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Polizeigewalt beim Kölner CSD: "Gefesselt und getreten"


Opfer wehrt sich
Polizeigewalt auf CSD: "Gefesselt und getreten"

Von Fabian Schmidt

08.09.2021Lesedauer: 5 Min.
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Polizeigewalt-Opfer Sven W.: Nach mehr als fünf Jahren haben die Gerichtsverfahren für ihn ein Ende.Vergrößern des Bildes
Polizeigewalt-Opfer Sven W.: Nach mehr als fünf Jahren haben die Gerichtsverfahren für ihn ein Ende. (Quelle: privat)

Sven W. wurde 2016 auf dem Kölner CSD Opfer von Polizeigewalt. Jahrelang ermittelte die Staatsanwaltschaft auch gegen ihn. Jetzt hat er 15.000 Euro Schmerzensgeld erhalten.

Sven W. wollte am Rande des CSD 2016 eigentlich nur einen Streit in einem Schnellrestaurant schlichten. Doch die eintreffenden Polizisten gingen stattdessen mit äußerster Brutalität gegen den damals 25-Jährigen vor. Er wurde geschlagen, getreten und in Gewahrsam genommen. Drei Gerichtsinstanzen später wurde dem jungen Mann jetzt Schmerzensgeld zugesprochen.

Es ist der 3. Juli 2016, ein sonniger Tag: Sven läuft mit auf dem CSD durch Köln. Er ist auf dem Wagen einer Selbsthilfegruppe für HIV-positive Menschen dabei, die Menschen auf dem Wagen tragen orangene T-Shirts mit verschiedenen Aufschriften, "Straftatbestand: HIV" oder "Straftatbestand: Sex". Auch Sven trägt ein solches Shirt. Zwei Jahre zuvor hatte er die Diagnose bekommen, dass er HIV-positiv ist.

Rangelei auf der McDonald's-Toilette

Nach dem Ende des Demonstrationszugs durch die Stadt geht Sven bei der McDonald’s-Filiale am Kölner Dom zur Toilette. Dort ist viel los, die Schlangen gehen bis nach draußen. Als er sich die Hände wäscht, sieht er hinter sich zwei junge Frauen, die sich ebenfalls angestellt haben und gleich an der Reihe sind, erzählt er.

Hinter ihnen steht ein Mann, der offenbar verhindern will, dass die Frauen auf die Herrentoilette gehen. Sven mischt sich ein, will den beiden Frauen zur Seite springen. Es kommt zur Rangelei, die von einem McDonald’s-Mitarbeiter beendet wird. "Der hat mich am Kragen gepackt und auf den Boden geschmissen."

Kurz danach ist die Polizei da. Vom Stoß auf den Boden sei er noch benommen gewesen, weshalb er den Beamten zunächst nicht als solchen wahrgenommen habe. Als ihn dieser an der Schulter fasste, habe er deshalb eine abstreifende Bewegung gemacht – auf welche der Polizist laut Sven mit einem Schlag ins Gesicht reagierte.

Sven verliert das Bewusstsein, wacht wenig später wieder auf dem Boden auf. Zu diesem Zeitpunkt seien bereits Polizisten auf ihm gekniet, man habe ihn mit Kabelbindern und Handschellen gefesselt. "Und es gab dann auch Schläge und Tritte", erzählt Sven.

Zehn Polizisten, ein Gefesselter

Später hätten Polizisten ihn dann hinausgetragen, "bäuchlings, an jeder Extremität einer". Draußen habe man ihn vor einen Polizeiwagen geworfen, die Hände hinter seinem Rücken gefesselt. Es gibt ein Foto der Szene: Sven mit seinem orangefarbenen Shirt liegt auf dem Boden, um ihn herum stehen zehn Polizistinnen und Polizisten. Zwei von ihnen beugen sich über den jungen Mann, einer hält ihn am Arm fest, eine weitere Polizistin hat ihre Hand an seinem Fußknöchel.

Auch draußen habe es weitere Schläge und Tritte gegeben, einer der Polizisten habe ihm außerdem sein Knie auf den Kopf gedrückt. Sven W. erinnert sich, dass man ihn nach zehn Minuten schließlich in ein Polizeiauto gesetzt habe. Doch bevor der Wagen abfuhr, sei nochmals der Beamte an die Tür gekommen, der im McDonald’s den ersten Schlag ausgeführt habe. Nochmals habe er ihm mit der offenen Hand ins Gesicht geschlagen und ihn homophob beleidigt.

Die Beamten hätten ihn dann im Polizeipräsidium in Gewahrsam genommen. Ohne Sven W. darüber aufzuklären, erzählt er gegenüber t-online.

Beleidigungen und ein Tritt gegen das Bein

Während der Zeit in der Zelle muss sich Sven bis auf Unterhose und T-Shirt ausziehen, ein Arzt nimmt ihm außerdem Blut ab – ohne dass er seine Einwilligung dafür gibt. Aufgrund seiner HIV-Infektion muss Sven alle 24 Stunden ein Medikament nehmen, darauf macht er die Beamten aufmerksam.

