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Immobilienmarkt in München: Mieter wollen ihr eigenes Haus kaufen


Aus Protest gegen Luxussanierung
"Wir müssen kämpfen": Mieter wollen ihr eigenes Haus kaufen


11.06.2023Lesedauer: 4 Min.
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Das Haus in der Wörthstraße: Eine Hausgemeinschaft will sich hier gegen eine drohende Luxussanierung und Mieterhöhungen mit einer ungewöhnlichen Idee wehren.Vergrößern des Bildes
Das Haus in der Wörthstraße: Eine Hausgemeinschaft will sich hier gegen eine drohende Luxussanierung und Mieterhöhungen mit einer ungewöhnlichen Idee wehren. (Quelle: Patrik Stäbler)

Eine Mietergemeinschaft in München will ihr Haus nicht Spekulanten überlassen, sondern es selbst kaufen – dafür haben sie einen kühnen Plan entwickelt.

Ganz am Anfang steht eine zufällige Entdeckung. Die Bekannte einer Nachbarin, so erzählt es Andy Ebert, sei im Internet über eine Annonce gestolpert, worauf sie ihre Freundin informiert: "Euer Haus ist bei Immowelt!" Genauer gesagt ist es nur die Hälfte des Gebäudes in der Wörthstraße 8 in München, die dort im Sommer für 6,5 Millionen Euro zum Kauf angeboten wird.

Für Andy Ebert und die anderen zwölf Parteien in dem 1894 erbauten Eckhaus im Stadtteil Haidhausen sei diese Nachricht ein Schock gewesen, sagt der 48-Jährige, der mit übereinandergeschlagenen Beinen am Esstisch seiner Küche sitzt. Schließlich zahlen sie aktuell Mieten, die viele Menschen in München grün werden lassen vor Neid – nämlich kaum zehn Euro pro Quadratmeter. Doch dieses Idyll ist nun mit einem Schlag bedroht.

Zig Geschichten im trendigen Haidhausen von alten Wohnhäusern

Schließlich kennt man nachgerade im trendigen Haidhausen zig Geschichten von alten Wohnhäusern, die erst verkauft und dann renoviert werden, ehe der neue Besitzer die Mieten kräftig anhebt. Oder wie es Andy Ebert ausdrückt: "Alle raus, luxussanieren und dann den doppelten Preis verlangen. Das passiert hier überall."

Doch nachdem die Schockstarre überwunden ist, entscheidet die Hausgemeinschaft in der Wörthstraße, sich gegen das drohende Schicksal zu wehren. "Wir müssen kämpfen!", ruft Andy Ebert – eigentlich ein tiefenentspannter Typ – und knallt beide Fäuste auf den Tisch. Genau so habe es damals ein Nachbar gesagt. "Wenn wir nicht kämpfen, haben wir gar keine Chance", fährt Ebert fort und lässt die Fäuste erneut hinabsausen.

Kühner Plan: Bewohner wollen ihr Haus selbst kaufen

Oder etwas nüchterner ausgedrückt: Die Bewohner fassen den kühnen Plan, ihr Haus selbst zu kaufen und damit dem Spekulationsmarkt zu entziehen – über das Vehikel des Mietshäuser-Syndikats. Dieser Name klingt in den meisten Ohren erst mal nach kriminellen Kartellen oder gar der Mafia. Tatsächlich verbirgt sich dahinter aber eine nicht-kommerzielle Initiative aus Freiburg, die Menschen dabei unterstützt, gemeinschaftlich eine Immobilie zu kaufen oder zu bauen.

Sie gründen einen Hausverein, der mit dem Syndikat eine GmbH bildet, der das Haus gehört. Ein Vertrag regelt, dass die Bewohner die Immobilie selbst verwalten. Zugleich verhindert die Beteiligung des Syndikats, dass das Gebäude irgendwann doch verkauft wird. Bundesweit gibt es an die 200 solcher Syndikatshäuser, allein 29 in und um Freiburg – in München aber nur ein einziges, nämlich in der Ligsalzstraße im Westend.

