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Kölnerin mit Down-Syndrom: "Wir verdienen nicht einmal den Mindestlohn!"


Down-Syndrom-Aktivistin
"Wir verdienen nicht einmal den Mindestlohn, das ist nicht gerecht!"

InterviewVon Johanna Tüntsch

Aktualisiert am 21.03.2021Lesedauer: 4 Min.
Interview
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Natalie Dedreux vor einem Graffiti, das das Kölner Wappen zeigt: Die Bloggerin findet, dass Köln auf einem guten Weg ist, was Inklusion angeht. Aber es ist noch Luft nach oben.Vergrößern des Bildes
Natalie Dedreux vor einem Graffiti, das das Kölner Wappen zeigt: Die Bloggerin findet, dass Köln auf einem guten Weg ist, was Inklusion angeht. Aber es ist noch Luft nach oben. (Quelle: Michaela Dedreux)

Seit 2006 wird jedes Jahr im März der Welt-Down-Syndrom-Tag gefeiert. Die Kölnerin Natalie Dedreux, eine Bloggerin mit Down-Syndrom, erzählt im Interview über den Alltag mit Trisomie 21 und woran es bei der Inklusion noch hapert.

Seit mittlerweile 15 Jahren wird jährlich am 21. März der Welt-Down Syndrom-Tag gefeiert. Über das Leben mit Down-Syndrom sprach t-online-Reporterin Johanna Tüntsch mit Natalie Dedreux. Die 22-Jährige ist Bloggerin mit Down-Syndrom.

Sie sind Bloggerin und Aktivistin für die Rechte von Menschen mit Down-Syndrom. Wo arbeiten Sie sonst?

Natalie Dedreux: Eigentlich in einer Werkstatt, aber im Moment habe ich einen Außenarbeitsplatz: Ich bin Redakteurin bei Ohrenkuss.

Ohrenkuss ist ein Magazin von Menschen mit Down-Syndrom. Wie sieht Ihre Arbeit dort aus?

Erst mal haben wir eine Sitzung, da suchen wir uns ein Thema aus. Dazu schreiben wir Texte, oder wir diktieren. Das ist cool, einfach loszuschreiben. Das Thema des letzten Hefts ist "Natur".

In Ihrem Blog schreiben Sie, dass Sie das Reisen vermissen. Sie haben auch Reisen mit Ohrenkuss gemacht. Wohin, und wie war das?

Wir waren in Kiew, in der Ukraine. Das hat sehr viel Spaß gemacht. Es war schön, mal mit anderen Leuten zu reden und sie kennenzulernen.

Wie haben Sie sich verständigt?

Manche sprechen Englisch. Das wurde dann übersetzt. Wir haben zusammen eine Ausstellung gemacht. Die hieß: "Was wichtig ist". Es ging darum, dass Menschen mit Down-Syndrom auch arbeiten wollen. Sie wollen raus und eine Arbeit haben, und sie haben auch ein Recht darauf!

Gibt es in der Ukraine auch Werkstätten für Menschen mit Behinderung?

Ich glaube nicht. Die hocken meistens zu Hause bei ihren Eltern.

Apropos Werkstätten. Finden Sie, dass da bei uns alles gut und gerecht geregelt ist?

Nein. Menschen mit Behinderung verdienen dort sehr wenig Geld. Wir verdienen nicht einmal den Mindestlohn, das ist nicht gerecht! Was ist mit der Wohnung? Die muss auch bezahlt werden. Ich bekomme für die Wohnung Geld vom Sozialamt. Aber eigentlich möchte ich lieber Geld für meine Arbeit kriegen.

Natalie Dedreux (22) ist eine Kölnerin mit Down-Syndrom. Bekannt wurde sie wurde 2017: Vor laufender Kamera sprach sie Angela Merkel in der Wahlarena auf Pränatal-Diagnostik an. Als Bloggerin und Aktivistin kämpft sie für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Natalie Dedreux arbeitet als Redakteurin bei Ohrenkuss, einem Magazin von Menschen mit Down-Syndrom. Sie wuchs in Köln-Mülheim auf und besuchte die Gesamtschule Holweide. Jetzt lebt sie im Kölner Westen in einer WG.

