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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Rentensoli: Einverstanden, aber nur ohne Rentensteuer


Bekenntnisse eines Boomers
Der Soli geht in Ordnung – unter einer Bedingung

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

24.07.2025 - 02:34 UhrLesedauer: 5 Min.
Schlimmste Politlüge in der Geschichte der Bundesrepublik: Der damalige Arbeitsminister Norbert Blüm erklärt die Rente auf ewig für sicher.Vergrößern des Bildes
Schlimmste Politlüge in der Geschichte der Bundesrepublik: Der damalige Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) erklärt die Rente auf ewig für sicher. (Quelle: Peter Popp/dpa)
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Die Sozialsysteme gehen derzeit gleichzeitig in die Knie. Zuvorderst: die Rente. Immer kuriosere Ideen kommen auf, damit die Jungen nicht unter dem Rentenballon erdrückt werden. Unser Kolumnist ist als Teil des Problems für manches offen.

Das traurige Stück Papier kam dieses Jahr am 1. April an, aber es war kein Witz, auch wenn es sich wie ein schlechter las. Wie jedes Jahr teilte mir die Deutsche Rentenversicherung mit, wie es um meine Rente aktuell bestellt ist. Nach heutigem Stand würde ich demnach 2085,91 Euro bekommen. Sollte ich die nächsten acht Jahre weiter so brav einzahlen, würde sie sich auf 2687,33 Euro steigern. Darunter stellen die freundlichen Menschen vom Amt immer einen Passus, in dem in Modellrechnungen noch ein paar Prozent Anpassung draufgeschlagen werden. Ich glaube, das machen sie, damit sich das Ganze nicht so trostlos liest.

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Dreht man das traurige Amtspapier um, dann stehen da die Beträge, die meine jeweiligen Arbeitgeber und ich oder öffentliche Kassen eingezahlt haben. Bei mir summieren sich diese Zahlen auf knapp 300.000 Euro. Wenn das ein Schrieb meines Bankberaters zu den Renditen meines Depots wäre, würde ich ihn fragen, ob er sich beruflich nicht mal nach etwas zu ihm Passenderen umschauen möchte.

Aber: Ja. Ja. Jaha! Natürlich weiß ich, wissen wir alle, dass es sich bei der Rente systematisch nicht um eine Versicherung handelt, auch wenn das Amt so heißt. Es funktioniert nach dem Umlageprinzip. Die jetzt Arbeitenden zahlen für die jetzt Bezugsberechtigten.

Damit sind wir mitten im Problem. Weil die Regierungen der letzten 19 Jahre (16 Jahre Merkel, 3 Jahre Scholz) bei den Sozialversicherungen immer nur das Allernötigste gemacht haben, stehen Pflege, Krankenkasse und Rentenkasse gleichzeitig vor dem Kollaps.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.

Und just in dieser Situation machen zwei Herren vom Fach mit unorthodoxen Vorschlägen von sich reden. Erst Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaft, dann der Soziologe Klaus Hurrelmann. Letzterer sorgt sich darum, dass die Jungen (er nennt sich Jugendforscher) diesen ballonartigen Rentenrucksack schlicht nicht mehr schultern können und daher die Älteren vor der Rente noch ein Jahr gemeinnützige Arbeit dranhängen sollen. So richtig erschließt sich mir dieser Vorschlag nicht, denn sauberer (und zwingend richtig) wäre es, die Rente mit 63 komplett abzuschaffen und das reguläre Rentenalter von 67 um mindestens ein, wenn nicht zwei Jahre anzuheben.

Bei diesem Vorschlag wollen wir uns aber nicht länger aufhalten, sondern gleich zu Fratzscher gehen. Er hat einen Boomer-Soli angeregt, über den die Zeitgenossen dieser und der folgenden Alterskohorten, wenn sie eine Rente über 1.000 Euro haben und auch sonstige Erträge – Miete, Zinsen, Dividenden, was auch immer –, etwas abdrücken an die Altersgenossen, die ganz wenig haben und in eine Rente blicken, die sie zum Flaschensammeln schickt. Vor ein paar Tagen sprach Fratzscher darüber im Deutschlandfunk, und so richtig ausgegoren schien mir die Sache noch nicht zu sein. Er hat eigentlich immer nur etwas über "Umverteilung von Reich zu Arm" oder wahlweise "von oben nach unten" gesagt, wenn der Moderator Details wissen wollte.

