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Berlin | Abgeordnetenhauswahl: FDP-Spitzenkandidat Czaja zu Wohnen und Verkehr


FDP-Spitzenkandidat
"Der Mietendeckel hat zu absolutem Chaos geführt"

  • Anne-Sophie Schakat
InterviewVon Sophie Loelke, Anne-Sophie Schakat

04.08.2021Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja: Mitten im Wahlkampf und nur wenige Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin spricht er über die größten Baustellen Berlins.Vergrößern des Bildes
FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja: Mitten im Wahlkampf und nur wenige Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin spricht er über die größten Baustellen Berlins. (Quelle: V. Saizew)

Sebastian Czaja ist Spitzenkandidat der Berliner FDP. Er träumt von der Chancenmetropole Berlin. Im Gespräch mit t-online erzählt der Politiker, wie er diese nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus im September erreichen will.

Mitten im Wahlkampf vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin am 26. September hat FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja mit t-online über die größten politischen Baustellen Berlins gesprochen.

Davon gibt es so einige. Doch Wohnen, Verkehr und Bildung liegen ihm besonders am Herzen. Er verrät, wie er sich die Bebauung des Tempelhofer Feldes vorstellt und warum ein günstigerer Nahverkehr keine Option für Berlin darstellt.

t-online: Herr Czaja, wir starten direkt mit einer der wohl größten Baustellen in Berlin: dem Wohnen. Der Mietendeckel ist gescheitert. Für Sie war er sowieso nicht der richtige Weg für Berlin. Was ist Ihr Vorschlag, um die Situation für die Bürgerinnen und Bürger zu entschärfen?

Sebastian Czaja: Der Mietendeckel hat in den letzten Monaten am Wohnungsmarkt zu absolutem Chaos geführt. Mieterinnen und Mieter in der Stadt haben extreme Unsicherheiten erlebt. Durch ihn entsteht keine einzige neue Wohnung. Unser Gegenentwurf ist daher eine mietsenkende Neubau-Offensive, die Berlin dringend braucht. Denn: Es fehlen 200.000 Wohnungen in der Stadt, die wir bis 2030 entstehen lassen wollen.

Bis 2030 sind es aber noch fast 10 Jahre… Was hilft akut?

Der Neubau ist natürlich eine mittel- und langfristige Maßnahme. Bauen braucht Zeit. Da bleibt die Frage: Wie können wir jetzt helfen? Zum Beispiel, indem wir unter anderem umsteuern von Objekt- auf Subjektförderung. Das heißt, wir wollen das Geld nicht mehr in den Beton stecken, sondern in denjenigen oder diejenige, der oder die Unterstützung braucht.

Wie funktioniert dieses Konzept?

In der Objektförderung gibt der Staat Geld für Bauvorhaben. Dann entstehen Quartiere und Viertel für ein gewisses Klientel, je nachdem wie viel Geld dort investiert wird. Das wollen wir durchbrechen und eine soziale Mischung hinbekommen, indem wir zum Individuum umsteuern. Ziel ist es, dass jeder überall in der Stadt wohnen kann und ein Zuhause auf Dauer hat – bei einer privaten wirtschaftlichen Schieflage würde die Person monetäre Unterstützung vom Staat erhalten und müsste nicht in ein anderes günstigeres Viertel umziehen.

Klingt nach einer großen Umsteuerung...

Es ist ein Plan und eine politisch andere Richtung. Es ist interessant, dass diese Richtung von Linken und Grünen nicht geteilt wird. Deshalb treten wir für einen neuen Stil in der Politik ein. Wir wollen ein konstruktives Miteinander bekommen und alle Akteure von den Mietinitiativen über die Bauwirtschaft an einen Tisch holen.

Jetzt kommt noch ein Volksentscheid auf Berlin zu, der unter Umständen erneut für viel Unsicherheit sorgen könnte: über die Enteignung großer Immobilienkonzerne. Es ist kein Geheimnis, dass die FDP dagegen ist. Warum?

