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Nachruf auf Werner Müller: der Manager, der eigentlich Pianist werden wollte


Nachruf auf eine Doppelbegabung
Der Manager, der eigentlich Pianist werden wollte

  • Gerhad Spörl
MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 28.07.2019Lesedauer: 3 Min.
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Werner Müller im Jahr 2008: Der frühere Manager und Wirtschaftsminister ist Mitte Juli gestorben.Vergrößern des Bildes
Werner Müller im Jahr 2008: Der frühere Manager und Wirtschaftsminister ist Mitte Juli gestorben. (Quelle: biky/imago-images-bilder)

Trauerfeiern können auch würdig sein: Im Essener Dom redeten Politiker wie Gerhard Schröder und Armin Laschet über Werner Müller, einen wahrhaft unabhängigen Mann, der groß dachte und groß handelte.

Es gab einmal einen Wirtschaftsminister, der ließ seinen Flügel ins Büro stellen und spielte darauf: Bach vor allem, aber auch Schubert oder Schumann. Da er der Regierung Schröder/Fischer nur eine Amtszeit angehören wollte, vereinbarte er schon zwei Jahre zuvor mit dem wunderbaren Opernsänger Thomas Quasthoff, dass der zu seinem Abschied im Jahr 2003 singen würde. Schuberts Lied erklang: "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus".

Der Wirtschaftsminister hieß Werner Müller und ist nun am 15. Juli gestorben. Er war in beiden Welten zu Hause wie wenige: in der Politik wie in den Konzernen. Er gehörte keiner Partei an, er ließ sich nicht vereinnahmen. Auf ein Quantum Fremdsein legte er Wert. Das bescherte ihm die Unabhängigkeit, die seine allergrößte Stärke war: im Denken, im Handeln. Daran erinnerten bei der Trauerfeier am Samstag Gerhard Schröder, der Altkanzler, und Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.

Manchmal muss man gar nicht lügen

Auf Trauerfeiern spricht man über Stärken, nicht über Schwächen. Es sprechen die Freunde, nicht die Feinde. De mortuis nihil nisi bene: Nichts Schlechtes über die Toten. Manchmal muss man aber gar nicht mit der Wahrheit lügen. Werner Müller ist so ein Fall, denn er war wirklich ein Mensch mit großen Stärken und geringen Schwächen.

Der rot-grüne Atomausstieg im Jahr 2002: sein Werk. Die Veränderungen im Ruhrgebiet: ohne ihn nicht zu denken. Das allmähliche, systematische Auslaufen des Steinkohlebergbaus mit dem Endpunkt am 21. Dezember 2018: von ihm verhandelt. Die Gründung der Evonik als Spezialchemiekonzern: war er auch. Die Finanzierung der Ewigkeitsschäden im Bergbau durch eine Stiftung: seine geniale Idee, schlau durchgesetzt gegen massiven Widerstand.

Im Ruhrgebiet, das für ganz Deutschland Kohle aus der Erde holte, nannte man Müller den letzten Ruhrbaron. Mehr Ehrerbietung ist nicht denkbar.

Der Schreibtisch: aktenfrei

Für ein Buch über die Geschichte dieser Region habe ich Werner Müller häufig in seinem Büro besucht. Nicht groß. Keine Insignien der Macht, keine Trophäen, keine Eitelkeitsbildergalerie. Über dem Schreibtisch hingen zwei belanglose Drucke, die der Vorgänger hatte aufhängen lassen. Hingen da, störten nicht, waren egal. Der Schreibtisch: aktenfrei. Ein runder Tisch mit vier Stühlen für Gäste. Das war’s. Er wohnte ja nicht hier, er arbeitete hier nur.

Immer trug Werner Müller einen Dreiteiler, ganz selten ohne Krawatte. Etwas Ältliches, jedenfalls Konservatives strahlte das aus. Auf dem Stövchen stand die Teekanne, aus der CD-Anlage strömte klassische Musik. Seine Stimme leise, die Augen wach, Ironie und Selbstironie als Lieblingsgedankenfiguren. Seine Besucher begleitete er nach unten bis zur Tür. Alte Schule. Und immer eindrucksstark.

Er behielt gern die Kontrolle, ist ja klar, und mochte es nicht, wenn er sie kurzfristig verlor, auch wenn es nur um die Deutung seiner Biografie ging. Er schätzte Journalisten, er fand sie interessant, mit manchem war er sogar befreundet. Er benutzte sie aber auch, wenn er im Konzern etwas erreichen wollte und Öffentlichkeit sinnvoll erschien. Seinen Gegnern war er überlegen durch Gedankenschnelligkeit und Weitsicht, politisch sowieso.

Eine Doppelbegabung

Werner Müller war eine Doppelbegabung. Als Schüler fuhr er mehrmals wöchentlich mit dem Zug von Meppen nach Osnabrück, 82 Kilometer hin und her. Dort lebte ein vorzüglicher Klavierlehrer. Als Student schrieb er sich für Volkswirtschaftslehre und Klavier ein. Er wollte Pianist werden.

Er wurde es nicht. Das Drama seines Lebens bestand darin, dass ihm vor größerem Publikum der Tremor überkam: Seine Hände fingen an zu zittern.

So wurde er Manager und bekam es im Laufe seines Berufslebens mit allen Formen der Energie zu tun: Atom, Kohle, Sonne, Wind. So wurde er Minister, der das Vertrauen von Oskar Lafontaine und von Jürgen Trittin gewann. Er war ein Fremder, er gehörte keiner Clique an, er war ein eigenständiger Kopf, der für sich behalten konnte, was nur für ihn bestimmt war.

In der lauten, indiskreten Welt war Werner Müller ein Muster an Diskretion.


Die Trauerfeier im Essener Münster hätte ihm gefallen, kein Zweifel, er hatte sie sich ja auch ausgedacht. Dreimal Bach am Klavier, einmal kraftvoll und klar, zweimal leise und hell. Dann der Bergmannschor mit dem Steigerlied, das sie auch auf Schalke vor jedem Spiel singen, inbrünstig. Viele Tränen, gehört sich auch so.

Fremd ist er eingezogen, fremd zieht er wieder aus. Wie wir alle. Rest in peace.

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