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Corona in Hagen: OB Schulz – "Ich bemerke eine gewisse Sorglosigkeit“


Corona-Lage in Hagen
OB Erik O. Schulz mahnt: "Der Ton wird rauer"

InterviewVon Johannes Hülstrung

23.11.2020Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Oberbürgermeister Erik O. Schulz (Archivbild): Der 55-Jährige wurde mit großer Mehrheit erneut zum Rathauschef gewählt. Im Interview gesteht er, dass er mit einem so deutlichen Ergebnis nicht unbedingt gerechnet hatte.Vergrößern des Bildes
Oberbürgermeister Erik O. Schulz (Archivbild): Der 55-Jährige wurde mit großer Mehrheit erneut zum Rathauschef gewählt. Im Interview gesteht er, dass er mit einem so deutlichen Ergebnis nicht unbedingt gerechnet hatte. (Quelle: Stadt Hagen)

Inmitten einer angespannten Corona-Lage ist Erik O. Schulz erneut zum Oberbürgermeister von Hagen gewählt worden. Ob er das seinem Krisenmanagement zu verdanken hat, verrät er im t-online-Interview.

Hagen zählte wochenlang zu den Corona-Hotspots in Deutschland, deswegen nehme das Thema aktuell viel mehr seiner Zeit in Anspruch, als ihm lieb sei, sagt Oberbürgermeister Erik O. Schulz, schon vor dem Start des Gespräches mit t-online in seinem Büro im Rathaus. Dabei gibt es nach seiner Wiederwahl bei der Kommunalwahl noch einiges mehr zu besprechen, etwa das starke Abschneiden der AfD in Hagen oder seine Pläne für die zweite Amtszeit, wie er im exklusiven Interview erzählt.

t-online: Wie bewerten Sie die erneute Ausbreitung des Coronavirus in Hagen und im Land?
Erik O. Schulz: In welchem Ausmaß diese zweite Welle kommt, konnte niemand prognostizieren. Die Frustrationsschwelle der Menschen ist niedriger geworden, der Ton wird rauer. Ich bemerke eine gewisse Sorglosigkeit bezogen auf die Abstandsregeln, gerade bei jungen Menschen. Regelmäßig bekomme ich anonyme Videos zugeschickt, wo wieder dreißig Leute irgendwo sitzen und feiern. Wenn einzelne Menschen mit den Regeln wenig an der Mütze haben, müssen wir als Ordnungsbehörde eingreifen.

Kommt bei Ihnen Panik auf, wenn Hagen bundesweit zu den Corona-Hotspots gezählt wird?
Panik ist für einen Oberbürgermeister kein guter Ratgeber. Aber es ist auch nicht die Wahrheit, dass ich mir keine Sorgen gemacht und keine schlaflose Nacht verbracht hätte. Wir hatten den Mut – für den auch ich persönlich hart kritisiert wurde – frühzeitig eigene Regelungen zu treffen. Regelungen zum Zusammentreffen im öffentlichen Raum, zur Beschränkung der Gastronomie, zur zusätzlichen Maskenpflicht in Schulen und Kitas. Mit diesen Vorsichtsmaßnahmen wollten wir die Menschen nicht ärgern, sondern einen weiteren Anstieg der Infektionszahlen verhindern. Aber als Oberbürgermeister muss ich es aushalten, wenn zum Beispiel ein junger Unternehmer, dem es an die Existenz geht, sich mal im Ton vergreift.

Spüren Sie mehr Verantwortung als vorher?
Ja. Das ist nicht spurlos an mir vorübergegangen. Hier und da belastet mich das auch. Ich glaube, das darf ich ruhig mal sagen. Wer behauptet, dass er die Verantwortung über so viele Monate nicht spürt, der ist nicht aufrichtig.

Weil Ihr Handeln die Menschen direkt betrifft?
Ein Beispiel. In Wahlkampfzeiten kam ein verzweifelter Vater zu mir, der inständig darum gebeten hat, dass es in den Schulen keine Maskenpflicht gibt, weil sein Kind unter Asthma leidet und kaum den Unterricht durchsteht. Am nächsten Tag hatte ich ein Gespräch mit einer sehr besorgten Mutter, die genau das Gegenteil erbeten hat. Beide mit einem beinahe flehentlichen Appell. Zwischen diesen Standpunkten, die mich emotional nicht kaltlassen, muss ich die richtige Entscheidung treffen.

Haben Sie im Rückblick die richtige Entscheidung getroffen?
Als Krisenstabsleiter ist meine Aufgabe nicht die journalistische Nachbetrachtung, sondern die Entscheidung im speziellen Moment. Im Rückblick haben wir die meisten Dinge in der Stadt richtig entschieden. Im Übrigen tut es mir gut, wenn mich eine 18-jährige Studentin anspricht, die Erstwählerin war, und mir sagt, ihr sei in den letzten Monaten aufgefallen, dass die Corona-Pandemie in der Stadt gut gemanagt worden sei.

