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Frankfurt am Main | Ärztin schmeißt hin: "Ich mache das nicht mehr mit"


Junge Ärztin schmeißt hin
"Ich mache das nicht mehr mit"

Von Stefan Simon

Aktualisiert am 15.11.2022Lesedauer: 4 Min.
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Minkley: Sie möchte nun in die Landespolitik wechseln.Vergrößern des Bildes
Minkley: Sie möchte nun in die Landespolitik wechseln. (Quelle: Privat)

Sechs Jahre lang arbeitet Stefanie Minkley als Ärztin in einer Klinik – bis sie ihren Traumjob aufgibt. Sie wolle das System nicht mehr mittragen.

Stefanie Minkley ist 13 Jahre alt, als sie die TV-Serie "Emergency Room" zum ersten Mal guckt – fortan ist es ihr Traum, Ärztin zu werden. Nach ihrem Abitur studiert sie 13 Semester Medizin an der Goethe-Universität in Frankfurt, mit 27 Jahren schafft sie es an die Klinik und absolviert ihre Facharztausbildung. Doch nach sechs Jahren kündigt die 33-Jährige ihren Job.

Belastung, Stress, Personalmangel, Überstunden, Sonderschichten, 24-Stunden-Dienste und die Ökonomisierung des Gesundheitssystems – all das will die Frankfurterin nicht mehr mittragen. "Ich halte das System für sehr gefährlich", sagt Minkley im Gespräch mit t-online.

Aufgrund der Ökonomisierung werde am Personal gespart, "obwohl man weiß, dass die Versorgung der Patientinnen und Patienten dann nicht mehr ausreichend gewährleistet ist. Es wird also im Prinzip mit einberechnet, dass Patientinnen und Patienten zu Schaden kommen und oder sogar sterben", erzählt Minkley.


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"Wenn das ein Gesundheitssystem mit einberechnet, dann ist es sehr krank."


Stefanie Minkley


Das belegen auch diverse Studien. Forscher der Universität Southampton in Großbritannien haben untersucht, ob und wie sehr sich die Zusammensetzung des Pflegepersonals auf den Stationen auf das Sterberisiko von Patientinnen und Patienten in der Zeit ihres Krankenhausaufenthalts auswirkt.

Das Ergebnis: An jedem Tag, an dem im Team einer Station hochqualifizierte Krankenpflegepersonen schwächer vertreten waren als durchschnittlich der Fall, stieg die Sterberate der Patienten statistisch um drei Prozent.

Sie merkt erst nach einiger Zeit, wie schlecht das System ist

Dennoch dauerte es eine Weile, bis Minkley erste Zweifel hegte, wie sie erzählt: "Ich habe über die ganzen Jahre immer mehr verstanden, wie schlecht dieses Gesundheitssystem ist".

In der Regel bräuchten Ärztinnen und Ärzte Ruhe und Kapazitäten, um die Patientinnen und Patienten gut zu versorgen. Wenn es aber in der Notaufnahme hektisch werde, weil in einer Stunde fünf Personen auf einmal kämen, gleichzeitig aber auch zu wenig Personal vorhanden sei, dann könnten sie der Patientenversorgung nicht gerecht werden.

Noch gefährlicher wird es laut Minkley, wenn auf der Station kaum Personal ist, weil die meisten im OP-Saal sind: "Operationen bringen Geld ein und sie müssen in der Chirurgie weiterlaufen. Dann können Notfälle auf der Station passieren und keiner ist da."

Zu den Überstunden und dem Personalmangel komme auch hinzu, dass Minkley oder andere Ärzte im Dienst manchmal kaum oder keine Zeit zum Essen oder Schlafen haben. "Man steht häufig vor der Frage: Ok, mache ich jetzt eine Pause und esse was, oder lasse ich die Patientin noch eine halbe Stunde länger warten." Durch Müdigkeit oder Unkonzentriertheit komme es auch zu Fehlern.

Gleichzeitig sei die Fehlerkultur jedoch schlecht. "Wenn Fehler angesprochen werden, dann nur individuell. Dass jedoch das System schuld ist, wird nicht betont", sagt Minkley. Zahlen dazu gebe es keine. "Das ist ein großer Graubereich. Keiner gibt gerne zu, Fehler gemacht zu haben."