Erstens: Ich kenne keinen Bezugspunkt in der Geschichte, in der die Enteignung ganzer Branchen hilfreich war oder zu irgendetwas Gutem geführt hat. Zweitens: Diese Enteignung kostet 36 Milliarden und das übersteigt den kompletten Landeshaushalt, der bei 32 Milliarden liegt. Drittens entsteht wieder keine einzige neue Wohnung in der Stadt. Es führt eher zu sozialen Spannungen, weil im Landeshaushalt die Mittel fehlen werden für soziale Infrastruktur. Wir müssen Schulen und Kitas bauen. Wir müssen die Verwaltung modernisieren, wir haben in der Pandemie gesehen, wie wichtig das Thema Digitalisierung ist. Überall da werden Gelder fehlen, nur weil man ideologisch Enteignungen umsetzen will. Das ist der völlig falsche Weg, um die Krise am Wohnungsmarkt zu lösen. Mit uns wird es keine Enteignung geben.

Sie wollen aber selbst noch einen anderen Volksentscheid anstoßen, nämlich zur Bebauung des Tempelhofer Feldes. Damals waren die meisten dagegen. Wie stellen Sie sich das vor?

Die jetzige Brachfläche würden wir gerne zu einer Fläche mit Aufenthaltsqualität entwickeln: nämlich 200 Hektar Freifläche als Biotop und 100 Hektar am Tempelhofer Rand für etwa 12.000 Wohnungen – ein Drittel kommunal, ein Drittel genossenschaftlich und ein Drittel privat.

Und für wen soll dieser Wohnraum sein?

Unser Eindruck ist, dass in dieser Stadt gerade für die Mitte Wohnraum fehlt. Die Wohnungen sind nicht für diejenigen, die vom Wohnberechtigungsschein profitieren und nicht für diejenigen, die dem Luxussegment angehören. Mir geht's um die Pflegerin, den Pfleger. Ich denke an die Krankenschwestern, eine Polizistin, den Feuerwehrmann. Es gab einen rechtskräftigen Volksentscheid in dieser Frage, doch der ist entstanden, als wir noch gar nicht den Druck am Wohnungsmarkt hatten. Deshalb würden mehr als 60 Prozent der Berlinerinnen und Berliner das Thema aus heutiger Sicht völlig anders bewerten – und sagen: "Ja. Wieso eigentlich nicht?"

Die CDU will für die Erschließung solcher neuen Wohnquartiere auch Magnetschwebebahnen einsetzen. Halten Sie das auch für ein Konzept, das funktionieren kann?

Ich finde neue Technologien immer spannend und wir sollten keine Tabus im Denken haben. Wieso also nicht? Wir haben auch vorgeschlagen, die Stadt dreidimensional zu denken, wenn es um die verkehrlichen Herausforderungen geht. Auf der einen Seite wollen wir den U-Bahn-Ausbau vorantreiben. Wir haben außerdem die Chance, unter der Erde Parkraum zu schaffen, um den ruhenden Verkehr aus den Straßen zu bekommen. Wir haben auch überlegt, die letzten Kilometer mit einer Seilbahn in der Stadt zu modifizieren. Andere Städte machen das auch. Wieso soll das in Berlin nicht funktionieren?

Glauben Sie, dass der Nahverkehr günstiger werden muss, um die Leute zum Umsteigen zu animieren?

Den Nahverkehr günstiger machen, bedeutet, weniger Geld für Sauberkeit und Sicherheit zu haben. Das wäre kontraproduktiv und abschreckend. Das Angebot muss stimmen, dann steigen die Leute vom Auto um in die Bahn. Ich spreche hier vor allem auch von den Randbezirken. Hier muss ausgebaut werden.

Was wollen Sie denn als erstes ausbauen?

Momentan haben wir eine Privilegierung des inneren S-Bahn-Rings. Und die wollen wir durchbrechen. In den Randbezirken besteht nach 22 Uhr kaum noch ein Angebot oder nur eins, auf das ich eine halbe Stunde warten muss. Alle Berlinerinnen und Berliner sind aber privilegiert und sollen einen ordentlichen öffentlichen Nahverkehr haben.

