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No-Deal-Brexit: So könnte das Parlament Boris Johnson noch stoppen


Vor entscheidender Debatte
Erhebt sich das Parlament gegen Johnsons Chaos-Brexit?

Von dpa, afp, reuters, t-online, dru

Aktualisiert am 02.09.2019Lesedauer: 5 Min.
Kein Weg zurück: Boris Johnson will den Brexit am 31. Oktober um jeden Preis.Vergrößern des BildesKein Weg zurück: Boris Johnson will den Brexit am 31. Oktober um jeden Preis. (Quelle: imago-images-bilder)
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In London sucht das Parlament die Machtprobe mit Premier Boris Johnson. Können sie ihn an die Leine legen? Entziehen sie ihm gar das Vertrauen? Drei Wege, um den No-Deal-Brexit noch zu verhindern.

Großbritannien steuert im Drama um den Brexit auf eine beispiellose Konfrontation zu. Am Dienstag wollen Opposition und Rebellen der regierenden Konservativen mit Gesetzen im Unterhaus einen ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens am 31. Oktober verhindern. Regierungschef Boris Johnson, der um jeden Preis an dem Datum festhalten will und dafür das Parlament in der kommenden Woche in die Zwangspause schickt, drohte Abweichlern in seiner Partei mit harten Strafen.

Insidern zufolge plant der Premier, rebellierende Abgeordnete aus der Fraktion auszuschließen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Auch sollen die Abweichler bei den nächsten Wahlen nicht mehr für die Konservativen antreten dürfen, wenn sie gegen den Brexit-Kurs der Regierung stimmen. "Wenn sie am Dienstag nicht mit der Regierung stimmen, werden sie die Verhandlungsposition der Regierung zerstören und Jeremy Corbyn die Kontrolle über das Parlament übergeben", sagte ein Insider dem Bericht zufolge.

Oppositionsführer Corbyn will einen EU-Ausstieg ohne Abkommen verhindern und versuchen, dem im Parlament einen Riegel vorzuschieben. Am Montag trifft er sich mit seiner Fraktionsführung, um dafür final eine Strategie abzustimmen. Labour wie auch den Abweichlern in der konservativen Partei bleiben dabei letztlich drei Optionen, wie sie Johnson noch stoppen könnten.

Drei Hindernisse für Johnson

Johnsons Gegner wollen den Premier per Gesetz zwingen, eine erneute Verschiebung des Brexit-Datums am 31. Oktober zu beantragen, sollte es nicht zu einem Deal mit der EU kommen. Das Medienportal "BuzzFeed" berichtete über einen entsprechenden Antrag mehrerer konservativer Abgeordneter. Die Beratungen über diesen Antrag sollten demnach bereits am Dienstag, dem ersten Tag nach der parlamentarischen Sommerpause, beginnen. Labour-Chef Corbyn wollte im Laufe des Montags über die Pläne seiner Partei informieren. Er kündigte im Vorfeld an, "alles Notwendige zu tun, um unser Land vom Rand des Abgrunds zu ziehen".

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Vor der Beratung müssen die Anträge von Parlamentspräsident John Bercow zugelassen werden. Es gilt als sicher, dass der exzentrische Speaker der Opposition keine Steine in den Weg legen wird. Bercow hat schon einmal ein ähnliches Gesetzgebungsverfahren von den Hinterbänken zugelassen.

Eine zweite Option der Anti-Johnson-Fraktion wäre, den Premier per Misstrauensvotum zu stürzen. Fraglich ist jedoch, ob sich dafür eine Mehrheit finden würde. Es gilt als nicht ausgeschlossen, dass Johnson Schützenhilfe aus den Reihen der beinharten Brexiteers in der Labour-Partei bekommen würde. Die Zahl der Tories, die bereit wären, ihre eigene Regierung aus dem Amt zu jagen, dürfte überschaubar bleiben.

Wäre ein Misstrauensvotum erfolgreich, müssten die Abgeordneten innerhalb von zwei Wochen einen Übergangspremier bestimmen, ansonsten käme es zu einer Neuwahl, deren Termin Johnson theoretisch auf ein Datum nach dem EU-Austritt legen könnte. Oppositionschef Jeremy Corbyn hatte sich bereits als Interimsregierungschef angeboten, doch er gilt als zu umstritten. Als Alternative käme beispielsweise Alterspräsident Ken Clarke infrage. Sollte Johnson noch vor dem Zwangsurlaub des Parlaments eine Vertrauensabstimmung im Unterhaus verlieren, würde sich die Zwei-Wochen-Frist auf die Zeit bis zur Schließung des Parlaments verkürzen.

Möglich ist auch, dass der Streit zumindest teilweise im Gerichtssaal entschieden wird. Vor mehreren Gerichten in Großbritannien sind Klagen gegen die Zwangspause des Parlaments eingereicht worden. Vor dem obersten schottischen Gericht in Edinburgh soll es am Dienstag eine Anhörung geben. Einen Eilantrag schottischer Abgeordneter wies die Kammer am Freitag zurück.

