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Witwe über Tragödie: Was die "Titan"-Crew in ihren letzten Stunden erlebte


Witwe spricht über Tragödie
Das erlebte die "Titan"-Crew in ihren letzten Stunden

Von t-online, cc

Aktualisiert am 04.07.2023Lesedauer: 4 Min.
Experten führen die Implosion der selbstgebauten "Titan" auf einen Materialdefekt oder menschliches Versagen beim Schließen der Luke zurück.Vergrößern des BildesExperten führen die Implosion der selbstgebauten "Titan" auf einen Materialdefekt oder menschliches Versagen beim Schließen der Luke zurück. (Quelle: OCEANGATE EXPEDITIONS)
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Ihr Mann und ihr Sohn starben bei dem Tauchboot-Unglück im Atlantik. Nun erzählt Christine Dawood, wie ihre Angehörigen die letzten Minuten an Bord verbrachten.

Plötzlich blieben die Textnachrichten aus. Während sich in fast 4.000 Metern Tiefe eine Tragödie an Bord des Tauchboots "Titan" abspielte, saß Christine Dawood gemeinsam mit ihrer Tochter Alina an Bord des Mutterschiffes "Polar Prince" und freute sich noch darüber, dass ihr Mann und ihr Sohn den Trip zum Wrack der "Titanic" unternehmen konnten. "Es war ein guter Morgen", sagte die Witwe nun der "New York Times".

Insbesondere ihr 19-jähriger Sohn Suleman war von dem Trip begeistert gewesen. "Er war aufgeregt wie ein Kleinkind." Auch ihr Mann Shazada, 48, habe seine Freude über das Abenteuer kaum verbergen können: "Morgen tauche ich! Morgen tauche ich!", habe er zu seiner Frau am Abend vor dem Trip gesagt. Jeweils 250.000 Dollar zahlten die Dawoods für die Fahrt zum in 3.900 Metern Tiefe gelegenen Wrack der "Titanic". Das Schiff war bei seiner Jungfernfahrt 1912 mit einem Eisberg zusammengestoßen und gesunken.

Für die fünf Abenteurer in der "Titan" war die Tauchfahrt zum Wrack Nervenkitzel, für einen von ihnen war sie auch ein gutes Geschäft, bei dem eigentlich nichts schiefgehen konnte. Davon war Stockton Rush wohl überzeugt. Doch dann riss der Kontakt zum Mutterschiff ab.

Das letzte Mal, dass Christine Dawood ihren Ehemann und ihren Sohn von Bord der "Polar Prince" aus sah, standen beide auf der Plattform, auf der das Tauchboot in den rauen Gewässern des Nordatlantiks bei Neufundland befestigt war. Ein Mitarbeiter der Firma OceanGate, die den Trip organisiert hatte, verschloss die Luke des Boots mit 17 Bolzen. Dann glitt die "Titan" in die Tiefe des Meeres.

Video | Video zeigt "Titan"-Passagier ein letztes Mal vor Unglück
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Quelle: t-online

Ein Geräusch, das einem Knall ähnelte

Im Februar 2023 war Stockton Rush, der Gründer und Chef von OceanGate, eigens nach London geflogen, um das britisch-pakistanische Ehepaar von der Unterseereise zu überzeugen. Er habe, so erzählt es Christine Dawood der "New York Times", vom Design und der Sicherheit seines Bootes geschwärmt.

Dass er offenbar auch einige der Sicherheitsbestimmungen bei der Konstruktion und den Tiefseeeinsätzen der "Titan" ignorierte, verschwieg er. Davon erfuhr die deutschstämmige Dawood erst nach dem tödlichen Unfall.

"Was das Technische angeht, davon hatten wir einfach überhaupt keine Ahnung", sagte sie der Zeitung. "Sie besteigen ja auch ein Flugzeug, ohne genau zu wissen, wie die Turbinen funktionieren." Und über das Team der Betreiberfirma OceanGate sagte sie: "Es war eine gut geölte Operation, man konnte sehen, dass sie das schon sehr oft gemacht hatten."

Dass etwas doch nicht in Ordnung sein könnte, bekam sie am Tag des Unglücks fast beiläufig mit, als sie an Bord der "Polar Prince" eine Unterhaltung zwischen der Besatzung mithörte. Die Verbindung zum Tauchboot sei abgerissen, hieß es. Das war um 11.15 Uhr Ortszeit. Zur gleichen Zeit zeichneten geheime Unterwassermikrofone der US-Marine ein Geräusch auf, das einem Knall ähnelte. Das erfuhr Christine Dawood jedoch erst Tage später.

