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Leinenpanzer in der Antike: Mit dieser Rüstung wurden Weltreiche erobert


Hightech in der Antike
Mit dieser Rüstung wurden Weltreiche erobert


05.01.2020Lesedauer: 5 Min.
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Römische Soldaten (farbige Illustration, basierend auf einer Abbildung der Trajanssäule): Neben ihren Schilden wurden die Legionäre auch von ihren Körperrüstungen geschützt.Vergrößern des Bildes
Römische Soldaten (farbige Illustration, basierend auf einer Abbildung der Trajanssäule): Neben ihren Schilden wurden die Legionäre auch von ihren Körperrüstungen geschützt. (Quelle: adoc-photos/ullstein-bild)

Die Soldaten der Antike trugen eine Rüstung aus verkleisterten Stoffhemden. Denn Leinenpanzer sind unglaublich widerstandsfähig. Wie Forscher am eigenen Leib erprobten.

Als sich Alexander der Große am Morgen vor der Schlacht von Gaugamela seinen Soldaten zeigte, trug er einen sizilianischen Mantel und darunter "den Brustpanzer aus gefaltetem Leinen". So beschreibt der Alexander-Biograf Plutarch die Szene aus dem Jahr 331 vor Christus in seinem Werk über den Makedonenherrscher.

Dass ein Panzer aus Bronze einen König schützen kann, ist noch vorstellbar. Vielleicht auch noch aus gehärtetem Leder. Aber gefaltetes Leinen als einziger Schutz der königlichen Brust? Dies erscheint angesichts von etwa 200.000 feindlichen Persern doch ein wenig leichtsinnig.

Tatsächlich aber war der Leinenpanzer, den Plutarch beschreibt, die Hightech-Rüstung des 4. Jahrhunderts vor Christus. "Die gefalteten und dann verklebten Leinenschichten funktionieren wie eine antike Version von Kevlar – dem Material, aus dem moderne schusssichere Westen gemacht sind", versichert Gregory Aldrete von der amerikanischen University of Wisconsin-Green Bay voller Überzeugung.

Sicher vor Pfeilbeschuss

Dass er sich seiner Sache so sicher ist, hat einen guten Grund. Denn der Geschichtsprofessor hat vor einigen Jahren nicht nur mit Kollegen und Studenten selbst einige Jahre an der Herstellung eines Leinenpanzers – eines sogenannten Linothorax – experimentiert. Aldrete und weitere Mitglieder seiner Projektgruppe haben sich sogar, lediglich gesichert durch ihre selbstgebauten Leinenpanzer, gegenseitig mit Pfeilen beschossen. "Das Ergebnis unserer Versuche zeigt, dass, wenn man in der antiken Welt zwischen 600 und 200 vor Christus eines dieser Dinger getragen hat, man ziemlich sicher vor jeder Art von Pfeil war", folgerte er nach dem Experiment.

Entsprechend verwendete sie jeder: Makedonen, Griechen und Römer ebenso wie Perser, Phönizier, Etrusker oder Lusitanier. Und die Wunderrüstung aus Leinen war bei Weitem nicht nur Herrschern vorbehalten. Auch bei Feldherren und gemeinen Soldaten war sie meist der Schutz der Wahl. Denn der Linothorax hat gegenüber herkömmlichen Metallpanzern deutliche Vorteile. Zum einen ist Leinen günstiger als Metall – und bei Heeren von mehreren Zehntausend Soldaten ist der Kostenfaktor nicht zu unterschätzen.

Des Weiteren braucht es keine ausgebildeten Schmiede, um das stabile Leinengewand herzustellen. Ausgerüstet mit einer Schere und einem Kleisterpinsel kann sich jeder leicht selbst einen basteln. Investiert man auch noch in einen Topf mit Bienenwachs, Pinienharz oder Schafsfett, lässt sich so ein Linothorax bei Bedarf sogar noch wasserfest imprägnieren.

Leicht, kühl und sicher

Das wohl schlagkräftigste Argument jedoch ist, dass er nur rund zwei Drittel des Gewichts von einem Metallpanzer auf die Waage bringt – und das Leinen zudem noch atmungsaktiv ist und den Träger selbst bei sommerlichen Temperaturen angenehm kühl hält. "Wenn man in der 40-Grad-Mittelmeer-Sonne durch Persien oder Griechenland latscht, macht es einen großen Unterschied, ob man eine Rüstung aus Leinen oder aus Metall trägt", betont Aldrete. "Eingepackt in eine Bronzerüstung würde man regelrecht gebacken werden."

