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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach Einsturz der Carolabrücke 19 Brücken bereiten Verkehrsministerin "Bauchschmerzen"

Der Einsturz der Dresdner Carolabrücke im September 2024 warf Fragen zur Sicherheit der sächsischen Infrastruktur auf. Verkehrsministerin Regina Kraushaar spricht über die Konsequenzen und nennt konkrete Problemfälle.
Am 11. September 2024 brach ein Teil der Dresdner Carolabrücke zusammen. Die wichtige Elbquerung stürzte in den Fluss. Der Einsturz der Spannbetonbrücke aus DDR-Zeiten löste eine Debatte über den Zustand der Infrastruktur in ganz Sachsen aus.
Regina Kraushaar war zum Zeitpunkt des Einsturzes Präsidentin der Landesdirektion. Heute ist sie Sachsens Verkehrsministerin und verantwortlich für 2.500 Brücken im Freistaat. Im Interview mit t-online spricht sie über die Lehren aus dem Einsturz.
t-online: Frau Kraushaar, der Einsturz der Carolabrücke hat viele Menschen in Dresden und ganz Sachsen erschüttert. Wie haben Sie persönlich von dem Vorfall erfahren und was war Ihre erste Reaktion?
Regina Kraushaar: Ich habe bereits ganz früh morgens von dem Vorfall erfahren und wollte es zunächst gar nicht glauben. Noch mehrere Stunden danach habe ich darüber nachgedacht, ob nicht vielleicht doch Tote oder Verletzte zu beklagen sind — man konnte ja nicht wissen, ob jemand von der Elbe mitgerissen wurde. Es hätte eine unendliche Dramatik bedeuten können, wenn es unzählige Tote und Verletzte gegeben hätte. Ein Szenario, das mir Angst und Schrecken eingejagt hat.
Glücklicherweise gab es keine Verletzten. Der Bau der neuen Dresdner Carolabrücke soll 2027 starten. Halten Sie dieses Startjahr für realistisch?
Ich glaube, das kann die Stadt Dresden mühelos schaffen. Vielleicht nicht nur 2027 mit dem Bau zu beginnen, sondern 2028 oder 2029 auch fertig zu sein.
Es wird viel diskutiert, wie die neue Carolabrücke aussehen soll. Entweder ein Ersatzneubau der Brücke – so, wie sie zuletzt aussah – oder ein Wiederaufbau nach historischem Vorbild. Haben Sie eine Präferenz?
Mir ist wichtig, dass die Stadt Dresden für die Bürgerinnen und Bürger die schnellstmögliche Lösung findet. Und das ist ein Ersatzbau. Einen Wiederaufbau nach historischem Vorbild müsste der Stadtrat mit dem Oberbürgermeister gut abwägen, denn das würde den Prozess um Jahre verzögern. Dafür wäre ein Planfeststellungsverfahren notwendig – und das dauert nun einmal, mit festen Fristen und Anhörungen. Ich empfehle deshalb einen Ersatzneubau ohne Planfeststellungsverfahren.
Wie ist der allgemeine Zustand der Brücken im Freistaat aktuell zu bewerten?
Wir haben ungefähr 12.000 Brücken in Sachsen – 2.500 davon fallen in die Zuständigkeit des Freistaats. Es gibt ein Brückenprüfsystem, und aktuell ist nur eine Brücke in unserer Zuständigkeit gesperrt. Der überwiegende Teil ist sicher und kann genutzt werden. Uns beschäftigen neben den Brücken auch die Staatsstraßen. Da wurde bereits viel saniert, neu gebaut und erhalten, gleichzeitig schreitet die Abnutzung aber schneller voran.
Welche Brücken bereiten Ihnen aktuell aufgrund des Zustands Bauchschmerzen?
Wir haben 19 Spannbetonbrücken identifiziert, die besonders intensiv überwacht werden – sozusagen wegen der Bauchschmerzen. Eine Brücke in Großenhain wurde bereits abgerissen, dort beginnt der Neubau noch in diesem Jahr. Besonders im Blick haben wir auch die sogenannte "Agra-Brücke" in Markkleeberg südlich von Leipzig. Dort werden beispielsweise Spannstähle von oben und unten entnommen. Die weiteren Brückenuntersuchungen folgen, wir mussten hier priorisieren. Wenn eine Prüfung Anlass dazu gibt, wird die Geschwindigkeit begrenzt, die Fahrstreifen werden reduziert oder es kommt im Einzelfall auch zu einer Sperrung.
