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Wehrpflicht: Warum eine Rückkehr jetzt wichtiger denn je ist | Meinung


Rückkehr zur Wehrpflicht
"Warum nicht gleich so, Schütze Schwennicke?"

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

03.07.2025 - 14:33 UhrLesedauer: 6 Min.
Feierliches Gelöbnis für Rekruten der Bundeswehr. Bei einer Wehrpflicht tut sich die SPD noch schwer. (Archivbild)Vergrößern des Bildes
Feierliches Gelöbnis für Rekruten der Bundeswehr (Archivbild): Bei einer Wehrpflicht tut sich die SPD noch schwer. (Quelle: IMAGO/Bernhard Herrmann)
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Unser Kolumnist hat nicht die besten Erinnerungen an seine Zeit beim Bund. Und doch ist er heute gottfroh, seinen Wehrdienst geleistet zu haben. Nicht, weil er dort Hemden falten lernte. Plädoyer für das Ende eines kollektiven Irrtums.

Vorweg das: Verklärt werden soll hier gar nichts. Die 15 Monate im Wehrdienst waren wirklich nicht die schönsten meines Daseins, und das in einer Lebensphase, die zu den intensivsten und hungrigsten eines jungen Mannes gehört. Kurzfassung des Zwangsaufenthaltes hinter Kasernenmauern: Schikane, Willkür, Drill und vorsätzliches Brechen des eigenen Willens in der Grundausbildung. Stupide Arbeit, quälend zerdehnte Tage voller Langeweile sowie führungsunfähige Vorgesetzte am Einsatzort. Ein ständiges Hadern, nicht verweigert zu haben. Das sind meine vorherrschenden Eindrücke von der Bundeswehr.

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"Schuhputz Scheiße, Schütze Schwennicke!", pfurrte mich der Ausbilder in der Bruchsaler Kaserne an, nachdem sein Blick beim Kleidungsappell vor dem Kompaniegebäude einmal hoch und einmal runtergewandert war. Nach dieser sicherlich ungewollten Alliteration von vier "Sch" (Absicht konnte man bei seinem IQ ausschließen), raste ich wie ein Blöder auf die Stube, wienerte ein bisschen an den Stiefeln rum, die hinterher genauso geleckt und blank aussahen wie vorher. Wieder Antreten. Wieder der süffisant-abschätzige Blick des Ausbilders. "Warum nicht gleich so, Schütze Schwennicke?"

Eine Antwort war natürlich nicht erwünscht, ebenso wenig wie beim Stubenappell am Freitag, an dem meine Hemden und T-Shirts akkurat in DIN-A4-Format mit eingelegtem Blatt Papier im Spind lagen, der Ausbilder aber meinen elektrischen Rasierapparat zur Hand nahm, den Deckel von der Schneide abmachte und die Kappe auf den Tisch klopfte, bis die Bartstoppeln herausrieselten. Folge: Nachsitzen, Klo putzen, Zug verpasst. Wochenende im Eimer. Später am Einsatzort in Murnau wurde mein MAN-Lkw mit der Krokodilsschnauze so wenig bewegt und so viel gewartet, dass an den Scharnieren das Fett so goldgelb austrat, wie es mit der Fettpresse in den Schmiernippel gepresst wurde. Ich weiß nicht mehr, wer das Dasein öder fand: Mein MAN-Krokodil oder ich.

Die Beispiele könnten ewig so weitergehen. Aber hier breche ich ab. Nichts ist so abtörnend wie Erlebnisse der Bundeswehr. Angelerlebnisse vielleicht noch. Nur da sind vor allem die Frauen noch schneller weg. Das ist jedenfalls meine Lehre von Partys aus jüngeren Jahren.

Aber hier musste das jetzt einmal noch sein. Da mussten Sie jetzt noch mal durch – wie wenige Jahre nach dieser Zeit der Generalinspekteur der Bundeswehr, Hartmut Bagger, ein beeindruckender Mann nebenbei. Anfang, Mitte der Neunzigerjahre wurde ich als Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" zuständig für Verteidigungspolitik und diskutierte bei einem der vielen Truppenbesuche leidenschaftlich mit Bagger an einem langen Abend an der Hotelbar. Für meine Begriffe hatte der Mann da auf dem Sonnendeck keine Ahnung, was im Maschinenraum seiner Bundeswehr los war.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.

