten


Grabschändungen, Verhaftungen, Gewalt
Sie dürfen nicht einmal trauern


22.08.2023Lesedauer: 5 Min.
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Jina Mahsa Amini: Die junge Kurdin starb nach der Festnahme durch die sogenannte Sittenpolizei.Vergrößern des Bildes
Jina Mahsa Amini: Die junge Kurdin starb nach der Festnahme durch die sogenannte Sittenpolizei. (Quelle: Cliff Owen)

Im Iran trauern Hunderte Familien um Angehörige, die bei Protesten gewaltsam zu Tode kamen. Ein Bericht zeigt nun, wie das Regime sogar gegen den Kummer vorgeht.

Knapp ein Jahr ist es her, dass die Kurdin Jina Mahsa Amini im Iran starb, nachdem sogenannte Sittenwächter sie festgenommen hatten. Seitdem kommt die Islamische Republik nicht zur Ruhe: Monatelang gingen Menschen in Massen auf die Straßen, um gegen die Unterdrückung durch das Regime und für ihre Freiheit zu kämpfen. Zwar sind die Proteste kleiner geworden – doch der Willen der Bevölkerung scheint nach wie vor ungebrochen, das Land zu revolutionieren.

Allerdings zahlen viele Iranerinnen und Iraner dafür einen hohen Preis: So sollen Tausende von ihnen seit Beginn der Proteste unrechtmäßig inhaftiert, Hunderte in unrechtmäßigen Scheinprozessen zum Tode verurteilt worden sein. Andere Demonstrantinnen und Demonstranten haben bereits mit ihrem Leben bezahlt – etwa, weil sogenannte Sicherheitskräfte sie bei Protesten getötet haben.

Schikane und Einschüchterung von Familien

Ein neuer Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International verdeutlicht jedoch, dass der Tod der Protestierenden nicht genug für das korrupte Regime zu sein scheint. Auch die Angehörigen der Verstorbenen werden zum Ziel der Behörden. So dokumentierten die Menschenrechtler das Schicksal von 36 Familien, die in den vergangenen Monaten Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sein sollen. Die Anschuldigungen werden mit Fotos und Aussagen der Betroffenen belegt – und wiegen schwer.

So soll das Regime viele Familien schikanieren und einschüchtern, um die Forderungen nach Gerechtigkeit zu unterdrücken. Sogenannte Sicherheitskräfte nehmen demnach willkürlich Verwandte der Getöteten fest, sprechen Drohungen gegen sie aus, foltern sie in Haft, stören friedliche Versammlungen auf Friedhöfen oder zerstören Gräber. Eine Reihe von Beispielen aus dem Bericht zeigt das dramatische Ausmaß.

Aminis Grab zerstört

Der wohl bekannteste Fall ist die Familie von Jina Mahsa Amini selbst. Immer wieder klagen die Verwandten unter anderem über die Zerstörung der Ruhestätte der jungen Frau. Die Familie steht zudem unter ständiger Aufsicht der Behörden – weil sie das Regime öffentlich für die Tötung der Kurdin kritisiert, die damals angeblich gegen die strenge Kleiderordnung im Iran verstoßen haben soll. Mehr zu Aminis Tod lesen Sie hier.

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Doch auch viele weitere Familien sind betroffen, so etwa die des 32-jährigen Abdolsalam Ghader Golvan. Laut den Menschenrechtlern wurde er ebenfalls im September 2022 durch gewaltsames Vorgehen der Sicherheitskräfte des Regimes bei Protesten in der Provinz West-Aserbaidschan getötet. Im Juli dieses Jahres sollen die Behörden mitten in der Nacht eine Razzia bei Abdolsalams Bruder durchgeführt – und auch diesen verhaftet haben.

Die sogenannten Sicherheitskräfte sollen ihm aus Demütigung den Bart abrasiert und ihn in Gewahrsam brutal verprügelt haben. Am nächsten Morgen sollen sie ihn zum Grab seines Bruders gebracht und ihn freigelassen haben. Soleiman Ghader Golvan erlitt demnach schwere Verletzungen und kam ins Krankenhaus. Bilder zeigen zudem eine schwer zerstörte Ruhestätte.

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Öffentliche Kritik am Regime

Vorrangig im Visier der Behörden sind Familien, die nach der Tötung von Angehörigen öffentlich das Regime anprangern und Solidarität mit der Protestbewegung zeigen. So wurden auch die Verwandten von Majid Kazemi bedroht, heißt es vonseiten der Menschenrechtler von Amnesty International. Der 30-Jährige wurde im Mai 2023 hingerichtet, nachdem er in einem Scheinprozess zum Tode verurteilt wurde. Mehr zu den unrechtmäßigen Prozessen im Iran lesen Sie hier.

