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Frank Goosen: Kabarettist blickt auf Kindheit im Ruhrgebiet


Kabarettist Frank Goosen im Interview
"Fernsehen war für uns das Fenster zur Welt"

InterviewEin Interview von Dietmar Nolte

Aktualisiert am 10.08.2025 - 08:40 UhrLesedauer: 6 Min.
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Kabarettist Frank Goosen bei einem Auftritt (Archivbild): Auch beim Zeltfestival Ruhr tritt der 59-Jährige auf. (Quelle: Jürgen Theobald/imago-images-bilder)
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Ruhrpott-Kabarettist Frank Goosen wagt einen skurrilen Streifzug durch die Siebzigerjahre. Vor seinem Auftritt beim Zeltfestival Ruhr spricht er darüber im Interview mit t-online.

Das Zeltfestival Ruhr lockt auch in diesem Jahr (22. August bis 7. September) wieder mit einem bunten Programm aus Konzerten, Comedy, Kulinarik und Kunsthandwerk in die weiße Zeltstadt am Kemnader See.

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Frank Goosen gehört dort quasi zu den Stammgästen. In diesem Jahr widmet sich der Kabarettist und Autor aus dem Ruhrgebiet mit einem speziellen Programm den Siebzigerjahren. "Daddy Cool. Oder: Es regnet nie in Mendocino" heißt es gleich zweimal am 26. August und 1. September.

t-online: Frank Goosen, wenn man "Daddy Cool" liest und "Mendocino" hört, denkt man unweigerlich an die Siebzigerjahre. Ist das der Kern Ihres Programms beim diesjährigen Zeltfestival?

Frank Goosen: Es ist ein Spezialprogramm eigens für das Zeltfestival und es dreht sich tatsächlich alles um die Siebzigerjahre. Ich habe dort mit "Sweet Dreams" auch schon mal ein Achtzigerjahre-Programm gespielt. Da ich jedes Jahr auf dem Zeltfestival bin, habe ich ein bisschen die Verantwortung, aber auch die Freude, für die Leute etwas Ungewöhnliches zusammenzustellen oder neu zu schreiben.

Warum sind ausgerechnet die Siebzigerjahre das Thema?

Es war das erste Jahrzehnt, das mich total geprägt hat als Kind und junger Jugendlicher. Alles, was zum ersten Mal passiert, beeindruckt einen ja sehr tief. Das erste Mal im Stadion gewesen, das erste Mal eine Weltmeisterschaft erlebt, aber auch das erste Mal mit der Politik in Berührung gekommen. Das war die Terroristengeschichte der Siebziger mit dem Deutschen Herbst 1977. Aber die Siebzigerjahre waren für mich auch die Urlaube, die man gemacht hat mit der Familie, vor allem auch mit meinen Großeltern. Urlaub in Spanien, später in Holland und Österreich – das steckt alles voller Geschichten.

Hatten Sie eine glückliche Kindheit?

Auf jeden Fall. Bei keinem herrscht ja nur eitel Sonnenschein. Ich bin mitten in der Stadt aufgewachsen und habe ein bisschen Street Credibility dadurch bekommen, dass über den Parkplatz neben unserem Haus die Kundschaft hoch zum Rotlichtbezirk fuhr. Da gab es manchmal nachts richtig Ärger. Schräg unter meinem Fenster, knapp 50 Meter weiter, ist mal einer erstochen worden. Ich bin als Kind auch öfter nach dem Weg zum Puff gefragt worden – was bei einem Achtjährigen schon komisch ist.

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Frank Goosen (Archivbild) (Quelle: IMAGO/Lumma Foto)

Zur Person

Frank Goosen (*31. Mai 1966 in Bochum) ist ein deutscher Kabarettist und Romanautor. Von 1986 bis 1992 studierte er Geschichte, Germanistik und Politik an der Ruhr-Universität Bochum. Seine ersten literarisch-kabarettistischen Auftritte hatte er 1992 mit dem Duo "Tresenlesen". Seit 2000 ist Goosen als Romanautor und Solokabarettist tätig. Seine Themen sind vor allem die Befindlichkeiten seiner Generation, das Ruhrgebiet mit seinen Menschen und Eigenheiten sowie Fußball. Goosen ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Bochum.