Norbert Blüms unverfrorene Behauptung

Man merkt vielleicht, dass beide Herren bei mir nicht automatisch Begeisterungsstürme auslösen, aber eines muss man ihnen und ihren unkonventionellen Vorschlägen jedenfalls danken: Sie machen deutlich, dass mit der wohl größten Politlüge Schluss ist, die je von einem Bundesminister buchstäblich an eine Litfaßsäule gekleistert wurde. Gegen Norbert Blüms unverfrorene Behauptung der sicheren Rente nimmt sich der Schuldenbremsenschwenk von Friedrich Merz wie eine kleine Stegreifabweichung vom Drehbuch aus.

Und ja, ich weiß auch: Ich bin das Problem. Die richtige Rentenblase platzt erst wie ein wassergefüllter Luftballon auf dem Asphalt, wenn meine Alterskohorte in fünf bis zehn Jahren die Arbeit niederlegt. Um die Jungen zu entlasten, von denen einer dann drei von uns schultert, sollte man sich jeden Vorschlag durch den Kopf gehen lassen. Und ja: Über diesen kann man reden.

Wir hatten es wirklich gut

Denn wir Boomer hatten zwar viel Konkurrenz, weil wir so viele waren, bevor die Pille uns dezimierte. Aber wir hatten es auch schön. Das Wirtschaftswunder hatte das Land erblühen lassen, wir hatten ein vergleichsweise unbeschwertes Leben, und der saure Regen und das Ozonloch hatten bei weitem nicht die Dimension der heutigen Klimakatastrophe. Auf beides konnte der Mensch noch rechtzeitig Einfluss nehmen, indem FCKW verboten und die Schlote entschwefelt wurden. Hier braut sich mit Zeitverzögerung etwas über der jungen Generation zusammen, das sich gar nicht mehr abwenden lässt.

Ich habe es schon mal geschrieben, sage es aber noch mal: Um mir den Duft dieses unbeschwerten Lebensgefühls wieder zurückzuholen, habe ich mir das 80er-Jahre-Hercules-Mofa wieder zugelegt, mit dem ich seinerzeit durchs Illertal röhrte. Das restaurierte Schätzchen schaue ich aber fast nur an und fahre kaum damit. Wegen Verbrenner und Klima und so.

Die jungen Menschen dagegen haben an drohendem Krieg und unaufhaltsamem Klimawandel schon genug zu tragen. Da will ich ihnen nicht über Gebühr zur Last fallen. Der Soli könnte da was abfedern.

Das wäre der Deal

Aber unter einer Bedingung. Die Steuer auf die Rente muss im Gegenzug weg. Die ist absurd. Seit der Reform des Alterseinkünftegesetzes von 2005 wird die gesetzliche Rente in Deutschland nämlich schrittweise immer stärker besteuert. Der Grund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2002, das forderte, Beamtenpensionen und gesetzliche Renten steuerlich gleich zu behandeln. Statt aber die Steuer auf die Pensionen abzuschaffen, wurde die Steuer auf die Rente draufgeschlagen. Bis 2058 soll die Rente vollständig der Besteuerung unterliegen. Aktuell liegt der Besteuerungsanteil bei 83,5 Prozent. Heißt: Nur 16,5 Prozent bleiben steuerfrei.

Ich akzeptiere viele Steuern. Auch Steuern auf Kapitalerträge (manche argumentieren, diese kämen aus bereits versteuertem Geld, aber das Argument zieht nicht) und die Vermögensteuer. Aber die Rentensteuer ist obszön. Da gibt der Staat Menschen Geld für deren Auskommen und schneidet sich dann sofort wieder etwas ab davon. Das widerspricht jeder Logik. Und jedem Gerechtigkeitsempfinden. Oder würden Sie einem Bedürftigen am Straßenrand einen Euro in den Pappbecher werfen und 20 Cent gleich wieder rausnehmen?

Geht alles nicht, kann man nicht machen? I wo. Ein Blick in ein Nachbarland zeigt: Geht eben doch. Österreich, dessen Steuer- und Sozialversicherungssystem dem deutschen an vielen Stellen überlegen ist, erhebt diese frivole Steuer nicht. Frankreich und die Schweiz tun dies nur in weit geringerem Umfang. Soli einführen, Steuer abschaffen: Bei dem Deal bin ich dabei.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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