Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kollaps der Kommunen Alle Demokratie beginnt im Dorf – und geht auch dort zugrunde

Der Bund schafft Probleme im XXL-Format, die die Kommunen ausbaden müssen. Die pfeifen auf dem letzten Loch. Die Folgen sind nicht nur finanzieller Natur. Sie gehen an die Grundfesten des Gemeinwesens.
Neulich war ich eingeladen zu einer intellektuell wirklich bereichernden Veranstaltung. Die Weimarer Gespräche 2025, initiiert von der Bertelsmann Stiftung zusammen mit der Deutschen Nationalstiftung, hatten ein schönes Viereck an illustren und klugen Leuten an eine große Tafel im Festsaal des Rathauses gebeten. Um der Frage nachzugehen, warum es auch hierzulande Anzeichen für eine Erosion der Demokratie und des solidarischen Gemeinwesens gibt. Und was man dagegen tun kann. Darunter Dirk Neubauer, der als Landrat von Mittelsachsen aufgab, weil er die Bedrohungen gewaltbereiter Antidemokraten gegen sich und seine Familie nicht mehr aushielt. Und auch ein junger Mann von 25 Jahren, der als ehrenamtlicher Bürgermeister von Gartz, einem Dorf mit knapp 3.000 Einwohnern in Brandenburg, mit großem Idealismus den vertrockneten Gemeinsinn des Ortes wie eine zarte Pflanze wieder grünen lässt.

Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.
Es gab vielfältige Beiträge. Aber in einem Punkt waren sich alle Experten einig, bis hin zum thüringischen Ministerpräsidenten Mario Voigt: Die Kommunen pfeifen auf dem letzten Loch, sie rollen auf der Felge, sie kollabieren. Weil der Bund Probleme schafft oder vorhandene nicht löst, auf denen er die Kommunen dann sitzen lässt.
Gerade ist es den Gebietskörperschaften unterhalb des Bundes gelungen, die negativen Folgen des Investitionsboosters bei der Gewerbesteuer vom Bund kompensieren zu lassen. Sie wollen aber mehr, das ist noch keine grundsätzliche Reform des finanziellen Bund-Länder-Verhältnisses. Da ist etwas in furchtbarer Schieflage, die die Kommunen nicht mehr ausgleichen können. Der Kämmerer einer Stadt kann nicht mit einer Zweidrittelmehrheit einen hunderte Milliarden großen Haufen Geld namens Sondervermögen aufnehmen und die Geldprobleme in die weite Zukunft beamen.
Die Arbeitsteilung stimmt nicht mehr
All politics is local. Sagt man. Warum ist das so? Weil der Mensch nicht im Bund lebt, er lebt auch nicht zuvorderst im Bundesland x oder y. Das sind politische Verwaltungseinheiten. Aber keine Wohnorte. Er wohnt in der Kommune. Zu Deutsch: in einem Dorf, in einem Markt, in einer Stadt. Die Wohnorte und die Landkreise sind die untersten Verwaltungseinheiten in unserem subsidiär-föderalen System. Das grob vereinfacht so funktioniert: Die vergleichsweise kleinen Probleme (Kinderspielplatz, Verkehrsberuhigung) werden unten gelöst, die mittleren (Bildung, Unis) im Bundesland, und die großen in Berlin, im Bund.
Doch das Subsidiäre hat sich umgekehrt. Die oberste Ebene reicht die Probleme nach unten durch. Dort wirkt sich Politik dann aus. Wird erlebt, wird gespürt am eigenen Dasein. Und an einer Schieflage zwischen denjenigen, die das solidarische System finanzieren. Und jenen, die nicht finanzieren und doch profitieren. Das sorgt dort, wo es passiert, für sehr böses Blut.
Merz im Sommerinterview
Bundeskanzler Friedrich Merz hat das gerade in seinem ersten Sommerinterview thematisiert. Es sei nach geltendem Recht so, dass Bezieher von Sozialleistungen, Bürgergeld oder Asylbewerberleistungsgesetz praktisch jede Miete zu zahlen bereit sind, weil das Amt sie übernimmt. Er sprach von bis zu 20 Euro je Quadratmeter. Bei der Konkurrenz um knappen Wohnraum können da viele Einzahler ins System nicht mithalten. Jeder und jede, der oder die schon mal eine Wohnung neu zu vermieten hatte, kennt das Phänomen: Für die Interessenten, die Unterstützung bekommen, ist die Miethöhe nicht so entscheidend, es zahlt das Amt.
Ein Umstand, der in den Kommunen in die Kassen haut. Und der in der Mitte der Bevölkerung zu verständlichem Missfallen führt.
Die jährlichen Kosten, die deutschen Kommunen im Zusammenhang mit Migration entstehen, variieren erheblich und sind schwer exakt zu beziffern. Schätzungen zufolge belaufen sich die kumulierten Ausgaben der Kommunen für migrationsbezogene Aufgaben im Zeitraum von 2015 bis 2025 auf etwa 80 bis 100 Milliarden Euro, was einem Durchschnitt von rund 8 bis 10 Milliarden Euro pro Jahr entspricht. Die Kosten setzen sich wie folgt zusammen:
Unterbringung und Versorgung: Bereitstellung und Betrieb von Unterkünften, Verpflegung, Kleidung und medizinischer Grundversorgung.
