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Österreich-Wahl: Warum Kurz mit seiner ÖVP einen historischen Gewinn feiern könnte


Vor Österreich-Wahl
Warum Sebastian Kurz wieder Kanzler werden könnte

Von Ana Grujic

Aktualisiert am 29.09.2019Lesedauer: 4 Min.
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Der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Mai 2019: Nach der Ibiza-Affäre wurde die schwarz-blaue Regierung aufgelöst.Vergrößern des Bildes
Der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Mai 2019: Nach der Ibiza-Affäre wurde die schwarz-blaue Regierung aufgelöst. (Quelle: Archivbild/Eibner Europa/imago-images-bilder)

Österreich wählt am Sonntag seinen Nationalrat. In den Umfragen liegt die Partei von Ex-Kanzler Sebastian Kurz klar vorne. Beobachter erwarten gar ein historisches Ergebnis.

In Österreich kommt leicht das Gefühl auf, nicht spucken zu können, ohne ein Postkartenmotiv zu treffen. Klare Bergseen, historische Städtchen und dann natürlich Wien, das aussieht, als könnten immer noch jeden Moment Sigmund Freud und Karl Marx um den Stephansdom spazieren.

Und eigentlich spricht einiges dafür, dass das Leben in Österreich gut ist. Wien ist 2019 zum zehnten Mal in Folge zur lebenswertesten Metropole der Welt gewählt worden. Auch die Wirtschaft floriert: Das Bruttoinlandsprodukt stieg 2018 um 2,7 Prozent.

Dann blickt man in Richtung Politik und sieht: Da hat eine Partei versucht, das Postkartenland zu verkaufen – und sie wird wohl dennoch am kommenden Wahlsonntag stark abschneiden. Der Mann, der als Kanzler diese Partei in Verantwortung gebracht hat und dann von einem Misstrauensvotum aus dem Amt gebracht wurde, könnte einen historischen Sieg einfahren. Warum wählen die Menschen so? Kann man das erklären?

Warum die Österreicher die FPÖ wählen

Selbst nachdem der langjährige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auf Ibiza dabei gefilmt wurde, wie er politische Gefälligkeiten an eine vermeintliche russische Milliardärin verkaufen wollte, sagen Umfragen seiner Partei rund 20 Prozent voraus. Strache wurde mittlerweile entmachtet. An der Spitze der Partei steht jetzt Norbert Hofer, der 2016 beinahe Bundespräsident geworden wäre.

"Für viele FPÖ-Wähler ist auch bei einer Empörung über das Video keine andere Partei attraktiver", sagt Peter Filzmaier t-online.de. Der Politikwissenschaftler forscht als Professor an der Donau-Universität Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz und beobachtet die österreichischen Parteien seit Jahren.

Protest und ein starkes Benachteiligungsgefühl seien starke Wahlmotive, erklärt der Experte. "Wer sich als Modernisierungsverlierer ständig wirtschaftlich und sozial benachteiligt fühlt, neigt häufig zur FPÖ, die ihm dafür andere, angebliche Schuldige anbietet: 'Sozialisten' bis hin zu 'Ausländern'", sagt er.

Gemäßigte Wähler der FPÖ, die Politikwissenschaftlern einhellig als extrem rechte Partei gilt, sehen sich durch Medien pauschal und zu Unrecht als rechtsradikale Sympathisanten dargestellt. Ein Wechsel zu anderen Parteien komme für sie dann umso weniger in Frage, erklärt Filzmaier: "Und die Radikalen wechseln sowieso nicht."

Historischer Wahlsieg für ÖVP möglich

Die ÖVP, die Partei des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, könnte Umfragen zufolge mit 34 Prozent sogar einen historischen Sieg einfahren. "Mindestens rund zehn Prozentpunkte Vorsprung wären mehr als jemals zuvor in der österreichischen Wahlgeschichte", erklärt Filzmaier. Er hält einen klaren Wahlsieg der ÖVP für sehr wahrscheinlich. Kurz wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder Kanzler.

Denn jene, die mit der Regierungsarbeit der schwarz-blauen Regierung zufrieden waren, würden sowieso eher die größere Partei wählen, also die ÖVP. Und jene, die wegen der Ibiza-Affäre enttäuscht von der FPÖ sind, finden auch bei der ÖVP eine neue Heimat. Inhaltlich gibt es viele Anknüpfungspunkte: "Die Übereinstimmung von ÖVP und FPÖ in Themen ist über 80 Prozent", sagt der Politikwissenschaftler.

Dabei hatte die Koalition sozial- und arbeitspolitisch eine Reihe umstrittener Beschlüsse gefasst, die vor allem jene treffen, die wenig haben. Neben einer Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden hat die schwarz-blaue Koalition auch Mittel für Arbeitssuchende gestrichen und die Mindestsicherung gekürzt. Geschadet hat ihr das nicht.

Ehemalige Arbeiterpartei fällt die Positionierung schwer

Die SPÖ, die ehemalige Arbeiterpartei, liegt laut Prognosen bei rund 22 Prozent. Die Partei hat es nicht geschafft, Wähler zu überzeugen, die eine Alternative suchen. Wer jahrzehntelang immer wieder den Bundeskanzler stellt, wie die SPÖ zwischen 1970 und 2000 und die längste Zeit zwischen 2007 und 2016, hat es schwer, sich glaubhaft als innovative Kraft zu positionieren.

Die Partei versuche jetzt zwar, mit Themen wie der Forderung nach einem Mindestlohn Wähler zu überzeugen. Aber Wähler würden sich fragen, warum es nach so vielen Jahren in der Regierung nun als kleinerer Koalitionspartner oder aus der Opposition heraus mit der Umsetzung klappen solle, sagt Filzmaier.

Wirtschaftsliberale und Umweltpartei im Aufschwung

Wer von der Aufdeckung des Ibiza-Videos profitiert, sind die wirtschaftsliberalen Neos und die Grünen. Letztere waren in der Wahl 2017 noch an der Vier-Prozent-Hürde gescheitert und deshalb nicht im Nationalrat vertreten. Jetzt sehen Prognosen die Partei bei 11 Prozent, noch vor den Neos, die aktuell bei 8 Prozent stehen. "Wer sich von der ÖVP abwendet, hat Neos und Grüne als naheliegende Alternativen", erklärt Filzmaier.

Idyllische Alpenrepublik mit realen Problemen

Wer nur an Österreich als idyllische Alpenrepublik denkt, übersieht die realen Probleme. Bildung wird etwa immer noch zu einem Großteil vererbt, genauso wie das Vermögen. Dazu kommt, dass die österreichischen Klimamaßnahmen in den letzten Jahren vor allem Klientelpolitik für die Landwirtschaft waren, eine starke Wählergruppe der ÖVP. Seine Klimaziele für 2030 droht das Land zu verfehlen.

Diese Probleme betreffen jeden noch so schönen Ort in Österreich. Bei welcher Partei die Wähler ihre Lösungen suchen, zeigt sich dann am Sonntagabend.

Verwendete Quellen
  • Schriftliches Interview mit Peter Filzmaier
  • Eigene Recherche
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