Die Wahl haben Sie mit absoluter Mehrheit gewonnen. Waren Sie davon überrascht?
Ja. Und nicht nur ich war überrascht, ich habe auch viele Rückmeldungen aus NRW bekommen. In der besonderen Situation mit sieben Gegenkandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit zu bekommen, war toll. Dann auch noch mit so einem deutlichen Abstand von doppelt so vielen Stimmen wie der Zweitplatzierte. Ein deutliches Signal, über das ich mich wahnsinnig gefreut und das ich so auch nicht erwartet habe.

Gab es wirklich nie den Gedanken, dass es schon im ersten Wahlgang reichen könnte?
Insgeheim habe ich es gehofft, das will ich nicht verhehlen. Aber im Wahlkampf muss man vorsichtig sein, weil einen da in der Regel die Menschen ansprechen, die einem ohnehin zugewandt sind. Wenn mir drei Leute positives Feedback geben, ist man schnell verführt zu sagen: Oh, ich glaube, ich habe gewonnen.

Für viele Experten hat Corona den Amtsinhabern einen Vorteil verschafft. Wie sehen Sie das?
Das mag so sein. Aber der Umfang, mit dem ich mich vom Zweitplatzierten abgesetzt habe, lässt sich nicht mit dem Amtsinhaberbonus erklären. Und selbst wenn, muss man das auch so akzeptieren und verstehen. In einer Phase, in der Menschen vieles als unsicher erleben, setzen sie lieber auf jemanden, von dem sie wissen, was er kann. Aber nur, wenn sich der Amtsinhaber auch bewährt hat. Insofern ist die Diskussion müßig.

Vom politischen Mitbewerber gab es aber durchaus Beschwerden.
Das ist so, aber für mich war es auch schwieriger, in der Corona-Zeit ins Gespräch zu kommen. Großveranstaltungen in Hallen konnte ich ebenfalls nicht machen. Im öffentlichen Raum hatte ich nicht das Gefühl, als wären die Mitbewerber schwächer vertreten gewesen. Mein größter Konkurrent war, glaube ich, deutlich häufiger plakatiert als ich.

Dennoch war das Ergebnis für die SPD enttäuschend.
Natürlich hatte die SPD nicht mit 25 Prozent für ihren Kandidaten gerechnet. Dem Vernehmen nach hatten sie zumindest auf ein Erreichen der Stichwahl gesetzt. Ich bin froh, dass es diese nicht gegeben hat. Mein Eindruck war, dass die Hagener nicht noch weitere 14 Tage Wahlkampf ersehnt haben.

Vor sechs Jahren haben Sie überraschend Ihr Parteibuch abgegeben. Wie ist heute Ihr Verhältnis zur SPD?
Es ist aus meiner Sicht ein unverkrampftes Verhältnis. Die deutlichen Zeichen der Abneigung der SPD mir gegenüber haben im politischen Alltag nachgelassen. Der eine oder andere ist sicherlich nach wie vor verletzt. Aber das sollte dem vernünftigen, sachbezogenen politischen Dialog nicht im Wege stehen. Das tut es für mich auch nicht. Ich hege keinen Groll mit der SPD.

Können Sie darüber lachen, wenn Sie aus Reihen der SPD als "Erik Null Schulz" bezeichnet werden?
Lachen tue ich über niveauvolle Witze, das war eher ein niveauloser. Aber ich kann gut damit umgehen. Es stört mich nicht.

Macht es Sie betroffen, dass die AfD in Hagen NRW-weit ihr zweitbestes Ergebnis eingefahren hat?
Ja. Zumal sich die Protagonisten in der Hagener AfD sehr darum bemühen, nach außen ein bürgerliches Antlitz anzunehmen. Sie schüren auf subtile Art Angst vor Zuwanderung, stellen beinahe täglich die öffentliche Ordnung infrage. Sie suchen sich gezielt die Felder aus, in denen es tatsächlich Schwierigkeiten auch im Miteinander der Kulturen gibt. Das hilft nicht, um Integration und ein friedliches Zusammenleben zu fördern. Ich bleibe sehr deutlich dabei: Die AfD liefert keine Lösungen für die Herausforderungen dieser Stadt. Aber sie hat in einer demokratischen Wahl eine gewisse Prozentzahl erreicht und gehört dann eben auch zum Rat. Man kann ihr das nicht verweigern, aber ich werde nicht nachlassen, öffentlich darauf hinzuweisen, was ich von der Problemlösungskompetenz der AfD halte – nämlich nichts.