Also druckbetankte ich ihn mit meinen Erlebnissen, zumal die Bundeswehr gerade wieder versuchte, für junge Leute attraktiv zu werden, und sich in gleißendem Licht präsentierte. Bagger hörte sich das an, raunte irgendwas von "traumatisiert" zu seinen Adjutanten und schlug dann vor: "Sie müssen noch mal einen anderen Eindruck bekommen. Am besten, wir laden Sie mal zu einer Reserveübung ein!" In meinen Ohren klang das nicht wie eine Einladung, als die es gemeint war. Sondern wie eine Drohung.

So. Und jetzt das späte Geständnis: Ich bin heute und schon lange gottfroh, bei der Bundeswehr gewesen zu sein. Nicht wegen diesem gängigen Quatsch, Ordnungssinn und so. Sondern zum Beispiel deshalb, weil ich gelernt habe, mit einem Turnbeutel über dem Kopf und der Stoppuhr im Nacken das G3, das damals gängige Sturmgewehr der Bundeswehr, in Windeseile zu zerlegen und wieder zusammenzubauen. Ich würde das gerne im Lichte der Zeiten, in denen wir leben, mit dem Nachfolgermodell G36 lernen. Das kann auf keinen Fall schaden.

Blauland gegen Rotland

Man muss wirklich noch mal auf die Rückspultaste drücken und bis in diese Zeit zurückgehen, um zu verstehen, warum wir bei der Wehrpflicht mit so abgesägten Hosen gegenüber Putin dastehen. Zu meiner Wehrdienstzeit waren die Fronten klar, jede Übung wurde mit "Blauland" auf der einen Seite und "Rotland" auf der anderen durchgezogen. Wir waren immer Blauland, klar. Zu Amtszeiten Baggers und auf der Höhe des Abends an der Hotelbar war aber alles schon anders. Landesverteidigung war vermeintlich kein Thema mehr, alles war auf Auslandseinsätze der Bundeswehr ausgerichtet, in der Profis und keine Schütze Schwennickes gefragt waren.

Das war der gefährliche Irrtum einer ganzen politisch-publizistischen Klasse, dem auch ich erlegen war. Die Wehrpflicht erschien nur mehr wie ein nützliches Rekrutierungsinstrument von Berufs- und Zeitsoldaten. Ansonsten schien sie ein Klotz am Bein. "Stellen Sie sich doch mal vor, es hätte mal eine Brotnot gegeben, in deren Folge eine allgemeine Backpflicht eingeführt worden wäre", hielt ich dem Generalinspekteur Bagger an jenem denkwürdigen Abend vor. "Die Bäckerinnungen wären auch dann weiter für die Backpflicht, wenn die Brotnot vorüber wäre – weil sie so junge Leute dazu bekommen, trotzdem um drei Uhr morgens aufzustehen: weil sie gesehen haben, was das für eine schöne erfüllende Arbeit ist." Bagger spülte den Vortrag mit einem kleinen Schluck trockenen Whiskys nach.

Wehrpflicht fürs Sparschwein

Dieser Irrweg, auf dem wir alle waren, wurde von einem Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg konsequent zu Ende gegangen. Als im Frühjahr 2011 der Finanzminister aus Geldnot eine globale Minderausgabe über alle Ressorts verhängte, kratzte "KT" nicht etwa hier und da was zusammen, sondern stopfte die Wehrpflicht ins Sparschwein. Seine Kanzlerin Angela Merkel gab dem diskussionslos statt. So gehört die Aussetzung der Wehrpflicht neben der Schuldenbremse und dem Offenhalten der Grenzen 2015 zu den drei zentralen Hinterlassenschaften ihrer Amtszeit.

