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Iran: Tod von Jina Mahsa Amini – grausame Details über ihre letzten Stunden


Jina Mahsa Amini
Bericht offenbart grausame Details über ihre letzten Stunden

Von t-online, csi

Aktualisiert am 15.03.2023Lesedauer: 5 Min.
Jina Mahsa Amini (Archivbild): Die junge Kurdin starb im Polizeigewahrsam.Vergrößern des BildesJina Mahsa Amini (Archivbild): Die junge Kurdin starb in Polizeigewahrsam. (Quelle: ZUMA Wire/Social Networks/imago images)
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Der Name Jina Mahsa Amini ist mittlerweile weltweit bekannt. Die 22-Jährige starb im September 2022 in Polizeigewahrsam. Nun gibt es Details zu ihrem Tod.

Ihr Tod war der Auslöser der regimekritischen Proteste im Iran: Die Kurdin Jina Mahsa Amini starb vor einem halben Jahr, zuvor war sie von der Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie ihr Kopftuch falsch getragen haben soll. Wenige Zeit später war sie tot. Die Teheraner Polizei behauptete damals, Amini habe medizinische Probleme gehabt und sei nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus behandelt worden. Die Zweifel an dieser Version führten zu immer größer werdenden Protesten. Eine detaillierte Recherche der britischen Tageszeitung "The Times" bestätigt diese Zweifel nun und zeichnet ein genaues Bild der Umstände.

Die aus der mehrheitlich kurdischen Stadt Saqqez stammende Amini war am 13. September 2022 mit ihrer Familie auf dem Rückweg aus dem Urlaub nach Hause. Sie legten einen Zwischenstopp in Teheran ein, um Verwandte zu besuchen. Am Nachmittag fuhr Amini laut der "Times" mit ihrem 18-jährigen Bruder Kiarash und zwei Cousinen mit der U-Bahn in die Innenstadt. Sie trug ein schwarzes Kopftuch, einen langen schwarz-weiß gemusterten Mantel und weiße Turnschuhe.

Amini wird von der Sittenpolizei mitgenommen

Zwischen 18 und 18.30 Uhr wurde Amini in der Nähe der U-Bahnstation Shahid Haghani von der Sittenpolizei angehalten. Beamte zerrten sie auf die Rückbank eines Kleinbusses. Kiarash versuchte noch, die Beamten daran zu hindern, seine Schwester mitzunehmen, einer der männlichen Beamten drehte ihm allerdings den Arm auf den Rücken, beschreibt die "Times". Die junge Frau wurde laut dem Bericht mitgenommen. Kiarash fuhr gemeinsam mit seinen Cousinen mit einem Taxi zur Polizeistation Vozara, zu der Amini gebracht wurde.

In dem Kleinbus saßen neben der 22-Jährigen noch weitere Frauen, die verhaftet worden waren – eine von ihnen, die "The Times" Sara nennt, berichtet im Nachhinein schriftlich davon, wie sie die Situation erlebte. Sie habe zu viel Angst gehabt, direkt mit Reportern zu sprechen, heißt es, also gab sie eine Niederschrift ihrer Erlebnisse über eine andere Person an die Journalistinnen weiter. Der Bericht wird laut der "Times" von Aminis Vater gestützt, der mit mehreren Frauen aus dem Kleinbus gesprochen habe. Auf der 15-minütigen Fahrt zur Polizeistation eskaliert die Situation.

Beamtin schlägt Amini im Auto

"Im Van beschwerten sich fast alle von uns und fragten, warum wir festgenommen wurden, aber Mahsa war besonders ungeduldig", erklärte Sara demnach. Amini habe die Beamten immer wieder darum gebeten, sie gehen zu lassen. Nach einer Weile habe sie gefragt, was an ihrem Outfit nicht stimmte und warum sie festgenommen wurde, so Sara. Sie habe das zwei- oder dreimal wiederholt. Darauf seien die Beamtinnen wütend geworden und hätten Amini beschimpft. "Ich glaube, das war, als Mahsa versuchte aufzustehen", erklärte Sara.

Eine der Beamtinnen habe laut der "Times" Amini gepackt, damit die sich hinsetze, die andere Beamtin kam zur Unterstützung ihrer Kollegin dazu und schlug Amini auf den Kopf. "Ich weiß nicht, womit sie sie geschlagen hat", erklärte Sara. Nach den Schlägen habe Amini ihren Kopf ein paar Minuten in ihren Händen gehalten.

Amini diskutiert auf Polizeistation weiter

Gegen 18.45 Uhr kam Amini gemeinsam mit den anderen Frauen auf der Polizeistation an, beschreibt die "Times" weiter. Ein Video, das vom Regime geteilt wurde, zeigt Amini, wie sie das Gebäude betritt. In einem Raum der Polizeistation sollen 50 bis 60 Frauen gesessen haben, erklären sieben Inhaftierte gegenüber der Zeitung. Gelegentlich sei eine Gefangene in ein Büro gebracht worden, in dem die Unterlagen für Freilassungen bearbeitet wurden.

