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Thomas Südhof: Medizin- Nobelpreisträger erklärt wie menschliche Zellen Chaos verhindern


Transportsystem mit Billionen Akteuren
Nobelpreisträger erklären, wie menschliche Zellen Chaos verhindern

Von dpa
Aktualisiert am 08.10.2013Lesedauer: 3 Min.
ZellenVergrößern des BildesDas Transportsystem von Zellen basiert auf ständigem Stoff- und Informationsaustausch (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Wie ein Sortierzentrum der Post, nur vielfach komplexer und präziser, arbeitet jede Zelle eines Lebewesens. Und ein erwachsener Mensch besteht aus Billionen dieser Bausteine. Weil sie das Geheimnis gelöst haben, wie die Zellen ihr Transportsystem organisieren, erhalten der gebürtige Deutsche Thomas Südhof und seine US-Kollegen Randy Schekman und James Rothman dieses Jahr den Medizin-Nobelpreis. Sie haben auch erklärt, was bei Fehlern passiert.

Jede Zelle muss ständig eine Flut von Stoffen zum richtigen Empfänger bringen. Energie muss angeliefert, Müll abgestoßen werden, wichtige Proteine sind zu verfrachten. Fehler im Ablauf sind Ursache verschiedener Erbkrankheiten, immunologischer Störungen und Stoffwechselleiden wie Diabetes.

Die Preisträger haben erforscht, wie Moleküle in kleinen Paketen, sogenannten Vesikeln, zur richtigen Zeit an den richtigen Platz gelangen. Alle drei Wissenschaftler wurden bereits mit dem Lasker-Preis ausgezeichnet: die beiden US-Forscher 2002, Südhof in diesem Jahr. Die Auszeichnung gilt als inoffizieller amerikanischer Medizin-Nobelpreis.

Je nach Region und Funktion verschiedene Aufgaben

Die zehn bis hundert Billionen Zellen des menschlichen Organismus müssen Tausende unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Das Wirken einer Nierenzelle ist mit dem einer Nervenzelle, eines Spermiums oder eines Blutkörperchens kaum zu vergleichen. Zudem haben die Zellen im Schnitt nur etwa 40 Tausendstel Millimeter Durchmesser, beherbergen aber eine ganze Reihe verschiedener Bereiche: die oft als Kraftwerke bezeichneten Mitochondrien zum Beispiel, effiziente Proteinfabriken und den Zellkern mit der Erbinformation.

Kaum vorstellbar, dass der Transport von Stoffen in diesem absurd komplexen System überhaupt funktioniert. Hormone werden ausgeschüttet und lösen gezielt Reaktionen aus - Vasopressin und Oxytocin zum Beispiel die sprichwörtlichen Schmetterlinge im Bauch von Verliebten. Enzyme spalten Nährstoffe in gut verwertbare Häppchen oder legen Gifte lahm. Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin steuern im Hirn, ob ein Mensch etwa bei bestimmten Sinneswahrnehmungen in Verzückung gerät.

Ein System gegen das Chaos

Schekman machte mit Hefen als Modellorganismus verschiedene Gene aus, ohne die der Transport in Zellen im Chaos enden würde. "Das ist so etwas Fundamentales", sagt Roger Goody, Präsident der Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie. "Wir würden ohne diese Entdeckung überhaupt nicht verstehen, wie so komplizierte Zellen wie die menschlichen funktionieren."

Rothman klärte an Säugetierzellen auf, dass kleine Membranbläschen unterschiedlichste Moleküle transportieren. Er zeigte, dass diese Vesikel mit der Membran ihres Zieles verschmelzen. Zudem fand er heraus, dass es spezielle Proteine auf den Vesikeln gibt, die nur zu bestimmten Gegenstücken in der Zielmembran passen - ähnlich wie die zwei Seiten eines Reißverschlusses.

Nur an diesen Stellen geben die Bläschen ihre Fracht frei. In der Folge stellte sich heraus, dass einige der von Schekman aufgespürten Gene Baupläne für solche Markierungen auf den Membranen enthielten.

Der Kommunikationsexperte

Südhof erforschte, wie Nervenzellen miteinander kommunizieren. Auch die Botenstoffe im Gehirn, die Neurotransmitter, werden über Vesikel weitergeleitet - also den von Schekman und Rothman entdeckten Mechanismus. Der 57-Jährige identifizierte eine Reihe von Proteinen, über die der Prozess zeitlich hoch präzise abläuft. "Die Arbeiten der drei Preisträger haben sich ergänzt", sagt Franz-Ulrich Hartl, Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried.

Die Entdeckung sei ein langer Prozess, erklärt Jan Andersson, Mitglied des Stockholmer Nobelkomitees. "Er begann 1980 und endete irgendwo um 2002. Das waren über 20 Jahre Forschungsarbeit." Störungen des Membrantransports sind Symptome oder Ursachen schwerwiegender Krankheiten wie Mukoviszidose, Diabetes und Krebs.

Ansätze gegen HIV und Krebs

Etliche therapeutische Ansätze basieren auf der Arbeit des Forschertrios. So gibt es Versuche, HIV-Infektionen mit Stoffen zu beherrschen, die bestimmte Membranfusionen unterbinden. Bei Diabetes ist die Steuerung der Insulin-Ausschüttung ein mögliches Ziel.

Krebs-Mediziner erforschen die zentrale Bedeutung der Zell-Zell-Kommunikation für das Tumorwachstum: Viele Tumorzellen setzen Vesikel frei, die Proteine und Erbmaterial zu anderen Zellen transportieren. Zudem wird daran gearbeitet, Nanopartikel als künstliche Vesikel einzusetzen, um hochgiftige Krebs-Wirkstoffe gezielter nur am Tumor freizusetzen. Das könnte Chemotherapien deutlich verträglicher machen.

Angesichts der immensen Bedeutung ihrer Forschungsergebnisse ist klar: Ganz aus heiterem Himmel ist der Nobelpreis für keinen der drei Forscher gekommen. Gleichwohl sprach der deutsche Wissenschaftler von der Stanford-Universität im US-Bundesstaat Kalifornien vom überraschendsten Anruf aller Zeiten.

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