Eine Tablette hat er dabei, diese bekommt er allerdings erst Stunden, nachdem er sie verlangt hat. Der Beamte, der ihm dafür einen kleinen Wasserbecher gibt, tritt noch gegen sein Bein, beleidigt ihn erneut. So hat es das Landgericht Köln drei Jahre später festgestellt.

Keine Polizisten auf der Anklagebank – sondern Sven W.

Schließlich können Svens Eltern ihn abholen. In Mönchengladbach geht er ins Krankenhaus, dokumentiert seine Verletzungen, macht Fotos davon. Er verfasst einen Facebook-Post. "Die Schmerzen und Wunden sind am ganzen Körper", schreibt er. Angehängt an den Post sind Fotos, auf denen man Hämatome im Gesicht und an den Armen sieht – und die Frage nach Zeugen.

"Ich hatte mich nie mit Polizeigewalt auseinandergesetzt", sagt Sven. Dennoch war er sich bereits sicher: Wenn er sich dagegen wehren wollte, müsste er mit Gegenwehr rechnen. Deshalb hoffte er auch auf öffentliches Interesse.

Über die Kölner Aids-Hilfe erhält er Unterstützung durch einen Anwalt. Doch im Februar 2017 landen schließlich keine Polizisten auf der Anklagebank – sondern er, wegen angeblichen Widerstands und Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte.

Vor Gericht sagt eine Polizeischülerin aus, die den Vorfall beobachtet hat. Die Richterin stuft die Aussage als glaubwürdig ein, am Amtsgericht wird er freigesprochen. "Übertrieben gehandelt" hätten die Polizisten, urteilte die Vorsitzende Richterin damals laut "Kölner Stadt-Anzeiger", mindestens einer der Schläge sei "außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit" gewesen.

Richter: "Ich schäme mich für diesen Staat"

Doch die Oberstaatsanwältin geht in Berufung, der Fall wird nun am Landgericht neu verhandelt. Aber auch hier: Freispruch für Sven. Im Urteil vom April 2019 wird Richter Thomas Quast deutlich: So wird der Blendschlag gegen Sven durch einen Beamten als "nicht gerechtfertigt" bezeichnet, einen Grund für die anschließende Fesselung könne man nicht erkennen – sie war demnach rechtswidrig. Auch dass Sven überhaupt in Gewahrsam kam, sei rechtswidrig gewesen. Der Tritt gegen sein Bein sei gegebenenfalls gar als gefährliche Körperverletzung zu werten.

Die zuständige Oberstaatsanwältin sieht mehrere Rechtsfehler und geht erneut in Berufung. In der Begründung heißt es laut "Kölner Stadt-Anzeiger", das Landgericht habe sich nicht ausreichend mit dem Vorwurf der Körperverletzung auseinandergesetzt – gegen den angeklagten Sven. Zudem sei der Vorwurf der Beleidigung der Beamten ohne ausreichende Gründe fallengelassen worden.

Gericht verlangt Strafverfolgung der Polizisten

Der Fall geht ans Oberlandesgericht. Im Februar 2020 dann auch hier: Freispruch für die Vorwürfe des Widerstands und versuchter Körperverletzung. Lediglich der Beleidigung wird Sven für schuldig befunden, weil er einen Beamten unter anderem als "Nazi" bezeichnet habe – nachdem der ihn homophob beleidigt hatte. Das Gericht beachtet dieses Detail in seinem Urteil und Sven bleibt straffrei.

Auch das Oberlandesgericht wird deutlich: Die Strafverfolgung der beteiligten Polizisten müsse "zeitnah erfolgen". Doch zu einem Gerichtsprozess gegen die Beamten kommt es nie. Im April 2021 erfährt Sven, dass die Staatsanwaltschaft Köln das Verfahren gegen zwei Polizisten eingestellt hatte.

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Eine Geldbuße von 750 Euro müssen die Beamten wegen den Schlägen zahlen. An einer Anklage bestünde kein großes öffentliches Interesse, heißt es von der Staatsanwaltschaft. Das Amtsgericht Köln stimmte dem zu.

Für Sven ein empörender Vorgang: "Wer legt das öffentliche Interesse fest? Nur die Staatsanwaltschaft." Wäre der Fall vor Gericht ausgetragen worden, hätte das womöglich auch ein Signal an andere Opfer von Polizeigewalt gesendet – dass man eine Chance habe, sich zu verteidigen.

Reul und Biesenbach äußern sich

Doch Sven will nicht aufgeben, durch seine drei Freisprüche sieht er sich bestärkt: Er verklagt das Land NRW auf Schmerzensgeld – damit sind nun auch die höchsten politischen Ebenen des Landes mit dem Fall befasst.

So sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) im Innenausschuss, dass für Homophobie in "seiner" Polizei kein Platz sei. Man wolle auf Sven zugehen und "nicht knausrig" sein. Im Rechtsausschuss entschuldigte sich Justizminister Peter Biesenbach (CDU) bei Sven.

Ende August ging das Zivilverfahren zu Ende: Der Prozess endet mit einem Vergleich – Sven W. erhält die von ihm geforderten 15.000 Euro Schmerzensgeld.

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Sven W.
  • Gerichtsunterlagen zum Fall
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