Wie hoch die Belastung für das Personal in den Kliniken ist, zeigen Umfragen der Gewerkschaft "Marburger Bund" unter Ärztinnen und Ärzten: Sie ergaben, dass die tatsächliche Arbeitszeit bei 57 Prozent der Befragten über 49 Stunden pro Woche betrage – 18 Prozent arbeiteten sogar bis zu 79 Stunden wöchentlich.

Und auch mit ihrer Entscheidung ist Minkley nicht allein. Ein Viertel aller befragten Klinikärzte erwägen der Umfrage zufolge aufzuhören, 18 Prozent wissen nicht, ob sie den Beruf weiter ausüben möchten. Einer der Hauptgründe: Stress und die dünne Personaldecke.

"Wenn Kliniken rote Zahlen schreiben, wird als Erstes am Personal gespart"

Minkley erzählt, dass ehemalige Mitstudierende entweder auch schon das Handtuch geworfen hätten oder in den ambulanten Bereich gewechselt seien. Und: Sie könnten Minkleys Rückzug aus dem Job nachvollziehen.


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"Krankenhäuser sind mittlerweile Unternehmen, die Geld erwirtschaften."


Stefanie Minkley


"Wenn Kliniken rote Zahlen schreiben, dann wird als Erstes am Personal gespart", erklärt Minkley. "Personal ist eben ein sehr teurer Faktor. Bei den Pflegekräften ist bereits ein Minimum erreicht, wo die Kliniken nicht weiter sparen können. Also gehen sie jetzt daran, bei Ärztinnen und Ärzten zu sparen."

Beim Ärztepersonal hätten die Krankenhäuser schlichtweg noch gewartet, weil die Leistung der Ärzte vergütet werde. Das heißt: Operationen bringen Geld, die Aufnahme eines Patienten bringt Geld. Da komme es dann auch vor, dass ein Patient operiert wird, obwohl das nicht unbedingt nötig sei, sagt Minkley.

Per Gesetz mehr Pflegende in den Kliniken

Die Bundesregierung will die Krankenhäuser in Deutschland per Gesetz verpflichten, für ausreichend Personal in den Kliniken zu sorgen – allerdings nur im Pflegebereich. Das Kabinett billigte im September einen Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte und die Versorgung der Patienten in den Kliniken zu verbessern.

Lauterbach erklärte dazu anlässlich des Kabinettsbeschlusses, dass eine angemessene Personalausstattung in der Pflege im Krankenhaus essenziell sei, "sowohl für die Qualität der Patientenversorgung als auch die Arbeitssituation der Pflegekräfte in den Krankenhäusern."

Doch kommt der Beschluss der Bundesregierung zu spät? Minkleys Ansicht nach hakt es im Gesundheitssystem schon sehr lange. Auch Kolleginnen und Kollegen, die mehr als 20 Jahre darin arbeiten, hätten berichtet, wie schlecht es darum stehe. "Ich glaube, das hängt auch damit zusammen, dass es ein sehr konservatives und hierarchisches System ist. Strukturelle Veränderungen in Gang zu bringen, ist daher sehr, sehr schwer."

Sie will das Gesundheitssystem als Politikerin verändern

Minkley weiß, dass sie das System nur verändern kann, wenn sie selbst politisch aktiv wird. Seit 15 Jahren engagiert sie sich politisch bei den Sozialdemokraten – und will als Frankfurter SPD-Kandidatin bei der Landtagswahl 2023 antreten.

Außerdem will sie bald mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach sprechen. Dazu hat sie ihn bereits eingeladen. "Er erkennt schon die Probleme, die wir derzeit haben, und das Gesundheitsministerium ist dabei, die Probleme anzugehen", sagt sie, aber: "Das System ist sehr kompliziert und es dauert lange, bis man ein gutes Konzept erarbeitet, wie man die Vergütung ändern will. Die Bundesländer müssen auch mit an Bord, dass sie mehr Geld investieren."

Geld fehle ja generell, etwa wegen der Energiekrise. "Kliniken können nicht einfach die Heizung abdrehen. Das wird noch ein großes Problem werden", befürchtet Minkley.

Und was will sie zu Lauterbach sagen? "Ich würde ihm sagen, dass es wirklich dringend notwendig ist, das Personalproblem anzugehen, weil die Beschäftigten im Krankenhaus total am Limit sind, mehr und mehr das System verlassen, weil die Arbeitsbedingungen so schlecht sind."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Stefanie Minkley
  • Eigene Recherche
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