Wie sieht’s mit Ihren Fernseh-Erfahrungen in den Siebzigerjahren aus?

Wir sind die erste Generation, die komplett mit Fernsehen aufgewachsen ist. Ich weiß noch, dass zur Olympiade 1972 ein Farbfernseher angeschafft wurde. Fernsehen war total wichtig. Kinderprogramme mit Plumpaquatsch oder dem feuerroten Spielmobil. Oder die klassischen Sachen am Wochenende, wenn ich bei meinen Großeltern war. Meine Eltern waren sehr jung und wollten mit Mitte 20 das machen, was ich mit Mitte 20 auch noch gemacht habe, Partys und so. Für mich gab’s bei Omma und Oppa dann die "Hitparade", "Disco", "Erkennen Sie die Melodie?", "Am laufenden Band" oder Kulenkampff. Und manchmal durfte ich auch noch den Spätfilm gucken.

Was gab‘s?

Am liebsten Western und die Sprüche von meinem Opa dazu. Ich habe auch viel zu früh "Die Vögel" von Hitchcock gesehen. Der Typ mit den ausgepickten Augen hat mich verfolgt. Fernsehen war für uns damals ein bisschen das Fenster zur Welt. Bei uns lief nicht mehr "Forellenhof", sondern "Einsatz in Manhattan". Dieser Hubschrauberflug aus dem Vorspann war mein erstes Bild von New York.

Der Titel Ihres Programms verheißt auch einen Ausflug in die Musik der Siebzigerjahre. Was verbindet Sie musikalisch mit diesem Jahrzehnt?

Zum einen watete meine Familie noch knietief durch den deutschen Schlager. Wenn wir "Hitparade" geguckt haben, war mein Oppa zufrieden, denn da haben sie Deutsch gesungen.


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Ich bin als Kind auch öfter nach dem Weg zum Puff gefragt worden – was bei einem Achtjährigen schon komisch ist.


Frank Goosen


Was war denn Ihre Musik?

Ich habe heute noch eine sehr positive Beziehung zu amerikanischen Country-Schlagern. Ich halte "Rose Garden" von Lynn Anderson immer noch für ein Meisterwerk. Genauso wie "Raindrops Keep Falling on My Head". Ab den späten Siebzigern fing ich an, mich für Popmusik zu interessieren. Ab 1979 wurde ich dann Beatles-Fan, weil mir ein Klassenkollege zum 13. Geburtstag eine Kassette mit "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" geschenkt hat. Ich war nie so ein Rebell, der auf die ganz heftigen Sachen stand. Ich hatte keinen großen Generationenkonflikt auszufechten. Aber die Musik der Beatles hat mir erlaubt, mich ein Stück weit von meinen Eltern und den kleinbürgerlichen Wurzeln zu entfernen. Aber ich bin immer noch in Sichtweite geblieben

Mit welchem Gefühl denken Sie heute an die Siebzigerjahre zurück?

Was ich von zu Hause und auch von den Großeltern mitbekommen habe, ist so ein Aufstiegsversprechen. Ich sage immer etwas hochtrabend, an mir sind die sozialdemokratischen Aufstiegsversprechen der Sechziger- und Siebzigerjahre wahr geworden. Deshalb überwiegt in der Rückschau die Dankbarkeit. Man sollte vermeiden, in diese Arroganz zu verfallen und zu sagen: Wir sind damals ohne Internet aufgewachsen und deshalb sind wir bessere Menschen. Aber zur Not finden wir uns auch heute noch mit Landkarten zurecht. (lacht)

War trotzdem vieles früher besser als heute?