Der Londoner High Court will sich am Donnerstag mit der Sache beschäftigen. Auch beim High Court in Belfast ist ein ähnlicher Fall anhängig. Letztinstanzlich dürfte die Sache vor dem Supreme Court landen. Was dabei herauskommen wird, ist jedoch längst keine ausgemachte Sache. Weil es in Großbritannien keine geschriebene Verfassung gibt, ist eine abschließende juristische Beurteilung oft schwierig.

Turbulente Sitzungen erwartet

Aktuell lässt sich über den Verlauf und den Ausgang der anstehenden Debatten im Parlament nur spekulieren. Nicht nur läuft den Abgeordneten die Zeit davon. Denn schon am kommenden Montag könnte das Parlament für mehrere Wochen seine Tore schließen – ein nicht abgeschlossenes Gesetzgebungsverfahren würde dann einfach verfallen. Die meisten Fallstricke lauern im Oberhaus. Obwohl die Brexit-Gegner dort in der Überzahl sind, drohen Brexit-Hardliner mit einer Flut von Anträgen und Dauerreden (Filibuster), wertvolle Zeit zu verschwenden. Wenn nötig, wollen die Parlamentarier daher auch bis spät in die Nacht und ins Wochenende hinein tagen. Beobachter erwarteten in jedem Fall enorm turbulente Sitzungen.

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Doch selbst wenn ein Gesetz rechtzeitig verabschiedet werden kann, gibt es Zweifel, ob die Regierung nicht einen Weg finden wird, es zu umgehen. Beispielsweise könnte Johnson bei einem Antrag auf Brexit-Verlängerung unerfüllbare Bedingungen stellen und somit eine Ablehnung der EU provozieren. Spekuliert wurde auch, ob die Regierung sich weigern könnte, das Gesetz Königin Elizabeth II. zur Unterschrift vorzulegen. Das wäre ein noch gewagterer Bruch von Konventionen als die lange Zwangspause des Parlaments.

Am Wochenende ließ die Regierung sogar offen, ob sie sich an ein Votum mit für sie schlechtem Ausgang gebunden fühlt. Vize-Premier und Brexit-Planer Michael Gove äußerte sich sehr vage auf eine entsprechende Frage in der BBC. "Warten wir doch erst einmal ab, wie das Gesetz aussehen wird", sagte Gove dem Sender. Jetzt darüber zu spekulieren, sei wie die Katze im Sack zu kaufen. Labour reagierte empört auf Goves Äußerungen.

Neuwahlen – Johnsons Trumpf-Karte?

Inzwischen wird immer offener über Neuwahlen diskutiert. Die Opposition vermutet, dass Johnson sie sogar gezielt anstrebt, um sich einerseits ein stärkeres Mandat im Parlament zu besorgen – Umfragen sagen aktuell Zugewinne für die Tories voraus – und um andererseits die Störfeuer seiner Gegner zu unterbinden.

Zu Neuwahlen kommt es, wenn ein entsprechender Antrag eine Unterstützung von zwei Dritteln der Parlamentarier findet, was aber als unwahrscheinlich gilt. Oder wenn der Premier eine Misstrauensabstimmung verliert und danach innerhalb von 14 Tagen kein Nachfolger gefunden werden kann.

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Angesichts der drohenden Parlamentarier-Revolte bestellte Johnson für Montagabend sämtliche konservativen Abgeordneten ein. Nach Medienberichten sollte am frühen Abend auch das Kabinett zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenkommen.

Johnson verfügt nur über eine Mehrheit von einer Stimme im Unterhaus. Sollten mehrere Konservative abtrünnig werden, würde eine Neuwahl unumgänglich. Die Frage ist, wann sie stattfinden soll. Die Chancen Johnsons, eine Mehrheit zu erreichen, wären nach dem Brexit-Datum höher, weil er dann die Konkurrenz der Brexit-Partei von Nigel Farage nicht mehr zu fürchten hätte.

Die Zeit spielt für Johnson

Johnson hat einen Urnengang vor dem 31. Oktober ausgeschlossen. Ein früherer Termin wäre auch extrem schwierig. Sollte Johnson am Mittwoch in einem Misstrauensvotum unterliegen und sich in den kommenden zwei Wochen keine neue Regierung finden, könnten frühestens für den 25. Oktober Neuwahlen angesetzt werden, schreibt die BBC – weniger als eine Woche vor dem Brexit-Tag.

Johnson könnte außerdem das Prozedere ausbremsen, die politischen Regeln erlauben ihm dies. So lässt sich etwa die Auflösung des Parlaments um einen gewissen Zeitraum hinauszögern, um wichtige Vorhaben vor der Wahl zum Abschluss zu bringen. Die letzten 25 Tage vor dem Urnengang bleibt das Parlament ohnehin geschlossen. Johnsons Gegnern im Unterhaus blieben in diesem Fall die Hände gebunden.


Einige Oppositionspolitiker sehen Neuwahlen vor dem 31. Oktober als Chance, einen No-Deal-Brexit quasi in letzter Minute noch zu verhindern. Der frühere Labour-Premierminister Tony Blair warnte seine Partei allerdings vor einem solchen Schritt. Zwar sei jede Oppositionspartei für Wahlen, aber zuerst müsse das Brexit-Problem gelöst werden. Aus Blairs Sicht käme dafür nur ein zweites Referendum über die EU-Mitgliedschaft und die Austrittsmodalitäten infrage.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters
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