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Coronavirus-Brennpunkt im Iran: Es kommt eine besondere Herausforderung


Corona-Brennpunkt Iran
Maßnahmen der Regierung: "Als Mediziner verstehe ich das nicht"

Von Ali Vahid Roodsari

Aktualisiert am 18.03.2020Lesedauer: 5 Min.
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Ein Feuerwehrmann in Teheran desinfiziert die Straßen: Der Iran gilt als Land mit den zweitmeisten Todesfällen durch das Coronavirus.Vergrößern des Bildes
Ein Feuerwehrmann in Teheran desinfiziert die Straßen: Der Iran gilt als Land mit den zweitmeisten Todesfällen durch das Coronavirus. (Quelle: Vahid Salemi/ap-bilder)

Der Iran ist eines der Länder, die am stärksten von der Corona-Krise betroffen sind. Die iranische Regierung hat vieles falsch gemacht. Und die Iraner selbst stehen am 20. März vor einer besonderen Herausforderung.

Die Männer kommen mindestens einmal täglich. Sie tragen Ganzkörperanzüge, meist in Weiß. Ihre Gesichter sind von Atemschutzmasken verdeckt. Auf ihrem Rücken schultern sie Plastikbehälter, oft so groß wie ein Kleinkind. Und in ihren Händen halten sie ein Gerät, das an einen Flammenwerfer erinnert. Aus diesem strömt eine durchsichtige Flüssigkeit, mit der sie die Straßen Teherans vollspritzen.

Um die Epidemie einzudämmen, schicken Irans Behörden seit Anfang März Desinfektionstrupps durch die Straßen – wie in Teheran. Der Grund: Der Iran ist nach China und Italien mit am stärksten vom Coronavirus betroffen. Offiziellen Angaben zufolge sind 17.361 Menschen infiziert, mehr als 1.100 sind gestorben (Stand Mittwoch). Laut der WHO sollen die Zahlen sogar fünfmal so hoch sein – und sie steigen täglich.

Die Gründe für die Lage im Land sind unterschiedlich: Anfängliche Vertuschungsversuche der iranischen Regierung, fehlende Quarantänemaßnahmen – und auch das teils unvorsichtige Verhalten der Bevölkerung. Bald könnte sich die Situation weiter verschärfen: Denn am 20. März feiern die Iraner das persische Neujahrsfest, Nowruz. Millionen Menschen besuchen, ähnlich wie in Deutschland zu Silvester, ihre Familien – und könnten das Virus weitertragen.

Regierung mahnt, zuhause zu bleiben

"Viele Menschen aus der Stadt stammen von außerhalb und besuchen für gewöhnlich zu Nowruz ihre Familien", sagt der Mediziner Milad Yazdi. "Ich habe meinen Patienten gesagt, dass sie zuhause bleiben sollen, sie könnten das Virus ja raustragen oder einschleppen. Aber sie hören nicht auf mich." Yazdis' Name wurde auf seinen Wunsch für diesen Artikel geändert. Genauso wie die Angaben aller anderen Gesprächspartner in diesem Text.

Von den Desinfektionsmaßnahmen der iranischen Regierung hält Yazdi wenig: "Als Mediziner verstehe ich das nicht", sagt der Arzt. "Natürlich wollen sie die Ausbreitung der Krankheit verhindern. Aber warum sie die Straßen desinfizieren und welche Auswirkungen das haben soll, weiß ich nicht."

Stattdessen wünscht sich Yazdi, dass Quarantänemaßnahmen beschlossen werden. Tatsächlich hat sich die iranische Regierung mit solchen Einschränkungen bisher zurückgehalten. Zwar wurden Schulen und Universitäten geschlossen. Und auch die Feierlichkeiten zum traditionellen Feuerfest "Tschaharschanbe Suri", die vom 19. März bis Anfang April stattgefunden hätten, wurden verboten.

Doch Reiseverbote gibt es nicht. Stattdessen forderte Präsident Ruhani alle Iraner auf, während der Neujahrsferien zuhause zu bleiben. Rentnerin Parvaneh Gholani aus Teheran berichtet: "Sie haben uns gesagt, dass wir lieber vorm Fernseher sitzen sollen", schreibt sie per WhatsApp. "Man habe 'unterhaltsame Serien' für die Neujahrstage vorbereitet."

Masken und Handschuhe gehören zum Alltag

Wenn man ihre Worte und die Aussagen von Arzt Yazdi gegenüberstellt, zeigt sich ein gespaltenes Bild der iranischen Gesellschaft. So sagt Golani: "Mir scheint es, dass manche Leute die Krise ernstnehmen und andere nicht." So tragen viele Iraner Masken und Handschuhe. Auch habe sie beobachtet, wie Menschen beim Schlangestehen einen Meter Abstand halten. Und die Geschäfte seien für diese Jahreszeit deutlich leerer. Normalerweise kaufen die Iraner für Neujahr Geschenke und Leckereien.

Andererseits stauen sich in den Straßen Teherans wie immer die Autos. Als das Gerücht umging, dass die Metropole am Wochenende unter Quarantäne gesetzt werden soll, "stürmten die Leute die Straßen", sagt Rentnerin Gholani. Arzt Yazdi berichtet von einem weiteren Problem: "Umfragen zufolge glauben 60 Prozent der Menschen in Teheran, dass sie kein Corona bekommen werden und handeln fahrlässig", sagt Yazdi. "Das kann dazu führen, dass die Epidemie schwer zu kontrollieren sein wird."

