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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte zu Lanz-Auftritt von Brosius-Gersdorf "Das nimmt der Verteidigung jegliche Kraft"

Es war ein mit Spannung erwarteter Auftritt: Jura-Professorin Frauke Brosius-Gersdorf erklärte sich in der Talksendung von Markus Lanz. Das war ein Fehler, sagt ein Experte für Krisenkommunikation.
Nachdem ihre Wahl zur Richterin am Bundesverfassungsgericht und die zweier weiterer Kandidaten am vergangenen Freitag im Bundestag abgesagt worden war, hat sich die Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf am Dienstag erstmals selbst zu Wort gemeldet. Morgens gab sie zunächst eine schriftliche Stellungnahme über eine Anwaltskanzlei ab, abends stellte sie sich den Fragen des Moderators Markus Lanz in seiner gleichnamigen Sendung.
Der Experte für Krisenkommunikation, Marcus Ewald, kritisiert, sie hätte dort eindeutiger erklären müssen, ob sie weiterhin für eine Wahl zur Verfügung stehe oder nicht. Im Interview mit t-online erklärt er, was aus seiner Sicht falsch lief.
t-online: Herr Ewald, wären Sie als Krisenberater von Frauke Brosius-Gersdorf zufrieden mit ihrem Auftritt bei Markus Lanz?
Marcus Ewald: Nein. Wenn er einen strategischen Zweck hatte, habe ich ihn nicht erkannt. Wollte sie nach den Angriffen Mitleid erregen, war das mit der Schilderung ihrer Situation erfolgreich. Aber: Nutzt das? Denn natürlich verzweifeln auch mächtige und weise Leute und haben schlaflose Nächte, aber ich würde bei einer möglichen Person für eine Funktion von staatstragender Größe erwarten, dass sie da zumindest nach außen drüber steht. Der Auftritt war nicht hilfreich.
Wieso das?
Die Angriffslust wird nicht nachlassen, weil sie gezeigt hat, dass sie offenbar getroffen wurde. Die, die versuchten, sie zu verhindern, werden jetzt noch eine Schippe drauflegen. Denn: Sie hat ja eben noch nicht zurückgezogen. Aber auch nicht klar ihren Willen erklärt. Wenn sie sagt, sie stehe nicht mehr zur Verfügung, wenn es der Reputation des Bundesverfassungsgerichts schadet, dann müsste sie im gleichen Satz sagen, dass sie es deswegen jetzt nicht mehr machen wird.
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Und so ein Auftritt kann nicht geplant sein, um einen solchen Rückzug vorzubereiten?
Wozu? Wenn sie sich zurückziehen will, kann sie das ja, welchen Sinn hätte es dann, eine Plattform in politischen Scharmützeln zu suchen? Aus der Krisenkommunikation heraus sehe ich nur einen wirklich relevanten Aspekt für den Auftritt: Sie wird ja auch in einer Sache wissenschaftlich angegriffen, nämlich der Plagiatsfrage. Die dreht sich nämlich um ihre Kernrolle als Wissenschaftlerin und geht damit über die Frage der Richterwahl hinaus. Aber wenn es darum ging, war ihr Auftritt auch nicht sinnvoll.

Zur Person
Marcus Ewald ist der Geschäftsführende Gesellschafter von Dunkelblau, einer Unternehmensberatung für Krisenkommunikation, Krisenmanagement und Strategieberatung. In den vergangenen Jahren hat Ewald mit dem Unternehmen 450 Kunden in akuten Krisen und Ausnahmesituationen geholfen, möglichst unbeschadet daraus hervorzugehen. Bis 2021 war Ewald fünf Jahre Vorsitzender des Jungen Wirtschaftsrats.
Weil sie dazu nichts Klares sagen konnte?
Zu sagen, der Anwalt äußert sich morgen, dafür habe ich Verständnis. Aber das nimmt der Verteidigung jegliche Kraft. Vorher dachte ich, dass das Plagiatsthema ein absoluter Strohmann war. Mit ihrem Auftritt hat sie da Unsicherheit geschürt. Und noch mal wird sie jetzt nicht bei Lanz sitzen und genau erklären können, welche Feinheiten der Anwalt möglicherweise morgen behandelt. Da hätte ich ihr gesagt: Strategisch und vom Timing her Blödsinn, mach's doch einen Tag später.
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Konnte sie denn Menschen gewinnen mit dem Auftritt?
Es wäre vordringlich nicht darum gegangen, die Leute zu gewinnen. Sondern darum anzuerkennen, dass in schweren Grundsatzfragen wie der Religionsausübung, bei körperlicher Unversehrtheit und im Verhältnis der Bürger zum Staat Leute, wenn sie auf unterschiedlichen politischen Seiten stehen, zu Recht auch mit harten Bandagen kämpfen müssen, weil das wirkliche Grundsatzfragen sind. Verfassungsfragen berühren eben die Leben aller. Bei der Impfpflicht-Frage von Lanz hat sich ganz deutlich gezeigt, dass sie für sich nicht runterdekliniert bekommen hat, dass das Menschen tief emotional berührt. Der Auftritt hat eher den Eindruck erweckt, dass sie auch als mögliche Verfassungsrichterin die tiefe politische Wirkung ihrer neuen Rolle nicht erfasst und weiterhin zutiefst wissenschaftlich denken wird.
Und das soll falsch sein?
Wenn sie das tut, muss sie zumindest anerkennen, dass auch die Wahl von Forschungsschwerpunkten oder die Bewertung von Grundsatzfragen immer auch mit persönlichen politischen Überzeugungen zu tun hat. Das weist sie mehrfach zurück. Die Debatte weniger zu polarisieren, ist auf jeden Fall wichtig. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sie es damit jetzt geschafft hat.
In einer Krisensituation ist ja nicht nur sie. Was kann Jens Spahn für die Unionsfraktion mitnehmen?
Aus dessen Sicht wüsste ich nach diesem Auftritt jetzt nicht, ob sie es weiter werden möchte oder nicht. Das macht seine Arbeit zur Mehrheitsbeschaffung quasi unmöglich. Er wird auch in der Fraktion gefragt werden, was das für ein Auftritt war, ob sie jetzt will oder nicht. Der Auftritt wird jetzt auch für viele noch ein Argument mehr sein, dass sie es nicht werden sollte. Diejenigen, die sie kritisiert haben, werden sich sehr bestätigt sehen.
Vielen Dank für das Gespräch.
- Gespräch mit Marcus Ewald