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Richter-Wahl: Spahn spaltet die Koalition – der SPD fällt nichts mehr ein


Spahn nach Richter-Wahl im Fokus
Gab es einen Deal?

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

14.07.2025 - 13:32 UhrLesedauer: 4 Min.
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Jens Spahn im Bundestag: Auf wen baute er bei der Abstimmung über die Verfassungsrichter? (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)
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Die Koalition spekulierte auf eine Mehrheit bei der Richterwahl, die sie allein nicht beschaffen konnte. Auf wen baute eigentlich Jens Spahn?

Wir müssen mal ein Rechenexempel anstellen. 630 Abgeordnete sitzen im Bundestag. Für die Wahl neuer Richter in das ehrenwerte Bundesverfassungsgericht ist eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mandatsträger erforderlich; das sind im äußersten Fall 420 Abgeordnete.

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Die Absprache über drei zu wählende Richter schloss die Grünen ein, sodass insgesamt 413 Abgeordnete aus dieser Oppositionspartei gemeinsam mit der Regierung bereit zu sein schienen, das Bundesverfassungsgericht mit drei neuen Mitgliedern aufzufüllen – zahlenmäßig zu wenige, weil 413 nun mal weniger sind als 420.

Warum eigentlich wiegte sich Jens Spahn (CDU), die entscheidende Figur im Rechenexempel, im Glauben, dass die Wahl dennoch gut ausgehen würde? Wo wollte er die fehlenden sieben Abgeordnete herholen, um dieses gewünschte Quantum zusammenzubekommen? Gab es einen Deal – und wenn ja, mit wem? Und was signalisierte er zur Beruhigung des Kanzlers, der ja wohl auch rechnen kann?

Gerhad Spörl

Zur Person

Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.

Eine selbst gestellte Falle

Die Regierung ist in eine selbst gestellte Falle gelaufen. Dort drinnen stecken sie in schöner Eintracht – Jens Spahn, Friedrich Merz und Lars Klingbeil. Das dröhnende Schweigen des Oberschwadroneurs Markus Söder zu diesem peinlichen Vorkommnis, das zur Absetzung der Richterwahl von der Tagesordnung führte, ist herrlich beredt. Er begehrt, nicht schuldig zu sein. Er überlässt die Selbstdemütigung großzügig dem unglücklichen Trio.

Es wäre so einfach gewesen. Die Linke drängt sich geradezu danach, mitspielen zu dürfen. Ja, mit ihrem Antikapitalismus, dem Anti-Nato-Kurs und ihrer Russophilie sticht sie unerfreulich heraus. Aber zugleich will sie den Staat mittragen, denn sonst wäre der zweite Kanzlerwahlgang damals im Mai nicht möglich gewesen.

Die Union hätte nur noch einmal, wie etwa bei der Wahl Bodo Ramelows zum Vizepräsidenten des Bundestags, über ihren Schatten springen müssen. Noch besser wäre es, sie würde den Unvereinbarkeitsbeschluss zur Zusammenarbeit mit der Linken ganz kassieren. Und schon wäre die Regierung aus dem Schneider.

Die Mitte ist nicht länger, was sie mal war

So aber war das Desaster am vergangenen Freitag eine Demonstration, wie schwach es um die Mitte in Deutschland bestellt ist. Numerisch sowieso, denn Union und SPD kommen ja zusammen auf nur 44,9 Prozent, aber eben auch politisch. Vor allem dem Bundeskanzler stünde Konsequenz gut an, anstatt mal so, mal anders aus der Bredouille zu kommen.

Die Abstimmung mit der AfD für eine Verschärfung des Einwanderungsrechts kam im Publikum nicht gut an, sodass Merz die Brandmauer wieder hochzog. Die Linke, um demokratische Legitimation bemüht, behandelte er wieder als Schmuddelkinder, mit denen man nicht spielt, nachdem er sie dringend zu seiner Wahl gebraucht hatte. Wie wäre es mit ein bisschen mehr Geradlinigkeit?