Das kommt immer auf die Perspektive an. Wir leben zurzeit in einer sehr kritischen Phase. Früher haben wir vor allem in den Achtzigern auch ständig über Atomkrieg nachgedacht und Angst gehabt. Auf der einen Seite hat man die Bedrohungen in der Welt ernst genommen, aber es war auch irgendwie abstrakt. Es hieß immer, wenn ein Atomkrieg kommt, sind wir eh in einer Viertelstunde weg. Heute sind Terroranschläge auf Weihnachtsmärkten viel konkreter. Früher hast du Schiss gehabt, dass vielleicht der Rockerbengel von drei Straßen weiter dir auf die Fresse haut. Aber nicht, dass einer mit dem Lastwagen über den Weihnachtsmarkt brettert. Damals war wahrscheinlich weniger Druck da, aber wir haben es trotzdem nicht so empfunden. Das sind Erkenntnisse, die erst im Nachhinein kommen. Als der Spritpreis das erste Mal über eine Mark ging, war Terror in der Bude. Als die Arbeitslosenzahlen hochgingen, war das der Untergang des Abendlandes.

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Die Ankündigung zum Zeltfestival zeigt ein altes Kinderfoto von Ihnen. Öffnen Sie für die Shows auch Ihr Privatalbum?

Es wird wohl beim Erzählen bleiben, weil es schwierig ist, im Zelt eine Leinwand aufzubauen. An anderer Stelle habe ich das schon mal gemacht und hässliche Plattencover gezeigt. Und aus den Siebzigern könnte man natürlich super Sachen zeigen. Ich habe für meinen übernächsten Roman, der die Zeit der Schleyer-Entführung aus Kindersicht behandeln soll, für Recherchezwecke ein paar alte Programmzeitschriften der "Hörzu" aus dem Oktober 1977 bestellt. Was man da so findet, glaubt man nicht, wenn man es nicht selbst sieht.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Ich habe hier eine Ausgabe, da sieht man ein nacktes Frauenbein mit einer Schelle um den Knöchel, daran Kette und Kugel. Die Kette ist zerrissen und die Überschrift ist: Wenn Frauen einfach davonlaufen. Darüber steht: Es gibt Fesseln, von denen sich Frauen zu Recht befreien, aber immer mehr Frauen verlieren dabei Maß und Ziel. Und dann das TV-Programm selbst. "Sonne, Wein und harte Nüsse", eine Serie am frühen Freitagabend. "Derrick" lief komischerweise am Sonntagnachmittag. Dafür gab es den Bericht von der Frankfurter Buchmesse zur besten Zeit um 20.15 Uhr. Oder eine Opernübertragung. Aus dem Jahr 1973 habe ich mal die "Sexualberatung für Senioren mit Pfarrer Sommerauer" im Nachmittagsprogramm entdeckt.

Goosen über nächstes Buch und seinen Auftritt beim Zeltfestival

Sie haben Ihr Buchprojekt zur Schleyer-Entführung angesprochen – Ihr übernächster Roman. Was wird denn das nächste Buch sein?

Im Februar kommt ein ganz anderes Buch raus, ein Kneipenroman. Er handelt von einer Frau, die über 50 Jahre eine Kneipe führt, obwohl sie das gar nicht wollte. Daran hängt auch noch eine schwierige Schwesterngeschichte. Ich gehe in Rückblicken durch die Zeit, da spielen die Siebziger auch wieder eine Rolle. Mit dem Schleyer-Roman habe ich auch schon angefangen. Da bin ich an einen Termin gebunden, weil sich 2027 zum 50. Mal der Deutsche Herbst jährt. Ich weiß allerdings noch gar nicht, ob der Verlag da auch mitmacht. (lacht)

Schleyer-Entführung und RAF-Terror sind ein ernstes Thema der Siebzigerjahre. Aber die Abende beim Zeltfestival werden trotzdem gewohnt launig?

Es ist natürlich ein komisches Programm. Ich werde mich mit den Skurrilitäten der Siebziger befassen. Hosen, die so breit waren, dass man die Schuhe nicht gesehen hat. Rockertypen mit dicken Popelbremsen unter der Nase und Jeanswesten, wo man die Ärmel selbst abgeschnitten hat. Das sind alles Klischees, aber die kommen ja auch irgendwo her. Es wird in erster Linie ein witziger Abend. Kabarett-Comedy, so wie das bei mir immer ist, mit vorgelesenen Geschichten und Stand-up – eventuell im Sitzen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Frank Goosen
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