Amini habe mit einer Beamtin laut gestritten. Eine Zeugin, die die Zeitung Sommayeh nennt, sagte: "Es gab keine körperliche Auseinandersetzung", der Streit sei aber sehr laut gewesen. Sie habe über Kopfschmerzen geklagt, darum gebeten, entlassen zu werden und erneut gefragt, was mit ihrem Outfit nicht stimme.

"Ihr habt sie getötet, ihr habt sie getötet"

Um 19.15 Uhr brach die junge Kurdin dann zusammen. Vom Regime veröffentlichte Aufnahmen zeigen, wie Amini sich ihren Kopf hält, über einem Stuhl zusammenbricht und offenbar bewusstlos zu Boden rutscht. "Alle haben geschrien 'Ihr habt sie getötet, ihr habt sie getötet'", sagt Sommayeh. Aminis Gesicht sei vollkommen blass gewesen.

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Einige der inhaftierten Frauen wollten Amini laut dem "Times"-Bericht helfen und baten die Beamten der Sittenpolizei darum, Hilfe zu rufen. Sie seien zunächst ignoriert und dann angeschrien worden, dass sie sich hinsetzen und ruhig sein sollten.

Eine der Beamtinnen spottete laut der Recherche über ein Mikrofon "Wir haben schon viele dieser Bollywood-Acts gesehen." Erst nach weiteren Bitten seien zwei Männer, die in der Polizeistation arbeiteten und offenbar eine Erste-Hilfe-Ausbildung hatten, zu Hilfe gekommen. "Sie erkannten auch ohne richtiges medizinisches Fachwissen, dass es ernster war, als sie dachten", sagte eine weitere Zeugin der "Times".

Etwa 40 Freunde und Verwandte der inhaftierten Frauen warteten dem Bericht zufolge zur gleichen Zeit außerhalb des Gefängnisses – darunter auch Aminis Bruder Kiarash und ihre Cousinen. Sie hörten das Geschrei von drinnen, schlugen an die Türen und fragten, was los sei. Die Polizisten und Soldaten hätten begonnen, sie mit Pfefferspray zu besprühen und mit Schlagstöcken zu schlagen, berichtet die Zeitung.

Krankenwagen-Ruf 45 Minuten nach Zusammenbruch

Um 19.58 Uhr riefen die beiden Männer mit der Erste-Hilfe-Ausbildung einen Krankenwagen. Fünf Minuten später traf dieser ein, die Sanitäter begannen laut den Recherchen eine Herz-Lungen-Wiederbelebung bei der 22-Jährigen. Nach einem Herzstillstand verringert jede Minute Verzögerung die Überlebenschancen. Dass die Sittenpolizei erst 45 Minuten nach Aminis Zusammenbruch medizinische Hilfe holte, könnte ihren Tod also verursacht haben.

Über Lautsprecher versuchten die Beamten die Frauen dazu zu bringen, sich wieder zu setzen, heißt es weiter bei der "Times". "Versuchen Sie statt all dieser Aufregung den Schlüssel des Krankenwagens zu finden, er ist verloren", sollen die Beamten durchgesagt haben. Es sei alles unter Kontrolle.

Amini hatte keine Vitalfunktionen mehr

Gegen 20.25 Uhr fuhr der Krankenwagen zum 300 Meter entfernten Kasra-Krankenhaus. Kiarash fragte immer wieder, wer in dem Krankenwagen lag und erfuhr mithilfe eines Fotos seiner Schwester, das er vor der Polizeistation herumzeigte, dass sie zusammengebrochen war.

Als der Krankenwagen am Krankenhaus eintraf, hatte Amini laut Aussagen des medizinischen Personals keine Vitalfunktionen mehr und einen Herzstillstand. Ihre Pupillen waren erweitert. Sie reanimierten Amini und verlegten sie auf die Intensivstation. Ihr Bruder Kiarash kam 40 Minuten später im Krankenhaus an, ihre Eltern und mehrere Verwandte kamen wenig später dazu, auch das ergaben die "Times"-Recherchen.

In einem Video liegt die 22-Jährige bewusstlos und intubiert auf einem Krankenhausbett. Aus ihrem rechten Ohr fließt Blut.

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Polizei leugnet, Amini geschlagen zu haben

Drei Tage später, am 16. September 2022 gab die Polizei eine Erklärung ab, in der sie leugnete, dass Amini geschlagen worden war. Sie habe medizinische Probleme gehabt und werde nach einem Herzinfarkt behandelt. Ihre Familie erklärte öffentlich und trotz des Drucks vom Regime, sich nicht zu äußern, dass Amini keine Vorerkrankungen hatte und diese Erklärung falsch sei.

Um 15.30 Uhr am 16. September 2022 starb Jina Mahsa Amini. Demonstrierende versammelten sich vor dem Krankenhaus und riefen "Tod dem Diktator!". Von nun an nahm der regimekritische Protest im ganzen Land seinen Lauf.

Verwendete Quellen
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