Stichwort Metropolregion Berlin-Brandenburg: Hier muss noch einiges in der Zusammenarbeit getan werden. Besonders im Bereich Verkehr …

Das ist für uns in der Tat ein wichtiges Thema, auch für das nächste Jahrzehnt. Wir müssen endlich eine bessere, qualifizierte Zusammenarbeit mit Brandenburg hinbekommen. Wir haben jetzt knapp 400.000 Pendlerinnen und Pendler am Tag zwischen den Regionen. Die wirtschaftlich großen Ansiedlungen haben in den letzten Jahren in Brandenburg stattgefunden: Tesla mit 12.000 neuen Jobs, dann die Erweiterung von Rolls-Royce-Standorts und die Eröffnung des BER Flughafens. All das sind Ansiedlungen, die Verkehr nach sich ziehen. Deshalb muss der öffentliche Nahverkehr, aber auch der Ausbau von Autobahnen mitgedacht werden.

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Sie sprachen schon das Thema Digitalisierung in Berlin an. Da gibt es besonders an den Schulen viel aufzuholen.

Wir müssen das zarte Pflänzchen der Digitalisierung, das in der Pandemie entstanden ist, retten und ausbauen. Wir haben es alle erlebt: Der neue Umgang mit digitalen Instrumenten war für uns alle eine Lernkurve. Die darf jetzt nicht unterbrochen werden. Da muss mehr technische Ausstattung her und investiert werden. Wir wollen daneben aber auch einen digitalen Hausmeister in den Schulen anstellen. Denn was nützt die beste Technik, wenn der richtige Umgang nicht bekannt ist.

Viel diskutiert sind in der Pandemie auch die Luftfilteranlagen an den Schulen, damit der Unterricht wieder sicher stattfinden kann. Was läuft da schief?

Es muss Schluss sein mit "Schule auf, Schule zu". Wir brauchen einen verlässlichen Regelbetrieb. Wir selbst haben schon im Juni 2020 die Luftfilter vorgeschlagen. Nun wurden zumindest welche angeschafft, jedoch bei weitem nicht genug. Mich erreichen auch Zuschriften aus Schulen, in denen man mir sagt, es stehen Luftfilter in der Turnhalle, weil das Stromnetz nicht ausreicht, um alle anzuschließen. Das beschreibt auch den baulichen Zustand unserer Schulen.

Ist daher ein erneuter Lockdown, um die Kinder zu schützen, eine wahrscheinliche Konsequenz?

Wenn es dazu käme, wäre es ein Ausdruck von Versagen der Regierung in Berlin, die das zu verantworten hat. Das Ziel der FDP ist, diesen Lockdown zu verhindern. Wir brauchen jetzt wieder dauerhaften Regelbetrieb, kein Hin und Her mehr. Wir wollen dafür sorgen, dass in der Schule ein sicheres Lernen möglich ist.

Lernen ist nur möglich, wenn auch genügend Lehrerinnen und Lehrer vor Ort sind. Seit längerem ist das in Berlin eher nicht der Fall. Zahlreiche Unterrichtsstunden fallen aus. Was muss hier getan werden?

Es geht auf jeden Fall nicht nur darum, Wertschätzung durch Gehälter zum Ausdruck zu bringen. Geld ist nicht alles. Sondern was wird getan, um das Lehrerzimmer zu einem Ort zu machen, wo ich Unterricht vor- und nachbereiten kann, um das allgemeine Arbeitsumfeld zu verbessern? Bisher ziemlich wenig. Wir sorgen dafür, dass auch Lehrerinnen und Lehrer ein technisches Endgerät haben und sich nicht alles privat mitbringen müssen. So kann auch die Unterrichtsqualität wieder steigen und man hat wieder mehr Lust auf Unterricht. Viele Lehrerinnen und Lehrer sind krank, weil sie zu sehr belastet sind. Das kann man mit einem besseren Klima am Arbeitsplatz ebenfalls durchbrechen. Das Geld allein sorgt am Ende nicht für besseres Klima im Arbeitsumfeld.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Czaja!

Am 26. September wählen die Berlinerinnen und Berliner neben dem Deutschen Bundestag auch das Berliner Abgeordnetenhaus sowie die Bezirksverordnetenversammlungen. Für einen Überblick über die Positionen und Ziele der Berliner Parteien hat t-online Interviews mit den jeweiligen Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl geführt.

Jeden Sonntag finden Sie ein weiteres Gespräch auf t-online. Am 22. August folgt das Interview mit der Berliner Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch
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