Menschen stürmen Heiligtümer

Wie fahrlässig sich manche Iraner verhalten, zeigen Beispiele aus Ghom. Die Stadt gilt als schiitische Hochburg und Ursprung der Corona-Epidemie im Iran. Vermutlich wurde das Virus durch einen chinesischen Theologiestudenten eingeschleppt. Denn die iranische Fluggesellschaft Mahan Air hatte den Flugverkehr nach China trotz der Corona-Gefahr nicht ausgesetzt.

In Ghom findet sich auch der Schrein von Fatimah Massumeh, Tochter des siebten Imams der schiitischen Muslime. Hier gehört es zum Brauch, die Metallstäbe des Heiligtums zu küssen. Da dies die Verbreitung des Virus fördern könnte, hatten die iranischen Behörden den Zugang zu verschiedenen Heiligen Stätten gesperrt.

Als Reaktion kam es aber zu Protesten von streng gläubigen Muslimen. Ein Video zeigt, wie Menschen das Tor zum Mausoleum in Ghom aufbrechen. Denn die Muslime glauben, dass ein Besuch in diesen Mausoleen auch die schlimmsten Krankheiten heilen könne. Daher meinen viele Pilger, dass sie dort nicht mit Coronavirus infiziert würden. Kleriker versuchten im Staatsfernsehen die Gläubigen vom Gegenteil zu überzeugen – erfolglos.

Regierung spricht von biologischen Attacken

Dass so mancher Iraner die Krise nicht ernst nimmt, kann auch am Verhalten der iranischen Regierung liegen. Als die Corona-Epidemie im Februar ausbrach, vertuschten oder verharmlosten iranische Behörden die Situation: Der stellvertretende Gesundheitsminister Iraj Harirchi spielte in einer Pressekonferenz Ende Februar die Lage herunter und verneinte Todesfälle in Ghom. Während der Konferenz schwitzte und hustete er mehrfach in die Hand. Am nächsten Tag gab er bekannt, dass er selbst mit dem Coronavirus infiziert sei.

Nachdem sich die Epidemie nicht mehr verschweigen ließ, griffen Regierungsvertreter zu anderen Methoden: Verschwörungstheorien. So solle laut Revolutionsführer Ali Khamenei hinter der Corona-Epidemie eine "biologische Attacke stecken". Auch der Chef der Revolutionsgarden Hassan Salami sagte ähnliches und machte die USA als Schuldigen aus.

Ein iranischer Abgeordneter sagte auch, dass "ein Teil des Coronavirus in Ghom sich vom Wuhan-Virus unterscheide". Das schreibt "BBC Persia". Der Abgeordnete vermute, dass das Virus "unbekannter Herkunft" sei, von "der Kategorie amerikanischer Bioterrorismus".

Mittlerweile sieht die iranische Regierung die Lage als so ernst an, dass sie beim Weltwährungsfond fünf Milliarden US-Dollar zur Krisenbekämpfung erbat. Doch wegen der US-Sanktionen wird der Iran mit dem Geld wohl wenig anfangen können. Die erschweren nämlich Kauf und Import von Gütern. Und wie die "New York Times" berichtet, soll der Iran in Ghom Massengräber ausgehoben haben. Sie dienen für die Toten der Corona-Epidemie.

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Tanzende Ärzte und Nachbarschaftshilfe

Ein Teil der iranischen Bevölkerung versucht unterdessen, sich nicht von der Situation unterkriegen zu lassen. So zeigen Videos iranische Ärzte und Pfleger, die mit traditionellen Tänzen und Musik die Situation in den Krankenhäusern auflockern wollen. Laut der "Los Angeles Times" sollen Menschen in Teheran Nachbarn, die sich nicht aus dem Haus trauen, Essen vor die Tür stellen. Und Rentnerin Gholani berichtet, dass eine Moschee in ihrer Nähe täglich Desinfektionsmittel, Masken und Handschuhe ausgibt.

Manche Städte haben derweil eigene Maßnahmen gegen die Krise vorgenommen: Sie messen das Fieber von Reisenden, berichtet Arzt Yazdi. Wer bei der Einreise verdächtige Werte zeigt, wird wieder weggeschickt. Neuen Berichten zufolge soll die Polizei auch Autobahnen und Landstraßen sperren, um Reisen in Provinzen zu verhindern.

Rentnerin Gholani kann das nicht bestätigen. "In den Nachrichten wurde berichtet, dass die Straßen nach Ghom und Isfahan voller Autos sind", sagt sie t-online.de am Mittwoch. Sie selbst wolle zum Neujahrsfest zuhause bleiben und mit Verwandten telefonieren. Die Wohnung verlasse sie nur, wenn sie einkaufen muss.

Klopapier ist noch da

Und im Gegensatz zu Deutschland scheint es im Iran nur wenige leere Regale in Supermärkten zu geben. Das schreibt Peter Schmidt, ein Deutscher, der sich derzeit im Iran aufhält, per WhatsApp. "Essen ist genug da", sagt Schmidt. "Die Menschen haben ja auch nicht so viel Geld, um den ganzen Laden zu kaufen."

Schmidt hat auch beobachtet, dass viele Menschen mit Karte statt Bargeld zahlen, um Infektionen zu vermeiden. "Vor allem viele Apotheken akzeptieren kein Bargeld mehr", sagt Schmidt. Wie in Deutschland sind im Iran Masken oder Handschuhe Mangelware. Desinfektionsmittel lasse sich dagegen noch finden, schreibt Schmidt. Und noch eine Sache sei im Iran weiterhin leicht erhältlich: "Klopapier kann man noch überall kaufen."

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