Für ihre Forschung mussten der Geschichtsprofessor und seine Projektgruppe quasi bei Null anfangen. Zwar ist der Linothorax aus 65 Erwähnungen in der Literatur und über 1.000 Bildern auf Vasen, Wandmalereien und Mosaiken bekannt. Doch da Leinen im Erdreich schnell verrottet, hat es kaum ein tatsächlicher Schnipsel davon durch die Jahrtausende zu uns geschafft. Und die Autoren, die – wie Plutarch – einen Linothorax in ihren Werken erwähnen, konzentrieren sich in der Berichterstattung eher auf seinen Träger als auf die Herstellung.

Einer von Aldretes Studenten, Scott Bartell, hatte sich den von der Forschung vernachlässigten Linothorax als Thema für ein Semesterprojekt ausgesucht – und binnen kürzester Zeit seinen Lehrer für das Thema begeistern können. Die beiden gründeten die Forschungsgruppe, der sich bald weitere Kollegen – und weitere Generationen von Studenten – anschlossen. Bartell schrieb schließlich sogar seine Masterarbeit über antike Leinenpanzer.

Schwerter, Morgensterne und Äxte

Zunächst einmal brauchten die Wissenschaftler dafür aber geeignetes Leinen. Im Handel ist heute fast ausschließlich industriell gefertigter Stoff erhältlich, der eine ganz andere Dichte hat als seine antiken Vorgänger. Fündig wurde das Projekt schließlich bei einer kleinen Manufaktur im Nordosten Wisconsins, bei der die Forscher – dank Fördergeldern der Universität – einkaufen konnten. "Der Flachs für das Leinen wurde mit traditionellen Methoden angebaut, geerntet und verarbeitet, und dann ebenfalls mit traditionellen Methoden gesponnen und gewoben", versichert Aldrete.

Auch den Kleber, den das Team verwendete, hätte man schon genauso zu Zeiten Alexanders des Großen auf jedem beliebigen Markt kaufen können. Unter anderem experimentierten die Forscher mit sogenanntem Hasenleim, gekocht aus der Haut von Hasen, Kaninchen und anderen Nagetieren.

Die fertig verklebten Leinenbögen lagen zu Anfang zwar noch recht steif auf der Haut. Doch mit etwas Bewegung, Körperwärme und ein wenig Schweiß passten sie sich dem jeweiligen Träger wie maßgeschneidert an. Nur was taugt so ein leichter, anschmiegsamer Linothorax im Nahkampf? Wenn Pfeile, Schwerter, Morgensterne und Äxte ihn traktieren? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden: in der Praxis. Sicherheitshalber testete das Team die Leinenpanzer zunächst nicht am eigenen Körper, sondern spannte die verklebten Stoffbahnen auf Holzrahmen.

Wie bei kugelsicheren Westen

An diesen Konstruktionen probierten die Forscher das gesamte Waffenarsenal der Antike aus. Und staunten selbst, wie wenig sie damit ausrichten konnten. "Die Flexibilität des Materials verteilte die Kraft von aufprallenden Pfeilen – ganz wie bei modernen kugelsicheren Westen", berichtet Scott Bartell. "Schwerter oder Messer ritzten nur die obersten Schichten an. Lediglich Äxte und Morgensterne werden aber wohl doch heftige blaue Flecken oder gebrochene Rippen verursacht haben, auch wenn sie durch den Linothorax hindurch nicht mehr tödlich waren." Erst als das Team ausreichend mit den Eigenschaften der Leinenpanzer vertraut war, wagten sie sich an den nächsten Schritt – und testeten sie am eigenen Leib.

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Bartell zog sich seinen Linothorax an. "Ich machte mir keine Sorgen, dass ein Pfeil den Panzer durchschlagen könnte, schließlich hatten wir das zuvor rund tausend Mal getestet", erzählt Aldrete. Viel mehr Sorgen machte der Professor sich darum, ob er präzise genug zielen könne, sodass er die Mitte der Brust treffen würde und nicht einen ungeschützten Arm oder ein Bein seines Studenten. "Aber ich schieße schon seit meiner Kindheit mit Pfeil und Bogen", setzt er beruhigend nach.


Das Experiment ging gut aus und Aldrete und Bartell verstanden sich auch nach dem Praxistest noch so gut, dass sie 2013 gemeinsam ein Buch namens "Reconstructing Ancient Linen Body Armor" über das Projekt veröffentlichten. Kurze Zeit später wurden die beiden Autoren von den Spieleentwicklern Ben Schultz und Eric Meyer kontaktiert. Sie würden gerade an einem Zombie-Apokalypse-Spiel namens "High School of the Damned" arbeiten und wollten wissen, ob so ein Linothorax auch dem Biss eines Zombies standhalten könne. Nach kurzer Überlegung bejahte Aldrete die ungewöhnliche Anfrage: "Und jetzt kommt er tatsächlich in dem Spiel vor", freut er sich.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Korrespondenz mit Gregory Aldrete
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