Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bonner Familien sitzen in Kabul fest "Fühle mich von der deutschen Regierung im Stich gelassen"

Nach dem Abzug der US-Soldaten vom Kabuler Flughafen stecken immer noch mehrere Deutsche in Afghanistans Hauptstadt fest. Darunter auch die Familie von Naqi A. aus Bonn.
"Die Hoffnung stirbt zuletzt", so fasst Naqi A. (Nachname ist der Redaktion bekannt) die Situation seiner in Afghanistan ausharrenden Familie nüchtern zusammen. Am 1. August waren seine Frau und seine drei Töchter nach Kabul geflogen, um die Familie zu besuchen.
"Da war noch überhaupt nicht absehbar, dass die Taliban das Land so schnell übernehmen würden", erklärt der 33-Jährige, der seit seinem siebten Lebensjahr in Deutschland lebt und wie seine Frau und Kinder einen deutschen Pass besitzt. "Sonst hätten wir den Flug natürlich abgesagt."
Kabul sei innerhalb von Stunden übernommen worden, so der gebürtige Afghane. "Meine Familie versteckt sich bei meinen Schwiegereltern, sie gehen nicht mehr vor die Tür."
Zutritt zum Flughafen verwehrt
Eigentlich sollten seine Frau, die beiden Töchter (11 und 8 Jahre) und das erst 15 Monate alte Kleinkind am 16. August zurückkehren. Doch da war der Luftraum über Afghanistan bereits gesperrt, die afghanische Regierung zusammengebrochen und der Präsident Ashraf Ghani außer Landes geflüchtet.
Mit ihren deutschen Pässen hoffte die Familie schnell genug auf die Warte- und Passagierlisten zu kommen, aber durch das vor Ort herrschende Chaos und hohe Bürokratiehürden war die Anmeldung hoch kompliziert.
"Sie sollten sich als deutsche Staatsangehörige auf die Krisenvorsorgeliste 'ELEFAND' eintragen und zusätzlich eine E-Mail an das Auswärtige Amt senden", erklärt der verzweifelte Vater aufgebracht, "aber das ist nicht so einfach, wenn das Mobilfunknetz vor Ort dauernd zusammenbricht".
Grundschule bietet Unterstützung
Hilfe bekam Naqi A. von der Carl-Schurz-Grundschule in Bonn-Tannenbusch, auf die seine beiden Töchter gehen. "Wir haben Herrn A. sowie einer anderen Familie mit den Formularen geholfen, aber gebracht hat es leider bislang nichts", erklärt Sonderpädagoge Daniel Jakubik.
Eine andere Bonner Familie, eine Mutter mit zwei Töchtern, sei am Flughafen ebenfalls zuerst von den US-Soldaten und bei einem weiteren Versuch von den Taliban abgewiesen worden, trotz deutscher Pässe, weiß Jakubik zu berichten.
Der Sonderpädagoge und auch die Grundschulleiterin Claudia Köse hätten wie Naqi A. vielfach Kontakt mit dem Auswärtigen Amt aufgenommen und versucht, auf die dringliche Situation aufmerksam zu machen, von der Kommunalpolitik bis hin zum Auswärtigen Ausschuss des Bundestages.
Keine Hilfe von der Regierung
"Ich fühle mich von der deutschen Regierung im Stich gelassen, auf meine Mails an das Auswärtige Amt bekomme ich keine Reaktion", so der Vater. Pädagoge Jakubik berichtet davon, dass die Krisenhotline der Behörde oft nicht zu erreichen sei.
"Die deutsche Botschaft Kabul ist seit 15. August 2021 geschlossen. Eine konsularische Unterstützung vor Ort ist derzeit nicht möglich", heißt es auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes. Deutsche Staatsangehörige werden aufgefordert, Afghanistan zu verlassen.
Flucht auf dem Landweg ist hochgefährlich
Obwohl das Außenministerium mit den angrenzenden Ländern wie Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan Gespräche zum Thema Grenzmanagement führt, ist das Risiko einer Ausreise über den Landweg derzeit kaum kalkulierbar.
"Die Grenzen sind dicht und werden von den Taliban kontrolliert", erklärt Naqi A. "Die Reise ist für drei Frauen und ein Kleinkind ohne männliche Begleitung ohnehin viel zu gefährlich." Derzeit könne man nicht viel mehr tun als abzuwarten.
Kontakt nur via WhatsApp
Das Einzige, was die Hoffnung des besorgten Vaters auf eine unversehrte Rückkehr seiner Familie noch aufrechterhält, ist der regelmäßige Kontakt über Videotelefonie – sofern die Mobilfunkverbindung durchhält: "Ihnen geht es so weit gut, da besteht momentan keine Gefahr."
Naqi A. weiß selbst von vier weiteren Familien aus Bonn, die ebenfalls in Kabul festsitzen – Sonderpädagoge Jakubik von dreizehn Kindern und drei Müttern, die es bislang noch nicht geschafft haben auszureisen. "Noch denke ich positiv", erklärt Herr A. gefasst, "aber meine Familie muss sich verstecken und hat Angst. Zur Not muss ich selbst nach Afghanistan reisen. Ich würde meinen Kopf für meine Kinder hinhalten, ein anderer macht das nicht."
- Gespräch mit Daniel Jakubik und Naqi A. (Nachname der Redaktion bekannt)
- Internetseite Auswärtiges Amt
- Eigene Recherche
- "Bonner Generalanzeiger": "Vater bangt um seine Kinder in Kabul"