Mit dieser Idee im Kopf geht die Hausgemeinschaft im September auf die Eigentümer des Gebäudes zu und stößt dort auf ein "sozial eingestelltes" Geschwisterpaar, sagt Ebert – ein Glücksfall für ihn und die anderen. So stellt ihnen der Bruder in Aussicht, seine im Internet angebotene Haushälfte für fünf Millionen Euro zu verkaufen. Und mehr noch: Seine in der Schweiz lebende Schwester erklärt sich bereit, ihren Anteil an eine Stiftung zu überschreiben, die diesen an die Hausgemeinschaft verpachten würde.

So weit der Plan, in den sich die 29 Bewohnerinnen und Bewohner bei ihren donnerstäglichen Treffen in der Ebert'schen Wohnküche mit viel Enthusiasmus stürzen. Sie gründen einen Verein, stellen unter www.woerth8.de eine Webseite ins Netz und vor allem: Sie starten eine Schwarmfinanzierung, um die Haushälfte des Bruders zu erwerben.

Zusagen über mehrere hunderttausend Euro

Dabei setzt "Wörth 8", wie bei Syndikatshäusern üblich, neben Eigenmitteln auf Direktkredite von Menschen, die das Projekt unterstützen wollen. Schnell kommen Zusagen für einige hunderttausend Euro zusammen. Und je größer die Summe wird, desto mehr nimmt der Traum vom Hauskauf Gestalt an – bis es im Frühjahr einen Dämpfer setzt.

Denn da habe ihnen der Bruder mitgeteilt, erzählt Ebert, dass ihm die Sache zu langsam vorangehe und er seine Haushälfte wieder am freien Markt anbieten werde. Kurz darauf kommen erste Interessenten zu Besichtigungen vorbei. Und damit nicht genug: Infolge dieser Entwicklung steigen drei der 13 Mietparteien aus dem Projekt aus. "Da dachten wir erst mal, dass wir jetzt keine Chance mehr haben", sagt Andy Ebert. "Vier, fünf Wochen lang waren wir wie in einer Starre."

Doch dann regt sich die erwähnte Kampfeslust in der Wörthstraße 8. Hinzu kommen mehrere "glückliche Fügungen", wie es Ebert formuliert. Nicht nur findet sich trotz der Besichtigungen kein Käufer – offenbar wirkt abschreckend, dass die andere Haushälfte inzwischen der Stiftung gehört. Sondern "Wörth 8" erhält neben großem Medienecho auch Rückenwind aus dem Stadtrat. So beantragt die grün-rote Rathauskoalition im März ein Fördermodell zur Unterstützung von Mieterinitiativen – und nennt dabei explizit das Vorhaben "Wörth 8".

Wird "Wörth 8" zu einem "Leuchtturmprojekt" in München?

Zuvorderst aber bekommt die Hausgemeinschaft bei ihrer Schwarmfinanzierung einen unerwarteten Schub. Dank eines finanzstarken Unterstützers habe man inzwischen Zusagen über 2,1 Millionen Euro beisammen, sagt Andy Ebert. "Und der Eigentümer weiß jetzt, dass wir nicht so kraftlos sind."

Schon bald wolle man den Bruder zu einem Verkaufsgespräch bitten. "Der Plan ist, zwei Drittel des Preises sofort zu bezahlen und den Rest innerhalb von fünf Jahren", sagt Ebert. Sollte alles klappen, würde "Wörth 8" zu einem "Leuchtturmprojekt" in München, ist er überzeugt.

Allerdings sei man sich auch bewusst, "dass jeden Tag ein Schreiben im Briefkasten liegen kann, mit der Nachricht: Das Haus ist verkauft", sagt Ebert. Aktuell jedoch ist bei den wöchentlichen Treffen in seiner Wohnküche viel Zuversicht zu spüren. "Unsere Chancen liegen bei mehr als fifty-fifty", schätzt Andy Ebert. "Ich würde sagen, so bei 60 Prozent – aber noch fern von sicher."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
  • Gespräch mit Hausbewohner Andy Ebert
  • Webseite des Mietshäuser Syndikats: https://www.syndikat.org
  • Antrag der grün-roten Rathauskoalition: https://spd-rathausmuenchen.de/die-stadt-unterstuetzt-mieterinneninitiativen-beim-erwerb-ihres-hauses/
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