Sein Cousin Mahammah Hashemi berichtete demnach, die Behörden hätten alles daran gesetzt, Gedenkveranstaltungen für den Hingerichteten zu unterbinden und die Verwandten mundtot zu machen, die das Regime für die unrechtmäßige Vollstreckung des Urteils kritisieren.

So soll Majid Kazemis Bruder Hossein unmittelbar nach der Hinrichtung in die Leichenhalle gerufen worden sein, um die Leiche zu identifizieren. Zu diesem Zeitpunkt soll er noch nichts von dem Tod seines Bruders gewusst haben. Behördenmitarbeiter brachten ihn dem Bericht zufolge schließlich zum Friedhof, wo sie Majid Kazemis Leiche in ein Grab warfen – das nicht einmal groß genug für den Mann war. Danach sollen sie Hossein verhaftet haben.

Sicherheitskräfte spotten bei Trauerfeiern

Der Familie verwehrten die Behörden eine Beerdigungszeremonie und erlaubten ihr lediglich, eine Stunde vor dem Grab Abschied zu nehmen – in Präsenz zahlreicher Sicherheitskräfte, die den Kummer der Angehörigen verspottet und Fotos der Trauernden gemacht haben sollen. Nur wenige Tage später, nachdem die Familie versucht hatte, eine Trauerfeier abzuhalten, wurden ein weiterer Bruder und eine Schwester des Hingerichteten verhaftet, so die Menschenrechtler.

Cousin Mohammad Hashemi berichtete: "Zusätzlich zum Schmerz der Familie, der durch das schreckliche Verbrechen [der Hinrichtung] verursacht wurde, haben die Behörden die Familie stark unter Druck gesetzt." Den Verwandten soll auch eine Trauerfeier im eigenen Haus verboten worden sein.

Die Frau wurde nach wenigen Tagen freigelassen, die zwei Brüder sollen einen Monat lang an einem unbekannten Ort gefangen gehalten worden sein, ohne Kontakt zur Familie zu haben. Amnesty International zeigt auch in diesem Fall Fotos des verwüsteten Grabes von Majid Kazemi.

"Die Behörden haben meinen unschuldigen Sohn getötet"

Der Schmerz der Familien spiegelt sich auch in einem Foto einer Frau wider, die am Grab ihres 16-jährigen Sohnes sitzt und weint. Sogenannte Sicherheitskräfte töteten Artin Rahmani im November 2022 bei Protesten in Izeh. Seine Mutter trauerte damals öffentlich – und prangerte die Maßnahmen des Regimes an: "Die Behörden der Islamischen Republik haben meinen unschuldigen Sohn getötet, meinen Bruder und meine Verwandten eingesperrt und mich wegen des Verbrechens, Gerechtigkeit für die Tötung meines Kindes zu suchen, zur Staatsanwaltschaft vorgeladen, um mich zum Schweigen zu bringen."

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Weiter zitierte Amnesty International die Frau in dem Bericht: "Die Bürger im Iran haben kein Recht zu protestieren und alle Bemühungen um Freiheit werden mit großer Gewalt unterdrückt. Was für eine Meinungsfreiheit ist das, dass ich als trauernde Mutter nicht das Recht habe, über meine Trauer um meinen jugendlichen Sohn zu schreien?"

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"Die Grausamkeit der iranischen Behörden kennt keine Grenzen"

"Die Grausamkeit der iranischen Behörden kennt keine Grenzen", fasst Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International, die Lage zusammen. "Sie versuchen kaltblütig, ihre Verbrechen zu verschleiern, und sorgen dadurch bei den betroffenen Familien für noch mehr Leid und Schmerz, indem sie deren Forderungen nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung unterdrücken und sie sogar daran hindern, auf den Gräbern der Getöteten Blumen zu pflanzen."

Eltahawy fordert die internationale Gemeinschaft in dem Bericht dazu auf, die Familien der Getöteten zu schützen und die iranischen Behörden dazu zu bringen, "alle diejenigen freizulassen, die nur deshalb in Haft sind, weil sie sich für Wahrheit und Gerechtigkeit für die Getöteten eingesetzt haben". Hier lesen Sie mehr über das brutale Vorgehen des iranischen Regimes.

Verwendete Quellen
  • amnesty.org: "IRAN: HARASSMENT OF FAMILIES OF VICTIMS UNLAWFULLY KILLED DURING PROTESTS MUST END" (englisch)
  • amnesty.de: "IRAN: FAMILIEN DER GETÖTETEN MÜSSEN AM JAHRESTAG DER PROTESTE IN FRIEDEN TRAUERN DÜRFEN"
  • amnesty.at: "FREIHEIT FÜR UNSCHULDIG INHAFTIERTE IM IRAN"
  • twitter.com: Profil von @amnesty
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