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Vom Denkmal zur Mülldeponie: Das Uhrmacherhäusl in München wurde einfach abgerissen


Giesing wartet weiter auf den Neubau
Einfach abgerissen: Dieses Denkmal ist jetzt eine Mülldeponie

Von Christof Paulus

Aktualisiert am 03.03.2023Lesedauer: 4 Min.
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Protestschilder am Uhrmacherhäusl im Münchner Stadtteil Giesing: Ein paar Bäume, die zwischenzeitlich auf dem Grundstück standen, sind inzwischen abgeholzt.Vergrößern des Bildes
Protestschilder am Uhrmacherhäusl im Münchner Stadtteil Giesing: Ein paar Bäume, die zwischenzeitlich auf dem Grundstück standen, sind inzwischen abgeholzt. (Quelle: Paulus)

Es ist das Symbol für den Münchner Wohnungswahnsinn: Das Haus in Giesing, das 2017 ohne Genehmigung abgerissen wurde. Der Besitzer muss es wieder aufbauen. Aber wann?

Zum Glück parken Autos hier, dann sieht man den Schandfleck nicht so genau. Bis 2017 stand an dieser Stelle in Giesing ein denkmalgeschütztes Haus, im Münchner Stadtteil bekannt als das "Uhrmacherhäusl", benannt nach einem Handwerker, der hier um 1840 wohnte. So richtig berühmt wurde das Gebäude aber erst, als es plötzlich weg war.

Am 31. August 2017 hatte ein Bagger ein Loch in die Fassade des Hauses gerissen, nach Überzeugung von Richter Martin Schellhase mit dem klaren Plan, das Haus abzureißen. Konnten Anwohner und Polizei dies zunächst noch verhindern, schufen Baggerfahrer und Bauherr am nächsten Tag Fakten: Das Haus wurde völlig zerstört und zum Symbol für viele in Giesing und darüber hinaus. So wie jetzt soll es hier aber nicht bleiben, Stadt und Gericht wollen, dass das Haus wieder aufgebaut wird. Doch die Zeit wird langsam knapp.

Abgerissenes Haus in München steht immer noch nicht wieder

Clemens Geier wohnt im Haus gegenüber. Er erinnert sich noch daran, wie das Uhrmacherhäusl abgerissen wurde. "Das war eine Sauerei", sagt er. Bis heute veranstalten er und andere Anwohner in Giesing alle zwei Monate eine Mahnwache, auch aus anderen Teilen der Region nehmen Leute teil. "Es schaut schlimm aus", sagt Geier mit Blick auf das Chaos, das der Abriss gegenüber zurückgelassen hat. Dass hier bald wieder ein Haus stehen muss, das dem Ensemble gerecht wird, ist für Geier selbstverständlich.

Nicht nur das abgerissene Haus, auch die weiteren Gebäude in der Umgebung sind denkmalgeschützt. "Profitgier frisst Heimat und ihre Geschichte(n)", steht auf einem Plakat, mit dem das Bündnis "Heimat Giesing" für die Mahnwachen wirbt. Die "kriminelle Zerstörung" von Denkmälern dürfe nicht auch noch Gewinn nach sich ziehen. Das Uhrmacherhäusl steht in München nicht nur für eine Bauruine. Sondern für eine große Entwicklung in der Stadt.

Immobilien und Wohnraum sind rund um München besonders empfindliche Themen. Der Platz ist knapp, die Mieten sind exorbitant, und die wenigen Gegenden, in denen noch einfache, alteingesessene Münchner leben können, Ziel von Spekulanten und Immobilienhaien. Zumindest tönt so das Narrativ, das in München viele erzählen. Die Stadtverwaltung und der Eigentümer der Giesinger Abrissruine haben jetzt die Chance zu beweisen, dass sie es besser können.

Warum der Eigentümer das Uhrmacherhäusl in Giesing abriss

Hinter dem Skandal um das Uhrmacherhäusl steht Andreas S., ein Unternehmer aus der Region, dem das Gebäude gehört. Der hatte sich um eine Genehmigung bemüht, das Haus sanieren zu dürfen, und diese auch bekommen. Von einem Abriss stand in der Genehmigung aber nichts, der Denkmalschutz verbietet das von vornherein. Zuvor soll S. Mieter aus dem Haus getrieben haben, indem er etwa die Heizung abgedreht habe. Er bestreitet das, sagt auch, dass der Abriss nicht von ihm beabsichtigt war. Die Stadt verfügte jedoch zügig, dass das Gebäude wieder aufzubauen sei.