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Sind die Hagener Bürger besonders anfällig für rechtspopulistische Tendenzen?
Das hängt auch mit soziodemografischen Daten zusammen. In Regionen, wo die Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen sind, wo sie abgehängt sind von gleichen Bildungschancen, wo sie schwierige Ausbildungsbedingungen vorfinden, manche gar keinen Schulabschluss haben, ist tendenziell der Zuspruch zur AfD höher als etwa in klassischen Studentenstädten.

Hagen ist also eine solche Region?
Ja, natürlich. Der Anteil derer, die Hartz-IV beziehen, und unsere Arbeitslosenquote sind höher als anderswo. Wir dürfen das Thema nicht damit abfrühstücken, nur die AfD zu kritisieren. Wir müssen dafür sorgen, dass wir die gleichen Bildungschancen für alle Kinder in dieser Stadt organisieren. Deshalb haben wir in der letzten Amtsperiode 15 neue Kitas gebaut. In Stadtteilen wie Altenhagen, wo es eine Menge an Herausforderungen und Unzufriedenheit gibt, schaffen wir es offenkundig nicht mehr, alle Menschen zu erreichen. Da setzen sie bisweilen eher auf die schnelle Scheinlösung, die die AfD suggeriert.

Wie ist die Zusammenarbeit mit der AfD im Rat?
Es gibt keine gemeinsamen politischen Initiativen. Alle spüren, dass es nicht einfach um zwei politische Wettbewerber geht, die in Nuancen unterschiedliche Positionen haben. Bei zahlreichen Akteuren der Partei bundesweit kann ich nicht erkennen, dass sie auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Das will ich den Hagener AfD-Mitgliedern nicht unterstellen. Aber zur Tagesordnung überzugehen und sie als Mehrheitsbeschaffer anzusehen, finde ich problematisch. Ich kann die Zurückhaltung der Parteien im Hagener Stadtrat, was die inhaltliche Zusammenarbeit mit der AfD angeht, durchaus nachvollziehen.

Welche sind die drei wichtigsten Ziele für Ihre zweite Amtszeit?
Zunächst der weitere Umbau und die Entwicklung der Stadt. Dazu gehören als Besonderheit in Hagen auch die Stadtteile Hohenlimburg, Haspe und Boele. Wir fangen an mit dem Bereich Mitte. Wie soll sich die Innenstadt entwickeln, welche Chancen nutzen wir durch die Bahnhofshinterfahrung, um beispielsweise am Graf-von-Galen-Ring wieder mehr Lebensqualität jenseits einer vierspurigen Straße hinzubekommen. Es geht um alle wichtigen Themen: Wohnen, Gewerbeflächen, Infrastruktur, Schulen, Kitas, Handel, Grünflächen.

Ziel Nummer zwei?
Die Freizeitentwicklung rund um den Hengsteysee. Nach Schritten des Scheiterns in der Vergangenheit sind wir da auf einem guten Weg. Die Fläche des ehemaligen Rangierbahnhofs steht uns nach dem Freistellungsbescheid jetzt auch formal zur Verfügung. Wir haben eine echte Chance, das Naherholungsgebiet um den See zu entwickeln. Dazu gehört neben dem Seepark auch der Umbau der Fläche am Hengsteybad, der Aufenthaltsqualität am Ruhrtalradweg und am See und vor allem ein attraktives gastronomisches Angebot schaffen soll.

Und das dritte Thema?
Mobilität. Insbesondere die Frage, wie wir mit den Folgen des Klimawandels umgehen. Die Diskussion hat das politische Geschehen in der Stadt im letzten Jahr sehr dominiert. Wir haben den Klimanotstand ausgerufen, intensive Diskussionen mit 'Fridays for Future' geführt, viel Mut gehabt, Geld in den ÖPNV zu stecken, um eine Verkehrswende anzustoßen. All diese Fragen sind im Moment unsichtbar geworden. In Corona-Zeiten fährt keiner Bus, jedenfalls nicht gerne. Aktuell fokussiert sich viel von meiner Zeit auf Corona, mehr als ich mir wünsche. Aber an Aufgaben mangelt es nicht, wenn wir die Pandemie irgendwann einmal im Griff haben.

Hat Corona auch etwas Positives bewirkt?
Die Digitalisierung ist vorangetrieben worden. Das sehe ich auch im Rathaus. Die Verwaltung ist kein Schnellboot, sondern ein Tanker. Eine Kursänderung dauert ein paar Seemeilen. Aber da hat Corona einiges bewirkt, weil sich die Kommunikation verändert hat. Das gilt auch für die Zeit nach der Pandemie. So lässt sich die Krise als Chance nutzen. Corona wird die Welt dauerhaft verändern. Angst macht mir das aber nicht.

Vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Erik O. Schulz
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