t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikTagesanbruch

Frankreichs Schuldenkrise: Warum der Premier unter Druck steht


Tagesanbruch
Dringende Warnung für Deutschland

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 17.07.2025 - 07:20 UhrLesedauer: 7 Min.
imago images 0825930903Vergrößern des Bildes
François Bayrou ringt mit Frankreichs Schuldenberg. (Quelle: IMAGO/Fabrice Chassery/imago)
News folgen

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wir müssen über Geld reden. Denn die Kassen sind leer, das Latein ist am Ende – oder vielmehr das Französisch. Zwischen Mont Blanc, Bretagne und Côte d'Azur schafft es selbst die Sommersonne nicht mehr, die tiefschwarzen Löcher im Staatshaushalt aufzuhellen. Dass die "kolossalen" Miesen wie "ein Damoklesschwert" über Land und Leuten schweben, wusste schon im vergangenen Jahr Premierminister Michel Barnier. Seitdem hat sich in Frankreich einiges getan: Der sparwillige Premier ist längst weg vom Fenster – aber der Schuldenberg und das Riesenloch im Haushalt, das den Berg weiterwachsen lässt, sind noch da.

Im großen Stil neue Schulden aufzutürmen, das tut unser wichtigstes Nachbarland nicht allein. Auch Deutschland hat das Miesemachen für sich entdeckt, wobei es natürlich besser klingt, wenn man es "Sondervermögen" nennt oder "Investitionsbooster". Die Erleichterung über den Geldregen ist vielerorts groß: Weil die Zwangsjacke der Schuldenbremse einer Bundesregierung nach der anderen die Hände band, verrottete die Infrastruktur, und die Bundeswehr zog auch schon mal mit Besenstielen anstelle von Gewehren ins Nato-Manöver. Stimmt schon: So konnte es nicht weitergehen. Die neue Lizenz zum Geldausgeben birgt jedoch Tücken. Um die zu erkennen, informieren wir uns am besten bei den Experten, und die sitzen in Paris.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Die Erbsenzähler unter den Tagesanbruch-Lesern werden an dieser Stelle vielleicht die Nase rümpfen: Wie bitte, in Paris? Was ist denn mit Griechenland und dessen alles überragendem Schuldenberg? Was ist mit den Rumänen und ihrem atemberaubenden Rekorddefizit?

Erstens: Korrekt, die Griechen sind Europameister bei den Schulden. Das sind Altlasten vergangener Exzesse. Aber bei den laufenden Ausgaben liegen sie im Plus und stehen erheblich besser da als Deutschland, das in Europa als Maßstab der Solidität gilt.

Zweitens: Wieder korrekt, bei den Rumänen leckt das Geld aus dem laufenden Haushalt, dass man die Feuerwehr zum Abpumpen rufen müsste. Unfassbare 9,3 Prozent der Wirtschaftsleistung hat die Regierung in Bukarest im vergangenen Jahr über ihre Verhältnisse ausgegeben. Der einsame Spitzenreiter in der EU hat jedoch früher erheblich besser aufgepasst und, gemessen an der Größe seiner Wirtschaft, über die Jahre weniger Gesamtschulden aufgetürmt als Deutschland.

Drittens: Ein Hoch auf die Erbsenzähler! Denn ohne die geht beim Wirtschaften einiges in die Hose. Wer zählt, weiß Bescheid. Wer zählt, ist aber auch eine Spaßbremse, die keiner mag. Womit wir wieder in Frankreich angelangt sind.

Die Franzosen sind nämlich beim Schuldenmachen die Meister aller Klassen, weil dort zusammenwächst, was besser nicht zusammengehört. Sie belegen Platz drei in der EU bei beidem: dem laufenden Defizit und dem bereits aufgetürmten Schuldenberg. Diese Kombination ist eine tödliche Gefahr. Sagt nicht das journalistische Stimmchen eines Tagesanbruch-Autors, sondern der Mann, der dafür den Kopf hinhalten muss: François Bayrou, der gegenwärtige französische Premier, der sich an den Horrorfinanzen abrackern muss. Er hat sich einiges ausgedacht, damit Frankreich von der "Kliffkante", wie er es nennt, ein paar Schritte Abstand gewinnen kann. Zwei Feiertage streichen zum Beispiel, darunter den Ostermontag – und schon bei der bloßen Erwähnung denken Sie sich das Geheul der Opposition bitte ohrenbetäubend dazu. Renten einfrieren. Beamtengehälter deckeln. Sozialausgaben kürzen. Steuern erhöhen. Ja, Monsieur Bayrou ist ein Erbsenzähler, der recht hat und den keiner mag.