Die Mitte ist nicht länger, was sie mal war – der Stabilitätsanker der Republik. Sie ist schon gar nicht mehr der mythische Ort, wo prinzipiell Wahlen gewonnen werden. Die FDP: abgestraft. Die SPD: marginalisiert. Die CDU: unter ihren Möglichkeiten. Die CSU: in Egomanie erstarrt. Anstatt das Land weiterhin auf gut Glück aus der Mitte zu regieren, muss die Union die Mitte erweitern. Die Alternative lautet aber nun mal: Linke oder AfD.

Spahn trägt die Verantwortung

Für das Freitagsdrama trägt Jens Spahn die Verantwortung. Ureigene Aufgabe des Fraktionschefs ist die Beschaffung der nötigen Mehrheit für Gesetze oder eben Richterwahlen. Vermutlich dämmert dem Kanzler, dass er den Falschen an diesen eminent wichtigen Platz gesetzt hat.

Spahn ist ein Einzelgänger. Ein Provokateur. So ist er zur öffentlichen Figur geworden. Das Spalten liegt ihm näher als das Zusammenhalten. Aus jüngster Zeit im neuen Amt bleibt Folgendes von ihm in Erinnerung: Mit der AfD sollte man wie man anderen Oppositionsparteien auch umgehen. Und Deutschland müsse eine führende Rolle bei der Diskussion über einen europäischen Atomschutzschild einnehmen.

Das ist der alte Spahn, dem es aufs Aufsehen ankommt, nicht auf die Sache. Der neue Spahn, auf den Merz gehofft haben mag, ist in weiter Ferne, wie wir seit der abgesetzten Richterwahl wissen. Ihm mangelt es auch an Anstand, denn sonst hätte er die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf nicht so schmählich als Vorwand für sein Scheitern missbraucht.

Als sich zu allem Überfluss abgezeichnet hatte, dass einige Abgeordnete der Union, befeuert von beiden Kirchen, plötzlich unüberwindbare Bedenken überkamen, gefiel es Spahn, die SPD-Kandidatin als Grund zu nennen, weshalb das ganze Verfahren ausgesetzt werden müsse.

Wenn eine Partei Probleme mit einer Kandidatin oder einem Kandidaten hat, ist es gute Übung, sie diskret im Vorweg zu äußern. Dann wird niemand beschädigt. Dass nun aber die Union erst kurz vor der Abstimmung grundsätzliche Einwände entdeckte, ist armselig. Und dass Spahn einen zu recht hoch umstrittenen Mann, der sich Plagiatsjäger nennt, als Kronzeugen gegen die Kandidatin heranzog, stellt ihm selbst ein vernichtendes Zeugnis aus.

Der SPD fällt nichts mehr ein

Frauke Brosius-Gersdorf soll sich nun den Unions-Abgeordneten zur Befragung stellen. Warum sollte sie? Muss sie sich für ihre Haltung zum Abtreibungsrecht rechtfertigen? Oder für einen Satz, den sie mit ihrem Mann in ihrer Doktorarbeit geteilt hat? Ich glaube nicht, dass sie zum Rapport antreten wird. Ist sie gut beraten, zieht sie ihre Kandidatur zurück.

Lars Klingbeil muss sich vielleicht bald schon eine andere Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht suchen. Ihm gelingt es nicht, die Krise zu seinen Gunsten zu wenden. Stattdessen macht seine SPD, was sie gerne macht: Sie jammert über die Ungerechtigkeit der Welt und die Infamie der Union. Darüber hinaus fällt ihr nichts ein.

Friedrich Merz und Jens Spahn haben einiges zu bereden. Das Missmanagement, das Rechenexempel betreffend, stellte die Reformen in den Schatten, mit denen die Regierung die deutsche Wirtschaft wieder in die Spur setzen will. Wahrlich eine glanzvolle Leistung.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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