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Nach Seilbahn-Unglück in Italien – Experte: So sicher sind die Gondeln wirklich


Sicherheit in Kabinen
"Seilbahnen sind ein System mit Hosenträger und Gürtel"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

25.05.2021Lesedauer: 3 Min.
Interview
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Norditalien: Nach einem Gondelunglück am Lago Maggiore mit 14 Toten sind drei Menschen festgenommen worden. (Quelle: t-online)

14 Menschen sind beim Absturz einer Seilbahngondel in Italien gestorben. Die Bahnen sind aber eigentlich ein sehr sicheres Transportmittel, sagt der Betriebsleiter von Deutschlands längster Umlaufseilbahn.

Es ist die älteste Umlaufseilbahn der Welt, die längste in Deutschland, und sie ist eine Touristenattraktion: Bei Freiburg genießen Fahrgäste auf 3.600 Metern Streckenlänge in 37 Kabinen der Schauinslandbahn den Blick über die Rheinebene und den Schwarzwald. Was sagt Betriebsleiter Günter Voigt über Sicherheit in Seilbahnen, nachdem in Italien 14 Menschen bei einem Unglück ums Leben gekommen sind?

t-online: Herr Voigt, Sie oder ein Kollege machen jeden Morgen die erste Fahrt?

Günter Voigt: Das gehört zum Systemcheck, und ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendeine Seilbahn auf der Welt gibt, bei der das nicht der Fall ist. Aber zum täglichen Check gehört aber mehr. Bei uns ist das dann ein Katalog mit 48 Einzelpositionen zusätzlich zu den Eigenschecks der Elektronik durch Mitarbeiter.

Und wie wird geprüft?

Über das Jahr gibt es bei normalem Betrieb 230 Wartungen und Kontrollen. Zu den täglichen kommen wöchentliche, zweiwöchentliche, monatliche, vierteljährliche, halbjährliche und mehrjährige Kontrollen. Zu den Zeitfristen gibt es noch laufleistungsabhängige Intervalle – das kann man sich wie Inspektionen am Auto vorstellen.

Aber da prüfen nicht nur Sie als Betreiber?

Die Hersteller der mechanischen und elektrischen Anlagenkomponenten kommen mit ihrer Fachkompetenz zur Jahresinspektion. Die sind schließlich heute in der Anlage A und morgen in der Anlage B und dann in der Anlage C, und kennen so sehr gut eventuell neuralgische Punkte ihrer Systeme. Für die Seile kommen durch die Aufsichtsbehörde zugelassene Prüfer auf die Anlagen. Jedes Bundesland hat auch eine Seilbahnaufsichtsbehörde. Hier in Baden-Württemberg kommt sie einmal jährlich zu einem kompletten Systemcheck.

Der "Hersteller" ist bei Ihnen aber 91 Jahre nach Inbetriebnahme nicht das Unternehmen, das die Bahn mal errichtet hat?

Die Schauinslandbahn ist nach einem grundlegenden Umbau 1987/1988 zuletzt im Jahr 2013 generalüberholt worden, und wir haben dabei eine ganz neue Betriebsbewilligung bekommen. Damit ist die Standfestigkeit für 20 Jahre nachgewiesen. Doppelmayr hat da unter anderem zwei Tragseile und die Zugseile erneuert, Doppelmayr kommt auch für deren Kontrollen.

Kontrollen bei Unglücksbahn
Die verunglückte Bahn in Stresa ist eine Pendelbahn mit zwei Kabinen. Nach dem Riss des Zugseils wurde eine Kabine gestoppt, die andere bewegte sich ungebremst talwärts. Hersteller Leitner hat eine Liste seiner jüngsten Kontrollen bei dieser Bahn herausgegeben, hinzu kommen eigene Checks der Betreiber:
3. Mai 2021: Wartung der hydraulischen Bremsanlagen der Fahrzeuge
29. März bis 1. April 2021: Prüfung an allen mechanischen Sicherheitskomponenten der Anlage, vorgezogener Teil der im August 2021 fälligen Fünfjahresrevision.
18. März 2021: Funktionsprüfung des gesamten Antriebssystems.
4. und 5. März 2021: Schmierung und Kontrolle der Laufrollen und der Seilscheiben der Stationen.
1. Dezember 2020: Test mit einer Simulation des Zugseilrisses und anschließendem Einfallen der Tragseilbremse.
5. November 2020: Regelmäßige magnetinduktive Kontrolle der Zugseile und aller Seile der Anlage mit positivem Ausgang.

Was können Sie denn über die Seile sagen?

Unsere Tragseile haben 50 Millimeter Durchmesser, die Zugseile 25 Millimeter. Geprüft werden sie visuell manuell und mit einem Kamerasystem, dazu magnetinduktiv durch uns und durch Sachverständige. Da wird mittels Magnetfeld eine Spannung erzeugt ...

... und wenn es im Seil Drahtbrüche, Korrosion oder andere Veränderungen gibt, werden Störspannungen gemessen.

Innerhalb von Toleranzen ist das zulässig. Bei Spezialanwendungen und kleinen Seilabschnitten wird auch mit Ultraschalluntersuchungen und Röntgenaufnahmen geprüft. Auch bei Seilen gibt es monatliche und vierteljährliche wie auch Jahresprüfintervalle.

Und Unfälle sind eigentlich sehr selten. Beim bis Pfingsten letzten tödlichen Unglück hatte 1998 in Cavalese ein Militärflugzeug das Kabel der Seilbahn durchtrennt.

Ja, bei den Unfällen stellt man fast immer fest, dass es Faktoren von außen gab – Lawinen, Gleitschirmflieger, umgestürzte Bäume. Seilbahnen sind ein sehr, sehr sicheres Transportmittel, sie sind durch Seile und Fangbremsen und Zweikanalüberwachung ein System mit Hosenträger und Gürtel.

Dann ist das Unglück in Italien für Sie völlig rätselhaft. Dort hat offenbar nach einem Zugseilriss die Notbremse nicht verhindert, dass die Kabine unkontrolliert talwärts schlittert.

Dieses schreckliche Unglück bestürzt die ganze Seilbahnbranche, wir sind alle mit unseren Gedanken bei den Opfern, Angehörigen und Hinterbliebenen. Ich weiß sehr wenig über den Hergang und bin mit der Anlage dort auch noch nie gefahren. Deshalb kann ich dazu nur ganz wenig sagen. Wenn ein Unglück passiert, steht man fast immer erst einmal vor einem Rätsel, die Untersuchungsbehörden werden sich das Unfallgeschehen sehr genau anschauen und dann veröffentlichen.

Das Gefühl einer Gefahr ist bei der Seilbahnfahrt präsenter, als wenn jemand über die Autobahn rast.

Als Seilbahner sehe ich das differenzierter. Wenn Sie in einen Flieger steigen oder ein Kreuzfahrtschiff benutzen, wird Ihnen gesagt, was alles passieren kann. Wir an der Schauinslandbahn stellen nicht fest, dass bei uns in der Seilbahn Menschen Panik bekommen. Es ist sogar eher so, dass Menschen mit uns fahren, um Angst zu verlieren, also aus therapeutischen Gründen. Unsere Anlage fährt sehr ruhig, so ist die Fahrt für alle unsere Gäste ein Genuss.

Verwendete Quellen
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