Kürzlich war zu Guttenberg bei uns im Podcast. Viele Hörerinnen und Hörer meldeten sich hinterher empört, wie sie sich an diese Ungeheuerlichkeit, diesen liederlichen Umgang mit unserer Sicherheit erinnerten. Das ist ein gutes Zeichen.

Wie gesagt: Wir irrten kollektiv seinerzeit. Out of Area, also die Auslandseinsätze, brachte eigentlich fast nur Ärger, und eine ernst zu nehmende Landesverteidigung gab es nicht mehr. Das hätte man damals vielleicht auch sehen können. Ein einsamer, ehrwürdiger Kollege der FAZ hat es damals auch gesehen und stand auf verlorenem Posten. Heute aber muss man das sehen. Man muss. Aus buchstäblich existenziellen Gründen. Nicht nur der Bundesnachrichtendienst, sondern alle Experten gehen davon aus, dass Russland spätestens 2029 einen Angriff auf Nato-Gebiet wagen wird.

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Wie kann jemand das ein Rätsel sein?

Und da muss man sich dann doch an den Kopf fassen bei der ein oder anderen Wortmeldung dieser Tage. Gerade erst hat die Nato auf ihrem Gipfel in Den Haag Grundstürzendes beschlossen. Die Verteidigungsausgaben der Mitgliedsländer werden in den kommenden Jahren auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Das Bündnis trägt damit dem Umstand Rechnung, dass die Bedrohung durch Russland real ist und man sich gemeinsam für einen Angriff Putins auf Nato-Gebiet wappnen muss. Die deutsche Bundesregierung hat in ihrem aktuellen Haushaltsentwurf jene Zeitenwende materialisiert, die der vormalige Bundeskanzler Olaf Scholz nurmehr verkündet hatte: mit einem Aufwuchs des Wehretats in nie gesehener Dimension.

Just in diesem Moment kommen die Jusos des Weges und kündigen einen Initiativantrag beim SPD-Bundesparteitag in Berlin gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht an, die ihr eigener Verteidigungsminister Boris Pistorius betreibt.

Es sei ihm "ein Rätsel", warum jetzt die Wehrpflicht wieder auf den Tisch kommt, sagte in diesem Kontext der Juso-Chef Philipp Türmer. Diesen Satz muss man erst mal verstoffwechseln. Denn tatsächlich ist vielmehr ein Rätsel, wie man so wirklichkeitsvergessen, borniert und am Ende auch hedonistisch sein kann, so etwas in dieser Lage zu sagen und zu denken. Die Zeitenwende, sie muss nicht nur im Verteidigungshaushalt stattfinden. Vor allem muss sie in den Köpfen stattfinden. Wenn junge Menschen wie Türmer sich dagegen resistent zeigen, dann ist das bestürzend. Denn es geht vor allem um seine Zukunft und die Zukunft seiner Generation, deren Leben in Frieden und Freiheit bedroht ist.

Auf dem Planeten Juso

Gott sei Dank belegen aktuelle Umfragen, dass die Jusos damit gegen 70 Prozent der Bevölkerung stehen. Die große Mehrheit hat den Schuss in der Ukraine also gehört. Dabei ist unerheblich, ob es erst noch mal mit einer freiwilligen Wehrpflicht versucht wird. Das wird nicht klappen, aber bis zum Beleg dieses Befundes müssen ohnehin erst die Strukturen wieder aufgebaut werden: Kasernen, Wehrerfassung, Ausbildungskompanien im großen Stil, genügend Waffen für die jungen Rekruten.

Wichtig ist, dass die Wehrpflicht und die Wehrfähigkeit so schnell wie möglich zurückkommen. Mit der restriktiven Migrationspolitik und den beiden riesigen Schuldenpaketen zu Infrastruktur und Militär sind schon zwei der drei Hinterlassenschaften Merkels geschleift worden. Die Aussetzung der Wehrpflicht wieder zurückzunehmen aber ist der existenziell wichtigste Rückbau ihres unseligen Erbes.

Verwendete Quellen
  • Eigene Erlebnisse als Wehrpflichtiger
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