Berlins Ex-Bürgermeister "Die Ampelkoalition ist gefragt"

Nach sieben Jahren ist Schluss: Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Michael Müller wechselt in den Bundestag. Mit t-online schaut er auf das vergangene Jahr zurück. Dieses Mal: die Berliner Wohnungspolitik.
Als Regierender Bürgermeister saß Michael Müller (SPD) jahrelang auf dem Chefsessel des Roten Rathauses in Berlin. Nach sieben Jahren im Amt wurde er nun am 21. Dezember von seiner Parteikollegin Franziska Giffey abgelöst und wechselt von der Landes- in die Bundespolitik. Bei der Wahl im September gewann er ein Direktmandat und zog in den Bundestag ein.
Mit t-online hat der Ex-Bürgermeister auf das vergangene Jahr zurückgeblickt. Was konnte auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt verbessert werden? Wo gibt es noch Baustellen?
Hinweis: Das Interview wurde schriftlich geführt.
t-online: Herr Müller, hat sich die Situation von Mieterinnen und Mietern im vorigen Jahr aus Ihrer Sicht verbessert?
Michael Müller: Das Thema bezahlbarer Wohnraum haben wir im vergangenen Jahr, wie auch in der gesamten Legislaturperiode, mit höchster Priorität behandelt. Die Problematik hat sich durch die Corona-Pandemie leider noch verschärft, weil einige Mieterinnen und Mieter dadurch finanziell in Bedrängnis geraten sind.
In unserer Arbeit im Senat haben wir den Ansatz verfolgt, die drei Bereiche Bauen, Kaufen und Deckeln gleichermaßen voranzubringen – was aus meiner Sicht richtig war und bleibt. Unserem Ziel, jedes Jahr 20.000 neue Wohnungen zu bauen, sind wir mit der jährlichen Fertigstellung von 16.000 bis 19.000 Wohneinheiten nah gekommen.
Wir haben also für die Mieterinnen und Mieter in Berlin viel erreicht: In der vergangenen Legislaturperiode haben wir den Wohnungsneubau, auch im bezahlbaren Segment, deutlich angekurbelt. Das ist auch durch das große Engagement der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gelungen, die ihren Gesamtbestand durch Neubau und Zukauf von 2016 bis 2020 um 13 Prozent erweitert haben. Ein großer Erfolg war 2021 die Übernahme von etwa 15.000 Wohnungen der Deutsche Wohnen und von Vonovia durch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften. Damit haben wir insbesondere langfristige Sicherheit für viele Mieterinnen und Mieter mit geringen Einkommen geschaffen.
Wurden alle Möglichkeiten zur Verbesserung der Wohnungsnot ausgeschöpft? Was hätten Sie noch gerne umgesetzt?
Berlin nutzt seit Jahren alle Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen, um regulierend in den Wohnungsmarkt einzugreifen. Gesetzliche Neuerungen auf Bundesebene, wie etwa die Genehmigungspflicht für die Umwandlung von Miet- und Eigentumswohnungen zum Schutz vor Verdrängung, haben wir in Berlin immer direkt umgesetzt.
Bei anderen Instrumenten sind wir an Grenzen gestoßen, wie zum Beispiel beim Vorkaufsrecht. Ich halte das Vorkaufsrecht weiter für ein geeignetes Mittel, um Mieter vor zu hohen Mieten zu schützen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies jedoch gekippt. Es darf nur in sehr wenigen Fällen angewendet werden. Die Mehrheit der Länder – natürlich auch Berlin – wehrt sich dagegen und fordert nun, dass das Bundesrecht entsprechend geändert werden muss, damit die Vorkaufspraxis in den Ländern rechtssicher angewendet werden kann.
Auch der "Mietendeckel" konnte leider aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im April so nicht aufrechterhalten werden. Das wäre eine dringend benötigte Atempause für die Mieterinnen und Mieter in der Stadt gewesen. Die Länder haben nach diesem Urteil jedoch bisher keine Möglichkeit, einen Mietendeckel einzuführen. Es hat den Mietendeckel aber nicht grundsätzlich als verfassungswidrig eingestuft, sondern verbietet den Ländern, ihn einzuführen. Hier ist jetzt die neue Ampelkoalition gefragt, eine entsprechende Öffnungsklausel für Länder einzuführen.
Was wurde im vergangenen Jahr gegen Wohnungs- und Grundstücksspekulanten unternommen, die sich nicht um ihre Häuser und Wohnungen gekümmert haben?
Vernachlässigte Mietshäuser sind ein großes Problem für die betroffenen Mieterinnen und Mieter. In Berlin sind sogenannte "Problemimmobilien" allerdings kein massenhaftes Phänomen. Die Verwaltung hat umfangreiche Handlungsmöglichkeiten, um den Eigentümerinnen und Eigentümern solcher Wohnobjekte angemessen begegnen zu können – mit der Novellierung des Wohnungsaufsichtsgesetzes wurde das sogar deutlich nachgeschärft.
Beispielsweise wurden die Mindestanforderungen an erträgliche Wohnverhältnisse erweitert. Hier geht es zum Beispiel um sanitäre Anlagen, um Wärme- oder Schallschutz. Außerdem können die Wohnungsaufsichtsämter leichter ermitteln und Anordnungen schneller vollstreckt werden. Ämter haben mehr Möglichkeiten, Zugang zu den Wohnungen zu bekommen und die Vermieter müssen die Kosten tragen, die dem Bezirk für "Problemimmobilien" entstehen. Die Berliner Bezirke bieten zusätzlich kostenlose Mieterberatungen an, damit sich die betroffenen Haushalte auch auf zivilrechtlichem Wege wehren können.
In Berlin gibt es viele obdachlose Menschen. Was wurde im vergangenen Jahr unternommen, um wohnungslose Menschen zu unterstützen und sie von der Straße zu holen?
In der Tat leben in Berlin noch immer zu viele Menschen auf der Straße. Die Überwindung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist weiterhin eine der großen sozialpolitischen Herausforderungen dieser Stadt − gerade auch vor dem Hintergrund des angespannten Wohnungsmarktes.
Der Berliner Senat hat im vergangenen Jahr – wie auch in der gesamten Legislaturperiode – große Anstrengungen unternommen, um obdachlose Menschen von der Straße zu holen und die Hilfsangebote für wohnungslose Menschen auszubauen. Essenziell waren dabei unsere weiterentwickelten "Leitlinien der Wohnungslosenhilfe und Wohnungslosenpolitik".
So konnte zum Beispiel im September ein Pilotprojekt starten, mit dem die Unterbringung von wohnungslosen Menschen in fünf Unterkünften gesamtstädtisch gesteuert wird. Damit sollen die Suche und die Vermittlung von Unterkunftsplätzen erleichtert werden. Darüber hinaus sind diesen Winter Modellprojekte in Betrieb gegangen: In stadtweit verteilten Unterkünften können etwa 200 wohnungslose Menschen eine sichere Unterkunft im Tag-und-Nacht-Betrieb sowie zahlreiche Versorgungs- und Sozialberatungsangebote erhalten.
Vielen Dank für das Interview!
- Interview mit Michael Müller per Mail