Zerquetscht vom gewaltigen Wasserdruck

Zunächst machte sie sich keine größeren Sorgen, wie sie der Zeitung berichtete. "Ich schaute auf den Ozean, weil ich dachte, sie würden bald wieder auftauchen." Die Crewmitglieder an Bord des Mutterschiffes erklärten ihr, dass Kommunikationsabbrüche bei den Tauchgängen keine Seltenheit seien. Wenn der Kontakt zur "Titan" länger als eine Stunde ausbliebe, würde der Kapitän des Tauchboots einfach den mitgeführten Ballast abwerfen und die Kapsel würde wieder auftauchen.

Doch da waren Stockton Rush und die anderen Mitglieder der Expedition vermutlich längst tot. In Sekundenbruchteilen zerquetscht vom gewaltigen Wasserdruck. Später fanden Suchmannschaften Wrackteile in 3.810 Metern Tiefe, 500 Meter vom Bug der "Titanic" entfernt. Die Besatzung der "Titan" hatte das Ziel der Expedition also sehr wahrscheinlich gar nicht zu Gesicht bekommen.

An Bord waren neben Rush und den Dawoods der französische Wissenschaftler Paul-Henri Nargeolet, 77, und der britische Abenteurer Hamish Harding, 58. Als Ursache für die Implosion vermuten Experten einen Materialdefekt oder eine fehlerhaft verschlossene Luke.

Den Teilnehmern wurde Camerons Film "Titanic" angeboten

Am Abend zuvor habe "Titanic"-Experte Nargeolet der Crew noch von seinen Unterwasser-Erlebnissen erzählt. Der Franzose war zuvor bereits Dutzende Male zum Wrack getaucht, einmal steckte er drei Tage in einem U-Boot fest, bevor er gerettet werden konnte. Shazada Dawood zeigte sich hellauf begeistert von den Erzählungen des Abenteurers. "Oh, mein Gott, das ist so cool", zitiert Christine Dawood ihren Mann. "Er [Shazada] hat das aufgesogen. Sein Gesicht bekam dieses Leuchten in Anbetracht all dieses Nerdzeugs."

Was ihr Mann und ihr Sohn in ihren letzten Minuten erlebt haben dürften, beschrieb Christine Dawood gegenüber der "Times" ebenfalls. Demnach mussten die Passagiere am Tag zuvor leichte Kost zu sich nehmen und durften keinen Kaffee trinken, weil es an Bord des Tauchboots keine richtige Toilette gab. Auch wurden die Expeditionsmitglieder vielfach gebrieft und ihnen wurde James Camerons Film "Titanic" zur Ansicht angeboten.

Auch die Fahrt in die Tiefsee selbst wurde der Besatzung vorab in allen Einzelheiten geschildert. So wussten die Dawoods, was auf der sechs Stunden dauernden Reise in dem Tauchboot auf sie zukommt. Sie saßen im Dunkeln, weil Kapitän Rush Energie sparen wollte, bis sie am Wrack der "Titanic" angekommen wären. Suleman und Shezada Dawood trugen wie die anderen Passagiere dicke Socken und eine Wollmütze gegen die Kälte, die in der Tiefe herrscht.

Biofluoreszierende Lebewesen glitten am Tauchboot vorbei

Jeder der fünf Männer hatte seine Lieblingssongs auf seinem Smartphone bereit, um sie über Bluetooth an einen im Boot befindlichen Lautsprecher senden zu können. Eine Bedingung für die Musikauswahl hatte OceanGate-CEO Rush allerdings: keine Country-Musik.

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Die letzten Minuten der "Titan"-Besatzung erscheinen in Christine Dawoods Beschreibung fast friedlich: Aus dem 54 Zentimeter breiten Bullauge des Boots konnten Shazada und Suleman den dunklen Ozean sehen, durch den exotische Kreaturen zogen. Biofluoreszierende Meeresbewohner, die selbst in der Schwärze der Tiefsee noch Licht erzeugten und wohl wie Fabelwesen an der "Titan" vorbeiglitten.

Bis die Textnachrichten um 11.15 Uhr verstummten. Und die Fahrt in die Tiefe für die fünf Abenteurer endgültig vorbei war.

Verwendete Quellen
  • nytimes.com: "A Rubik’s Cube, Thick Socks and Giddy Anticipation: The Last Hours of the Titan" (englisch)
  • abcnews.go.com: "Titan families told of potential 'implosion' sound Navy detected before news reports" (englisch)
  • news.com.au: "How doomed Titanic submersible passengers spent their final moments" (englisch)
  • popularmechanics.com. "How the Navy Detected the Titan Implosion on a Secret Undersea Sensor Network" (englisch)
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