Sozialleistungen: Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sowie andere Unterstützungsleistungen.
Bildung und Integration: Kosten für Sprach- und Integrationskurse, Schulbildung und Kinderbetreuung.
Verwaltung und Personal: Zusätzlicher Personalbedarf in Behörden, Sicherheitsdiensten und sozialen Einrichtungen.
Zwar erhalten Kommunen finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern, jedoch decken diese Mittel nicht immer alle anfallenden Kosten. Beispielsweise berichtete der Kreis Warendorf in Nordrhein-Westfalen laut dem Fachblatt "Kommunal" von Gesamtkosten in Höhe von etwa 260 Millionen Euro seit 2015, von denen rund 219 Millionen Euro erstattet wurden, was einem Eigenanteil von etwa 41 Millionen Euro entspricht. In anderen Fällen, wie in der Stadt Düsseldorf, lag die Erstattungsquote bei lediglich rund 30 Prozent der Gesamtkosten.
Wie die Rücklage in einem Mehrparteienhaus
Zu den etwa acht Milliarden bei den Kommunen kommen 70 Milliarden jedes Jahr beim Bund. Das war auch die Zahl, die die Union im Wahlkampf thematisiert hat. Kosten in dieser Dimension über einen langen Zeitraum bleiben nicht spurenlos. Im Grunde ist es wie bei den Instandhaltungsrücklagen in einem gemeinsamen Wohnhaus. Irgendwann sind sie aufgebraucht, wenn zu viele in diese nicht einzahlen, aber trotzdem daraus Geld verbrauchen. Und andere immer mehr einzahlen zum Ausgleich. Das heißt dann: Sonderumlage oder Erhöhung des monatlichen Rücklagenbeitrags.
Das erlebt der homo politicus localis gerade nicht nur daran, dass die Gemeinden die Freibäder entweder dichtmachen oder mit Ach und Krach weiterbetreiben – unter verhaltensseitig radikal veränderten Verhaltensweisen der Badegäste, die es früher so auch nicht gab.
Beim Bürgergeld ist es so, dass etwa die Hälfte der Bezieher Ausländer sind. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt hingegen laut Statistischem Bundesamt bei 14,8 Prozent. Wir reden beim Bürgergeld für alle Bezieher inzwischen von mehr als 40 Milliarden Euro im Jahr. Zusammen mit dem Asylbewerberleistungsgesetz und den Kosten der Unterkunft ist das das kritische Dreieck aus Migration, Bürgergeld und Sozialleistungen, in denen zu viel Geld verdampft. Übrigens auch das der Krankenkassen. Über zehn Milliarden Euro groß klafft bei ihnen neuerdings das Loch. Ungefähr der Betrag, der durch Bürgergeldempfänger bei ihnen als Kosten aufläuft. Die Folge ist klar: Die Beiträge für die Beitragszahler werden weiter steigen. Oder das Loch wird aus dem allgemeinen Haushalt genommen. Für die arbeitende Bevölkerung ist das einerlei: linke Tasche, rechte Tasche.
Der frühere CSU-Chef und Bundesinnenminister Seehofer hat einmal gesagt, die Migration sei die Mutter aller Probleme. Was hat er dafür Prügel bekommen. Was er damit meinte, stimmt aber. Sie führt seit einem Jahrzehnt zu realen Problemen. Realen Problemen und einem gestörten Gerechtigkeitsgefühl obendrauf. Dieses kritische Dreieck muss in den Griff bekommen werden. Nur dann sind die Leute bereit, für die solidarische Hausgemeinschaft weiter in diesen Topf einzuzahlen. Und politisch nicht den Bänkelsängern der schlechten Laune, der AfD oder dem BSW, zu erliegen.
Wechselseitiges Glaubensbekenntnis
Neuerdings redet man gerne von einem Störgefühl. Egal, ob das jetzt ein schönes Wort ist oder nicht. Genau dieses Störgefühl haben an der Stelle viele. Zu Recht. Sie zahlen ein, egal, ob in ein Umlagesystem wie die Rente oder ein Versicherungssystem wie die Krankenkasse. Und andere ziehen permanent raus, ohne einzuzahlen. Was wieder die Beiträge steigen lässt. Das ist ganz bestimmt das falsche Umlageprinzip. Und setzt einen fürchterlichen Teufelskreis in Gang, der die Demokratie an ihren Wurzeln verfaulen lässt.
Wenn sich das nicht ändert, können sich im ehrwürdigen Festsaal des Rathauses zu Weimar jedes Jahr aufs Neue die Glaubensfesten ihres Glaubens an die Demokratie versichern. Dann fühlt sich das weiterhin gut an für die Beteiligten. Ändert aber gar nichts.
- Eigene Überlegungen,
- https://www.dw.com/de/bericht-mehr-als-70-milliarden-euro-kosten-f%C3%BCr-fl%C3%BCchtlingspolitik/a-43855735,
- https://kommunal.de/das-geben-kommunen-fuer-migration-wirklich-aus-was-bund-und-laender-erstatten