Vergrößern des Bildes

Wahrscheinlich sind nun auch seine Tage als Premier gezählt, weil er im Parlament für seine Pläne keine eigene Mehrheit bekommt. Genau wissen wir das irgendwann im Herbst, wenn er das Budget der Schmerzen zur Abstimmung stellt. Aber im Pariser Politikbetrieb werden schon jetzt Wetten abgeschlossen – allerdings nicht darüber, ob es für ihn vorbei ist. Sondern wann.

Apropos Timing: Es ist noch gar nicht so lange her, da blickten wir aus Deutschland nicht mit Gruseln nach Paris, sondern voller Bewunderung, gemischt mit einer Portion Neid. Der Vergleich beider Länder ließ unseren Nachbarn leuchten: Deutschlands Wirtschaft in der Krise? Frankreich boomt! Rezession hüben, klingelnde Kassen drüben. Die ökonomische Katastrophe der Corona-Pandemie perlte an Frankreichs Business und Bürgern in bewundernswerter Weise ab, der Inflationsschock durch den Krieg in der Ukraine auch.

Wie haben unsere Nachbarn das bloß so super hinbekommen? Tja, da gibt es was zu beichten: Spendabel und hilfreich war der Staat für seine Bürger, viel zu viel ausgegeben hat er dabei aber auch. Alle haben sich doch so gefreut. Es musste einfach sein. Und weiter lief es auch. Die liebgewonnene Unterstützung wieder abzudrehen, macht nämlich kolossal unbeliebt. Natürlich sparen wir wieder, lautete daher die Strategie der Politiker in Paris. Machen wir! Morgen. Bestimmt. Oder so.

Das französische Wirtschaftswunder wurzelte in einem gigantischen Schuldenberg. Deshalb erleben die Franzosen jetzt ihr nächstes Wunder, aber ein blaues. Wahrhaben möchte das keiner, aber weitergehen kann es so nicht mehr. Schon jetzt zahlt sich die Grande Nation an den Zinsen für ihre Schulden dumm und dusselig. Wenn sich der Kurs nicht fix ändert, werden es 2029 – halten Sie sich fest – 100 Milliarden Euro Zinsen sein, auf gut Deutsch also "eine Zeitenwende", aber nicht einmalig, sondern jedes Jahr. Und ohne, dass damit auch nur ein Cent zurückgezahlt wäre. Das ist der Abgrund. Erste Kommentatoren orakeln schon von der drohenden Staatspleite.

Was lernen wir daraus? Erstens, dass es nicht verkehrt ist, richtig viel Geld in die Hand zu nehmen, wenn die Situation es erfordert. Paris ist besser mit den letzten Großkrisen umgegangen als Berlin. Zweitens darf man aber nie vergessen, dass die Rechnung unweigerlich kommt. Beim Kleckern und beim Klotzen geht es nicht darum, ob eines grundsätzlich besser ist als das andere – sondern wann man umschaltet. Der Tag, an dem man wieder auf die Bremse tritt, darf nicht der Tag sein, an dem man auf die Bremse treten muss. Vielmehr sollte man es vorher tun, solange man noch steuern kann. Andernfalls endet man da, wo die Franzosen heute sind: in der existenziellen Krise.


Mach weiter, Peymann!

Loading...
Loading...
Täglich mehr wissen

Abonnieren Sie kostenlos den kommentierten Überblick über die Themen, die Deutschland bewegen. Datenschutzhinweis

Peymann lebt. Was denn sonst. Typen wie er können gar nicht sterben. Höchstens ziehen sie ein Stockwerk höher, um über den Wolken weiter zu wirbeln. Insofern ist die Nachricht von gestern Abend, dass der größte deutsche Theatermacher der Nachkriegszeit gestorben sei, vor allem eines: eine Anmaßung.

Wie sollte denn einer wie Claus Peymann abtreten können? Er hat doch Energie für zehn Leben. Er hat gebrannt für das Theater, dieses verstaubte Biest, das er wachgerüttelt hat, angeschrien, getreten, bis es wieder blutete. "Die Lust am Untergang und an der Auferstehung waren sein Element", schreibt der Dramaturg Ulrich Khuon in seinem Nachruf für unsere Redaktion.

Peymann holte Thomas Bernhard auf die Bühne, mit Schaum vor dem Mund und mit Gift im Stift. "Heldenplatz": ein Schlag ins Gesicht der österreichischen Gesellschaft, die ihre Nazis lieber totgeschwiegen hätte. Peymann machte da nicht mit, sondern inszenierte mit schonungslosem Zorn und subtiler Eleganz den größten Bühnenskandal. Machte aus dem Wiener Burgtheater einen Hexenkessel und warf den tobenden Reaktionären Kusshände zu. Seine Inszenierungen für Gert Voss, Kirsten Dene und Ilse Ritter waren Gottesdienste. Auch in Bochum, Frankfurt und Hamburg schwärmen Theaterfreunde noch heute von seinen Stücken, in Stuttgart sang ihm das Publikum nach dem letzten Vorhang spontan einen Abschiedskanon. Später schleppte er seine Kunst ans Berliner Ensemble, wo Brechts Geist schon lange eingeschlummert war – bis Peymann kam und ihm den Schlaf aus den Augen brüllte. Auch hier: stets volles Haus.