Gehen Sie von weiteren Brückensperrungen in Sachsen aus?
Da die Brücken regelmäßig unter Beobachtung stehen, gehe ich davon aus, dass eine Sanierung – also vor einer Sperrung – in Angriff genommen wird. Ausschließen kann ich Sperrungen natürlich nicht.
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Welche präventiven Maßnahmen plant das Ministerium für andere wichtige Brücken in Dresden und Sachsen, um einen vergleichbaren Vorfall in der Zukunft zu verhindern?
Das wichtigste Mittel der Prävention ist, jedes Bauwerk permanent zu erhalten und zu pflegen. Das ist – ein bisschen flapsig gesagt – wie bei der Pflege von Schuhen oder Gartenzäunen: Wer sich regelmäßig kümmert, verlängert die Nutzungsdauer um ein Vielfaches. Die Mittel, die vorhanden sind, müssen gezielt in diese Pflege gesteckt werden.
Die richtige Pflege ist auch ein Thema des Geldes. Wird es zusätzliche Sonderprogramme oder ein Beschleunigungsprogramm für Brückenmodernisierungen geben?
Der Koalitionsvertrag sieht das vor. Gleichwohl müssen wir auch sehen, dass im aktuellen Haushaltsentwurf nicht genug freie Mittel zur Verfügung stehen. Jetzt ist das "Sondervermögen des Bundes" in Aussicht, das mit 5 Milliarden Euro für Sachsen ausgestattet werden soll. Dann würden über 12 Jahre knapp 400 Millionen Euro jährlich für Investitionen in die Infrastruktur zur Verfügung stehen. Und selbstverständlich müssen auch die Kommunen einen relevanten Anteil an diesem Sondervermögen erhalten.
Durch den Einsturz der Carolabrücke ist sicherlich in der Bevölkerung viel Vertrauen verloren gegangen. Wie wollen Sie das zurückgewinnen – und kann man sich auf die Infrastruktur in Sachsen verlassen?
In Sachsen können wir uns auf die Infrastruktur verlassen, selbstverständlich. Dort, wo eine Brücke in sehr schlechtem Zustand ist, wird sie sicherheitshalber gesperrt werden. Es gibt keinen Grund, das Vertrauen zu verlieren. Die Infrastruktur wird geprüft, permanent überwacht und, wenn es notwendig ist, wird gehandelt.
Wenn ich aus Ihrem Bürofenster blicke, sieht man die Carolabrücke. Was nehmen Sie aus dem Einsturz der Brücke für Ihre politische und ministerielle Arbeit mit?
Eine sehr praktische Konsequenz: Beim bisher geltenden Prüfverfahren nach DIN-Norm konnten offenbar nicht alle möglichen Schäden entdeckt werden. Denn man hat die Brücken bisher nicht geöffnet, weil bei einer solchen Öffnung natürlich auch Schadstoffe eindringen können. Das ist ähnlich wie bei einer OP: Wenn bei der OP – notwendigerweise – eine Wunde gemacht wird, besteht immer auch die Gefahr, dass sich etwas infiziert. So ähnlich ist es auch bei einer Brückenöffnung, wenn man sehen will: Ist das Innere intakt oder nicht? Trotzdem sollen die Prüfverfahren angepasst werden, auch wenn das heißt, Brücken zu öffnen. Die Prüfnorm wird gegenwärtig überarbeitet. Gleichzeitig werden moderne Verfahren entwickelt, um Brücken zu prüfen, ohne sie zu öffnen. Und noch etwas habe ich beim Einsturz eindrucksvoll gelernt: An der Carolabrücke zeigt sich, dass wir es zum Teil mit erheblichen Infrastrukturschulden zu tun haben. Und die sind mindestens so komplex und folgenreich wie finanzielle Schulden bei einer Bank.
Vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit Regina Kraushaar, Sächsische Staatsministerin für Infrastruktur und Landesentwicklung