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Wirecard-Prozess um Markus Braun: Jetzt wird's hässlich


Wirecard-Prozess
Jetzt wird's hässlich

Von Christof Paulus

Aktualisiert am 12.12.2022Lesedauer: 5 Min.
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Markus Braun (Mitte) und sein Verteidiger Alfred Dierlamm (links) beim Prozessauftakt in Stadelheim am Donnerstag (Archivbild): Am zweiten Prozesstag wollen Brauns Anwälte das Verfahren aussetzen lassen.Vergrößern des Bildes
Markus Braun (Mitte) und sein Verteidiger Alfred Dierlamm (links) beim Prozessauftakt in Stadelheim am Donnerstag (Archivbild): Am zweiten Prozesstag wollen Brauns Anwälte das Verfahren aussetzen lassen. (Quelle: Peter Kneffel / dpa)

Schon am zweiten Tag des Prozesses gegen Wirecard-Chef Markus Braun knallt es. Die Verteidiger kommen zu Wort: Welcher Milliardenbetrüger ist hier das Opfer?

Wie in Kafkas "Prozess" muss es Anwalt Alfred Dierlamm vorkommen, wenn er über das Verfahren gegen seinen Mandanten spricht: Kollegen, Medien, Staatsanwaltschaft, Zeugen und das Gericht, sie alle werfen dem früheren Wirecard-Chef etwas vor, das der nach seiner Überzeugung doch gar nicht getan hat. Bisher ohne echte Chance, das Gegenteil zu beweisen oder wieder freizukommen.

Oder ist es doch ganz anders? Am zweiten Prozesstag des Verfahrens gegen Braun und zwei weitere hochrangige Wirecard-Manager im Gerichtssaal des Stadelheimer Gefängnisses erhält erstmals die Verteidigung ausführlich das Wort. Und das lohnt sich für die Zuschauer: Die Anwälte der Angeklagten greifen offen an, mal sich gegenseitig, mal die Staatsanwaltschaft. Es entwickelt sich ein Schlagabtausch, nicht immer im Juristenduktus.

Auseinandersetzungen im Wirecard-Prozess in München

Gegenüber stehen sich: Dierlamm, der Braun vertritt und der der Ansicht ist, sein Mandant sei das Opfer eines gigantischen Betrugs. Und Florian Eder, Verteidiger von Oliver Bellenhaus, der früher Wirecard in Dubai vertrat und inzwischen Kronzeuge der Staatsanwaltschaft ist, während Dierlamm ihn als Kopf der kriminellen Bande bezeichnet. Fragt man Bellenhaus und seine Vertreter, dann war dieser Kopf jedoch niemand anderes als Braun selbst.

Sicher ist: Bis 2020 war Wirecard eines der vielversprechendsten deutschen Unternehmen. Die Aktienkurse schnellten in die Höhe – der Zahlungsdienstleister galt als innovativ und zuverlässig. Dann kam heraus: Das Geschäftsmodell war gar nicht profitabel, die Erfolgsgeschichte nur ein Bluff, aufgebaut auf gefälschten Finanzen.

Als die Sache aufflog und Wirecard zusammenbrach, setzte sich Brauns Stellvertreter Jan Marsalek ins Ausland ab. Andere hohe Tiere im Unternehmen wurden verhaftet. Drei von ihnen stehen nun vor Gericht, in diesem Prozess, in dem es schon am zweiten Tag persönlich wird.

Einige der schärfsten Attacken in der Auseinandersetzung: Anwalt Eder bezeichnet Braun spöttisch als selbst ernannten "Visionär". Zumindest optisch erinnere er an Steve Jobs. Dessen Verteidiger Dierlamm nennt dagegen die Arbeit der Staatsanwaltschaft etwa "unvorbereitet und unstrukturiert", der Mitangeklagte Bellenhaus lüge und verschweige Dinge, sagt er. Und dass sein Mandant immer noch zu Unrecht in Untersuchungshaft sitze, liege an der fahrigen Arbeit des Oberlandesgerichts. "Wenn das die Haftkontrolle in einem Rechtsstaat ist, dann können wir sie abschaffen."

Das bemerkenswerte Eröffnungsplädoyer im Wirecard-Fall

Vor seinem Eröffnungsplädoyer gibt Dierlamm an, die Rede nicht geübt zu haben, "anders als andere hier". Dass die darauffolgenden Worte zumindest rhetorisch eine gelungene Geschichte bieten, muss sogar Gegenspieler Eder anerkennen. "Da habe ich gerne zugehört", lobt er. Die Rede sei "geschliffen" gewesen. Doch gut klinge das nur "auf den ersten Blick", bemüht er ein schiefes Sprachbild.

Dierlamms Erzählung geht so: Sein Mandant Braun habe nichts vom Betrug gewusst, er habe bis zum Schluss an Wirecard geglaubt und deshalb auch keine einzige Aktie des Unternehmens verkauft. Was ihm nun widerfahre, sei eine "beispiellose wie prägende Vorverurteilung" von Ermittlern und Öffentlichkeit. Und nicht nur das: Auch im Verfahren selbst werde ihm übel mitgespielt. Weshalb Brauns Anwälte am Montag beantragen, das Verfahren auszusetzen.

