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Inzest bei Neandertalern: Bei Frühmenschen hatte jeder mit jedem Sex


Frühmenschen-Sex
Jeder mit jedem

spiegel-online, Von Frank Patalong

Aktualisiert am 19.12.2013Lesedauer: 4 Min.
Rekonstruktion eines NeandertalersVergrößern des BildesRekonstruktion eines Neandertalers (Quelle: dpa-bilder)
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Vor 50.000 Jahren lebten zeitgleich mehrere Unterarten Menschen. Und zwar auch miteinander - aktuelle Studien dokumentieren Spuren von Neandertalern und Denisova-Menschen in unserem Genom. Wie DNA-Analysen außerdem zeigen, taten die Auffrischungen des Gen-Pools dringend not.

"Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit" hieß eine deutsche Komödie aus dem Jahr 1998, und natürlich war das eine dieser Karussell-Geschichten: Ein Kreis von Personen ist darin auf die eine oder andere Weise sexuell miteinander verbandelt. Am Ende erkennt man, dass letztlich alle mit allen in Beziehung stehen.

Wenn man einer aktuellen Studie folgt, die im Fachmagazin "Nature" erschienen ist, war dieses "Jeder mit jedem" wohl seit Anbeginn der Zeit ein menschlicher Normalzustand.

Forscher der Universität Berkeley stellen darin den nächsten Schwung Erkenntnisse aus der fortlaufenden Genanalyse von Neandertalern und Denisova-Menschen vor. Sie verglichen darin die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb und zwischen diesen beiden sehr eng verwandten, aber distinkten Gruppen, und diese Ergebnisse wiederum mit Genanalysen des Homo sapiens.

Einerseits: Partnerwahl über Unterart-Grenzen hinweg

Was dabei herauskam, kann man mit zwei knappen Sätzen beschreiben: Vor 50.000 Jahren lebten offenbar zeitparallel mindestens vier Unterarten der Gattung Homo in unmittelbarer Nähe zueinander. Und gepaart wurde sich mit dem, der gerade verfügbar war.

Und das heißt sowohl über die Grenzen der eigenen Unterart hinweg, als auch innerhalb des eigenen Familienverbunds. Die Verwandtschaft zwischen den Unterarten des Homo waren dabei eng genug, fruchtbaren Nachwuchs zu zeugen. Die genetischen Spuren finden sich bis heute auch in unseren Genen.

So beziffert die Forschergruppe um den Populationsgenetiker Montgomery Slatkin 1,5 bis 2,1 Prozent des Genoms aller heutigen Nicht-Afrikaner als neandertaloid (andere Studien gehen sogar von bis zu fünf Prozent aus). Und sogar bis zu sechs Prozent der Gene mancher Menschen aus dem asiatisch-pazifischen Raum dürften von Vertretern der Denisova-Menschen ins aktuelle Genom eingebracht worden sein.

Die aktuelle Studie basiert auf der Analyse von Gensequenzen, die aus dem 50.000 Jahre alten Fußknochen einer Neandertaler-Frau gewonnen werden konnten.

Es ist die bisher vollständigste Gensequenzierung dieser Population der Gattung Homo neanderthalensis, die am gleichen Ort und möglicherweise parallel zu Denisova-Populationen lebte.

Andererseits: Man blieb in der Familie

Die aktuelle Analyse und der Vergleich mit anderen Gensequenzen brachte Überraschendes zutage:

  • Die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der offenbar sehr kleinen Population waren eng. Die Forscher spielten verschiedene Inzuchtszenarien durch und fanden, dass die Eltern der untersuchten Neandertalerfrau wohl Blutsverwandte gewesen sein müssen. Möglicherweise waren sie Halbgeschwister, die eine Mutter teilten, Onkel und Nichte oder Tante und Neffe, ein Großelternteil und Enkel oder Kinder von Geschwistern, die ebenfalls mit Geschwistern liiert waren.
  • Nur im Genom von Denisova-Menschen, deren Weg sich vor rund 300.000 Jahren von den Neandertalern trennte, finden sich Spuren einer vierten Homo-Unterart. Der nahe liegendste Verdächtige, mit dem die Denisova hier Gene ausgetauscht haben könnten, dürfte Homo erectus sein. Der gilt eigentlich als Vorvater aller drei genannten Homo-Unterarten, lebte aber offenbar noch zeitparallel zu den Denisova - und brachte Teile seines Erbguts zurück in den Genpool. Bisher war man davon ausgegangen, dass sich die Wege des Erectus von denen anderer Homo-Unterarten vor mehr als einer Million Jahren getrennt hatten.

"Die Studie zeigt, dass die Geschichte von Menschen und Homininen zu dieser Zeit sehr kompliziert war. Es gab eine Menge Kreuzungen, von denen wir wissen, und möglicherweise mehr sexuelle Kontakte, die wir noch nicht entdeckt haben", sagt Studienleiter Slatkin.

Die Entdeckung von Inzucht bei Neandertalern und wohl auch Denisova-Menschen deckt sich mit den Erwartungen. Menschliche Populationen waren bis vor wenigen tausend Jahren äußerst klein und über riesige Gebiete verteilt. Man geht davon aus, dass erst Homo sapiens damit begannen, diese Enge des genetischen Pools aufzubrechen - mit größeren Clan- und Stammesstrukturen, aber auch mit einer nomadischen Lebensweise, bei der auch der oft ritualisierte genetische Austausch zum Bestandteil entstehender Kulturen wurde.

Die aktuelle Studie dokumentiert aber auch genetische Eigenarten des Homo sapiens, die er mit keinem seiner Verwandten teilt. Die Forscher identifizierten 87 Gene des modernen Menschen, die sich deutlich von ihren Entsprechungen bei Neandertalern und Denisova unterscheiden. Slatkin geht wie Svante Pääbo davon aus, dass sich "darin einige der Dinge verstecken können, die die enorme Expansion menschlicher Populationen, von Kultur und Technologien in den letzten 100.000 Jahren möglich machten", wie Pääbo meint. Die Forschergruppe am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig ist eng mit der Berkeley-Gruppe von Slatkin verbunden.

Aber nicht nur die Absetzung von, sondern auch das Einbringen von Genen aus anderen Homo-Unterarten mag sich für den modernen Menschen positiv ausgewirkt haben. So dokumentiert eine andere aktuelle, im Fachjournal "Molecular Biology and Evolution" veröffentlichte Studie, dass der Homo sapiens wohl einige Gene, mit denen er sich an die UV-Strahlungsverhältnisse in nördlichen Breiten anpasste, von Neandertalern "durchgereicht" bekam. Besonders bei einigen asiatischen Völkern habe sich dieses Neandertaler-Erbe durchgesetzt: 49 Prozent aller Japaner und bis zu 66 Prozent aller Südchinesen trügen die entsprechenden 18 Gene.

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