Der Mann war ein künstlerischer Berserker. Ein Typ, der Theater nicht als Kunstdarbietung verstanden hat, sondern als existenziellen Boxkampf. Jeder Abend ein Aufstand, jeder Satz ein Bekenntnis. Die Kritiker wüteten, das Publikum tobte — mal vor Freude, mal vor Wut. Und Peymann stand da, mit seiner wilden Mähne, den klobigen Schuhen und dem ewigen Trotz im Gesicht: "Herrlich!", schien er zu brummen, "es muss krachen!"

Jetzt ist er droben. Hoffentlich gönnt er sich auch dort keine Minute Ruhe, spannenden Stoff gibt es da vermutlich auch. Vielleicht trifft er ja den Voss wieder, das würde man gern sehen. Bis es für uns selbst so weit ist, bleibt uns Erdlingen nur die Erinnerung an unvergessliche Theaterabende. Danke dafür, Peymann!


Eskalation in Syrien

Toleranz, Schutz und Mitbestimmung hat die junge syrische Regierung den religiösen Minderheiten des Landes versprochen. Die Realität unter Interimspräsident Ahmed al-Scharaa sieht anders aus: Nachdem es im März zu Massakern an Alewiten gekommen war, eskalieren nun Kämpfe zwischen Drusen-Milizen, sunnitischen Beduinen und Regierungstruppen in der südlichen Provinz Suwaida. Seit Sonntag sollen dort mehr als 250 Menschen getötet worden sein.

Zeitgleich bombardiert die israelische Luftwaffe das Militärhauptquartier in der Hauptstadt Damaskus. Israels Verteidigungsminister Israel Katz will die Angriffe als Warnung an die syrische Führung verstanden wissen, die verbündeten Drusen in Ruhe zu lassen. Von Stabilität ist das geschundene Land noch meilenweit entfernt.


Merz fliegt weg

Weil er sich auf internationaler Bühne achtbar schlägt, innenpolitisch aber nicht alles im Griff zu haben scheint, nennen böse Zungen Friedrich Merz den "Außenkanzler". Sein heutiges Programm passt ins Bild: Während in Berlin die Debatte über die gescheiterte Wahl der SPD-Verfassungsgerichtskandidatin Frauke Brosius-Gersdorf weitertobt und die Grünen eine Sondersitzung des Parlaments fordern, jettet der Regierungschef nach London, um Premier Keir Starmer seinen Antrittsbesuch abzustatten.

Das Ziel der Reise ist natürlich löblich: Merz hat einen Freundschaftsvertrag im Gepäck, der unter anderem den Schüleraustausch zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich fünf Jahre nach dem Brexit wieder erleichtern soll. Auch die sicherheitspolitischen Beistandsversprechen sind angesichts der russischen Bedrohung begrüßenswert. Wenn der Kanzler morgen in der Bundespressekonferenz den Hauptstadtjournalisten Rede und Antwort steht, dürften ihn dennoch andere Fragen erwarten.


Lesetipps

Der Politikbetrieb streitet über die Nominierung Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin. Nun hat unser Rechercheur Jonas Mueller-Töwe herausgefunden: Nur Tage vor dem Eklat wurde der Wikipedia-Artikel zu der Juristin von einem renommierten Rechtswissenschaftler bearbeitet. Der Mann steht der katholischen Kirche nahe – und dem Präsidenten des Verfassungsgerichts.


Die Bundesregierung schafft Probleme im XXL-Format, die Kommunen müssen sie ausbaden. Die Folgen erschüttern die Grundfesten des deutschen Gemeinwesens, schreibt unser Politikchef Christoph Schwennicke.


Russland zeigt sich von Donald Trumps Drohungen unbeeindruckt und verstärkt seine Angriffe auf die Ukraine. Dabei könnte Putins Armee nun eine strategisch wichtige Stadt einkesseln, schreibt mein Kollege Patrick Diekmann.


Ohrenschmaus

Vorgestern durfte ich begnadeten Altrockern lauschen. Fast so gut wie damals.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Gefällt Ihnen der Tagesanbruch? Dann leiten Sie diesen Newsletter an Ihre Freunde weiter.

Haben Sie diesen Newsletter von einem Freund erhalten? Hier können Sie ihn kostenlos abonnieren.

Alle bisherigen Tagesanbruch-Ausgaben finden Sie hier.
Alle Nachrichten von t-online lesen Sie hier.

Mit Material von dpa.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel


Bleiben Sie dran!
App StorePlay Store
Auf Facebook folgenAuf X folgenAuf Instagram folgenAuf YouTube folgenAuf Spotify folgen


Telekom