Sie werfen der Staatsanwaltschaft schlampige und fehlerhafte Ermittlungen sowie gravierende Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien vor. So beschuldigt Brauns Verteidiger Dierlamm die Ermittler, der Verteidigung wesentliche Unterlagen vorenthalten zu haben. Das Gericht will im Laufe der nächsten Prozesstage entscheiden, ob sie den Prozess tatsächlich stoppt.

Anwalt sieht Braun als Sündenbock der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft stehe seit Bekanntwerden des Skandals unter massivem Druck, den sie auf seinen Mandanten übertrage, so die Einschätzung von Brauns Verteidiger.

Tatsächlich hatten die Ermittler zunächst Journalisten verfolgt, die über Wirecard berichteten, statt den Informationen entschieden nachzugehen. Es folgte die Flucht des Hauptverdächtigen Marsalek, der seit über zwei Jahren verschwunden ist.

All das habe dazu beigetragen, dass Braun immer noch in Untersuchungshaft sitze, obwohl er sicher nicht flüchten werde, habe er doch zuvor freiwillig seine Familie in Österreich verlassen, um sich zu stellen. Die Behörden wollten auf seine Kosten eine weitere Blamage verhindern, für die jedoch keine Gefahr bestehe.

Wirecard-Chef Markus Braun: Opfer oder Täter?

Mehrfach zitiert Dierlamm in seiner Rede einen früheren Weggefährten Brauns, der ihn "entweder einen Gangster oder den dümmsten CEO aller Zeiten" nannte. Natürlich treffe beides nicht zu, findet Dierlamm. Dass Braun aber selbst dann zumindest blamiert wäre, wenn sich herausstellten sollte, dass er in einem der größten Betrugsfälle der Geschichte nicht Täter, sondern Angeschmierter ist, dieser Eindruck bleibt trotzdem hängen.

Und glaubt man der Staatsanwaltschaft und deren Kronzeuge Bellenhaus, so ist Braun ohnehin nicht das Opfer. Bellenhaus' belastende Aussage widerspreche den ursprünglichen Angaben, diversen wichtigen Geldflüssen seien die Ermittler nicht nachgegangen, sagt Brauns Verteidiger Dierlamm zwar. Dessen Vertreter Eder will das aber nicht gelten lassen. Wie auch bei Dierlamm klingt fast in jedem Satz, den Eder äußert, durch: Alles Quatsch, was die Gegenseite sagt.

Vorverurteilt werde Braun zum Beispiel nicht, das widerfahre eher seinem Mandanten. Medienanfragen weit unter der Gürtellinie habe es gegeben, die Angesprochenen wüssten schon, wen er meine, so Eder. Und wer Braun zugutehalte, dass er aus dem Ausland gekommen sei, um sich zu stellen, der müsse das bei Bellenhaus umso mehr tun: Schließlich hätte er sich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten überallhin absetzen können.

Die Ausführungen der Vertreter Brauns seien "hanebüchen", Bellenhaus hätte überhaupt keinen Grund gehabt, zu lügen, keinen Belastungseifer. Wieder und wieder wiederholt Eder, wie abstrus die Vorstellung sei, dass sein Mandant aus dem sicheren Ausland nach Deutschland gekommen sei, nur um Braun eins auszuwischen, aber dadurch selbst mehrere Jahre ins Gefängnis zu müssen.

Am Mittwoch geht der Prozess gegen Markus Braun weiter

Ohnehin: Marsalek, den viele als Haupttäter einschätzen, den habe schließlich Braun zu Wirecard geholt, als eine "Austria-Connection" von zwei Wienern – und das, obwohl Marsalek "nach jetzigem Wissensstand ohne Schulabschluss" sei. Irgendwas müsse Braun an Marsalek gefallen haben, immerhin habe der eine steile Karriere hingelegt für einen, "der eigentlich gar nichts gelernt hat". Es war der vielleicht am schärfsten geschossene Giftpfeil an diesem denkwürdigen zweiten Prozesstag.

Was dabei fast untergeht: Da gibt es ja noch einen dritten Angeklagten im Gerichtssaal. Chefbuchhalter Stephan von Erffa, der, wie Braun und Bellenhaus an diesem zweiten Tag übrigens ebenfalls, selbst keine Angaben macht. Seine Anwältin erhält als letzte das Wort, fasst sich in ihrem Eröffnungsplädoyer deutlich kürzer, verzichtet auf persönliche Angriffe – widerspricht Bellenhaus' Darstellung jedoch vehement.

Wie diese genau aussieht, können die Beobachter im Prozess am Mittwoch verfolgen. Dann wird der Prozess am dritten von wohl über 100 Verhandlungstagen fortgesetzt. Von Braun und von von Erffa dürfte auch dann nichts zu hören sein. Bellenhaus hat allerdings eine ausführliche Aussage angekündigt.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
  • Nachrichtenagentur dpa
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