S. klagte, ein Formfehler verzögerte die Angelegenheit, das Bayerische Verwaltungsgericht sprang der Stadt jedoch zur Seite. Aktueller Stand der Dinge: Seit April 2022 gibt es eine Baugenehmigung, wie die Stadt München auf Anfrage von t-online mitteilt. "Die Lokalbaukommission ist mit dem Bauherrn in Kontakt", heißt es in der Stellungnahme. "Sowohl die Einhaltung des Termins, als auch die Bauausführung selbst werden von der LBK überwacht."

Doch bisher ist noch nichts passiert, zumindest nichts, was in der Oberen Grasstraße 1, der Adresse des Uhrmacherhäusls, sichtbar wäre. Auf eine Anfrage von t-online hat der Eigentümer des Hauses nicht reagiert. "Dem Bauherrn ist die Umsetzungsfrist bewusst. Wir gehen derzeit davon aus, dass dies noch gelingen kann", heißt es vonseiten der Stadt. Und wenn das in den übrigen 14 Monaten doch nicht klappt? Dann werde ein "empfindliches Zwangsgeld" fällig.

Haus in München war unter Denkmalschutz, jetzt liegt dort Müll

Unterdessen ist das Grundstück zu Mülldeponie und Hundeklo verkommen. An den Nachbarhäusern lehnt jeweils ein mit Matten und Moos bedecktes Holzgerüst, zwischen denen nur noch ein kleiner Zwischenraum bleibt. Ein paar Grashalme trotzen den Widrigkeiten ihrer Umgebung, dem Müll auf dem Boden und den Schuhen, die sie offenbar immer wieder platt treten.

Die meisten davon dürften Schaulustigen gehören oder Hundebesitzern, die ihre Tiere hier ihr Geschäft erledigen lassen. Ständig muss man zwischen Müll und Holzgerüst aufpassen, nicht auf einen Hundehaufen zu treten. Und dann ist da noch ein geöffneter Koffer mit einem Kleid und anderen Klamotten darin – wie er da hinkam, bleibt ein Rätsel.

"Es ist nicht schön", sagt Sladjana Trujkic das Offensichtliche. Manchmal macht sie auf ihrem Arbeitsweg einen kleinen Umweg, um durch die Obere Grasstraße zu laufen. Sie vermisst das alte Haus – auch wenn es vor dem Abriss zwei Jahre leer stand, Putz von der Fassade bröckelte und Schimmel an der Hauswand war, wie alte Bilder belegen.

Wie Giesing sich verändert und Anwohner dagegen kämpfen

Aber Neubauten, die passen nicht in die Gegend, findet Trujkic. Alte Häuser haben hingegen ihren Charme, sagt sie. Und spricht damit die Sehnsucht aus, die viele in der Stadt haben: In einem Umfeld, in dem Wohnraum vor allem als Geldwert gesehen wird, sich zumindest ein bisschen vom alten, einfachen München zu erhalten – zumindest in einem Arbeiterviertel wie Giesing. Doch ist der Kampf schon verloren?

"Was will man machen?", fragt sie resigniert. Geier, der Nachbar aus dem Haus gegenüber, ist offenbar noch etwas optimistischer. Er sieht die Gentrifizierung noch "am Anfang". "Da muss man aufpassen", sagt er. Er und viele andere wollen sich dagegen wehren, bei ihren Mahnwachen und mit Schildern und Aufklebern, die sie an dem Holzgerüst angebracht haben. "Gier zerstört" oder "Empört euch!" stehen darauf.

Zumindest den Vorwurf, er wolle sich mit dem Gebäude bereichern, könnte Eigentümer Andreas S. sogar entkräften – wenn er denn rechtzeitig mit dem Wiederaufbau beginnt. Er hat angekündigt, wenn das Gerüst, der Müll und die Hundehaufen weg sind, selbst in das wieder aufgebaute Uhrmacherhäusl ziehen zu wollen. Noch hat er ein gutes Jahr Zeit.

Verwendete Quellen
  • Anfrage an Stadt München
  • Gespräche mit Clemens Geier und Sladjana Trujkic
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