Sie haben darüber auch mit dem Bundesarbeitsminister, Hubertus Heil (SPD), gesprochen.

Ja. Ich habe ihn gefragt: Ist das fair, dass wir nicht einmal den Mindestlohn kriegen? Aber ich finde, er hat keine gute Antwort gegeben.

Was hat er gesagt?

Ich habe ihn nicht genau verstanden. Er hat zu schnell gesprochen. Damit habe ich mich nicht gut gefühlt. Ich hätte mir eine gute Antwort gewünscht. Das Thema ist wichtig.

Das Thema Pränatal-Diagnostik ist Ihnen auch wichtig. Besonders geht es Ihnen um Bluttests, mit denen das Down-Syndrom festgestellt wird. Sie kämpfen dagegen, dass sie von den Krankenkassen bezahlt werden. Warum?

Weil das ein Problem ist: Viele Eltern entscheiden sich für einen Abbruch. Das ist schwierig für mich und für meine Freunde. Wir sind auch besonders. Wir wollen da sein, und wir wollen auch gehört werden.

Jetzt haben Sie wegen der Bluttests eine Petition gestartet. Schon mehr als 28.400 Leute haben sie unterschrieben. Ist das genug?

Es sind viele Unterschriften. Das ist cool, aber ich hätte gerne noch mehr. Deswegen schreibe ich darüber auch bei Facebook und Instagram. Es ist wichtig, dass darüber gesprochen wird. Ich möchte, dass die Politiker darüber diskutieren.

Vor der Oberbürgermeister-Wahl in Köln letztes Jahr ist es Ihnen gelungen, alle OB-Kandidaten zu einem Interview zu versammeln. Sie haben ihnen gesagt: Sie werden darauf achten, ob Inklusion in Köln gut läuft. Sind Sie zufrieden?

Köln ist gut. Mir gefällt, dass wir gesehen und gehört werden. Dass wir unsere Meinung sagen können. Aber vieles in Köln ist nicht barrierefrei. Alles sollte barrierefrei sein. Es ist schwierig, wenn zum Beispiel die Haltestellen für einen Rollstuhl zu hoch sind. Oder bei der Bahn, wenn etwas nicht in einfacher Sprache geschrieben ist. Woran es auch hapert: Es gibt nicht genug Arbeitsstellen für Menschen mit Behinderung und nicht genug WGs.

Sie selbst leben in einer WG. Wie und mit wem?

Ich wohne in einer inklusiven WG. Da wohnen zwei Leute mit Down-Syndrom und zwei Studenten.

Bekommen Sie in der WG Hilfe, zum Beispiel von den Eltern?

Nein! Die Eltern sind da komplett raus! Wir kümmern uns selbst. Zum Beispiel Montag ist Putz-Tag. Da machen wir zusammen die ganze Wohnung sauber. Wir kochen auch, zum Beispiel Ratatouille mit Reis oder Hähnchenschenkel. Die Studenten helfen und unterstützen uns, und manchmal kommt auch ein Sozialarbeiter.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

Ich treffe meinen Freund. Ich gehe zum Bowling, das ist so ähnlich wie Kegeln. Und ich gehe gerne auf Konzerte. Aber im Moment geht das alles nicht, wegen Corona.

Wie haben Sie eigentlich das Corona-Jahr erlebt?

Es hat sich viel verändert! Ich bin meistens im Homeoffice. Mit der Redaktion treffen wir uns nur per Zoom. Man kann sich daran gewöhnen, aber irgendwann will ich mal wieder rauskommen! Beim Impfen soll man die Menschen mit Behinderung nicht vergessen, damit wir wieder mitmachen dürfen. Wir haben auch Rechte. In Wohnheimen werden Menschen geimpft, aber in den WGs nicht: Das ist nicht gerecht.

Was möchten Sie zum Welt-Down-Syndrom-Tag sagen?

Das Leben mit Down-Syndrom ist cool! Und vielleicht kann ich das mit den Socken erklären? Wir tragen dann zwei verschiedene Socken. Damit man an uns denkt, und auch an die Menschen, die schon gestorben sind und Down-Syndrom hatten. Wir wollen, dass wir gesehen werden.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Gespräch
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