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Überlebender: In Stutthof roch es nach verbranntem Fleisch


Itzehoe
Überlebender: In Stutthof roch es nach verbranntem Fleisch

Von dpa
15.02.2022Lesedauer: 3 Min.
Prozess gegen frühere Sekretärin im KZ Stutthof fortgesetztVergrößern des BildesDie 96-jährige Angeklagte Irmgard F. sitzt zu Beginn des Prozesstages im Gerichtssaal. (Quelle: Marcus Brandt/dpa Pool/dpa/dpa-bilder)
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Im Itzehoer Prozess gegen eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof hat ein Überlebender von sadistischen Grausamkeiten berichtet. Abraham Koryski (94), der am Dienstag per Video aus Israel zugeschaltet wurde, sagte, er sei als Jugendlicher von September 1944 bis Ende Januar 1945 in dem Lager bei Danzig inhaftiert gewesen. Gleich bei der Ankunft habe er einen Geruch nach verbranntem Fleisch wahrgenommen. "Ihr werdet zu diesem Geruch werden", habe das Wachpersonal gesagt. Es habe von Anfang an Prügel gegeben. Mehrfach habe er Hinrichtungen beobachtet, sagte der 94-Jährige.

Die angeklagte KZ-Sekretärin Irmgard F. soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers gearbeitet haben. Die Staatsanwaltschaft wirft der 96-Jährigen vor, durch ihre Schreibarbeit Beihilfe zum systematischen Mord an über 11 000 Gefangenen geleistet zu haben. Weil die Angeklagte damals erst 18 bis 19 Jahre alt war, findet der Prozess vor einer Jugendkammer am Landgericht Itzehoe statt.

Die meisten Häftlinge seien verhungert, sagte Koryski. Jeder Tag habe damit begonnen, die Leichen der in der Nacht Gestorbenen aus der Baracke zu schaffen. Es seien aber auch Menschen vergast worden oder Opfer sadistischer Aktionen geworden. Einmal habe ein SS-Mann einen Stuhl zerbrochen und zu einem Vater und dessen Sohn gesagt, einer müsse den anderen mit einem Stuhlbein erschlagen, sonst werde er beide erschießen. Der Vater habe sich daraufhin von seinem Sohn auf den Kopf schlagen und töten lassen. "Ich habe es genauso gesehen", versicherte Koryski nach den Worten eines Dolmetschers.

Ein anderes Mal habe er mit ansehen müssen, wie der Lagerälteste - ein Häftling im Dienste der SS - einen Gefangenen von seinem Hund zerfleischen ließ. Der Lagerälteste habe dem Hund befohlen: "Lux, bring den Banditen her!" Der Hund habe sich irgendjemanden geschnappt und zu Tode gebissen. "Das war Sadismus pur. Das haben die nicht nur einmal gemacht", sagte Koryski.

Er berichtete, er sei anfangs in einem jüdischen Ghetto in Vilnius (heute Litauen) gefangen gehalten worden. Dort sei sein Vater erschossen worden. Seine Mutter sei in Lettland ums Leben gekommen. Er selbst sei 1944 in Tallinn (Estland) auf ein Schiff nach Stutthof gebracht worden. In dem KZ habe er zufällig seinen Onkel wiedergetroffen. Seine Tante sei im Frauenlager von Stutthof gewesen. Eines Tages habe sein Onkel der Tante eine Zwiebel über den Zaun zugeworfen. Beim Aufheben sei sie gegen einen Elektrodraht gekommen und gestorben. Der Onkel habe sich wenig später das Leben genommen.

Von seiner Baracke aus habe er nicht nur den Hinrichtungsplatz sehen können, sondern auch die Lagerkommandantur. Die Angeklagte kenne er aber nicht. "Sie interessiert mich, ehrlich gesagt, auch nicht", sagte Koryski. Er habe keine Rachegefühle. "Meine Rache war, dass ich gerettet wurde und eine Familie gegründet habe." Seine Botschaft an die nächste Generation sei: "Nicht zu vergessen, sich zu erinnern!" Der 94-Jährige machte seine Aussage in einem Seniorenheim in Haifa, in Anwesenheit seiner Vertreterin, Rechtsanwältin Christine Siegrot.

Ein anderer Nebenklagevertreter, Rechtsanwalt Christoph Rückel, trug im Anschluss aus Zeugenaussagen vor, die das Gericht den Prozessbeteiligten zum Lesen gegeben hatte. Demnach hatte eine andere ehemalige Schreibkraft in der Lagerkommandantur 1954 ausgesagt, Kommandant Paul Werner Hoppe habe mehrfach bemängelt, dass Exekutionsbefehle aus Berlin nicht vom SS-Gruppenführer Heinrich Müller unterschrieben waren. Es habe zwei Todesarten gegeben: Erschießen und Erhängen. Vollzogene Hinrichtungen seien genau mit Namen und Uhrzeit nach Berlin gemeldet worden.

Vergasungsbefehle seien Hoppe nicht sehr sympathisch gewesen, erklärte die Zeugin 1954. Rückel schlussfolgerte daraus, dass über Vergasungen in der Kommandantur gesprochen wurde. Eine andere ehemalige Zivilangestellte habe ebenfalls 1954 als Zeugin ausgesagt: "Es war unter uns allgemein bekannt, dass jüdische Personen vergast wurden." Verteidiger Wolf Molkentin wandte ein, dass diese Zeugin mit Sekretariatsarbeiten in der Bauleitung befasst gewesen sei, wo sie - im Unterschied zur Angeklagten - Kontakt zu Häftlingen hatte.

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