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Eisbaden in München: Selbstversuch – das steckt hinter dem Trend


Kampf gegen den inneren Schweinehund
Eisbaden bei Minusgraden – definitiv nichts für Weicheier

  • Sven Sartison
Von Sven Sartison

18.01.2024Lesedauer: 6 Min.
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Schmerz, lass nach: t-online-Reporter Sven Sartison (mit grauer Mütze) ist für einen Selbstversuch eisbaden gegangen.Vergrößern des Bildes
Schmerz, lass nach: t-online-Reporter Sven Sartison (mit grauer Mütze) ging für einen Selbstversuch zum Eisbaden. (Quelle: Deininger/Privat)

Eisbaden liegt voll im Trend. Aber warum eigentlich? Und wie fühlt sich das an? Ein Selbstversuch im Schwabinger Bach.

Bei meinen Laufrunden entlang der Isar sehe ich sie fast immer. Die Unerschrockenen, die selbst bei klirrender Kälte in die Isar steigen. "Beeindruckend", "wahnsinnig", "verrückt", denke ich mir dann jedes Mal aufs Neue.

Und irgendwie ist in mir mit jeder weiteren Beobachtung der Wunsch gewachsen, das einmal selbst auszuprobieren. Warum auch immer. Denn eigentlich bin ich der Typ "Warmduscher". Wenn die Haut nach dem Duschen nicht gerötet ist und das Badezimmer nicht einem Dampfbad gleicht, war das Wasser nicht heiß genug.

Gemeinsam den inneren Schweinehund überwinden

Eisbaden liegt voll im Trend, nicht nur in München. Egal ob in Seen, Flüssen oder der Eistonne auf dem heimischen Balkon. In der bayerischen Landeshauptstadt hat sich schon vor rund sechs Jahren die Gruppe Munich Hot Springs gegründet, deren Mitglieder sich regelmäßig im Englischen Garten zum gemeinsamen Baden im eiskalten Wasser verabreden. Fast 500 Personen gehören der Community inzwischen an.

Immer sonntags treffen sie sich am Schwabinger Bach in der Nähe der Eisbachwelle. Eisbach – der Name ist Programm. Und in dieser Woche bin auch ich dabei, um den Selbstversuch zu wagen. Das Wetter, es könnte kaum passender sein. Es ist kalt, bitterkalt. Die Wege sind vereist, die Wiesen von Schnee bedeckt. Minus drei Grad zeigt die Wetter-App auf dem Smartphone an. Wenn schon Eisbaden, dann richtig.

Auf der Wiese direkt neben dem Japanischen Teehaus breitet Irina Hey gerade ihre Matte aus. Die 41-Jährige ist eine der Mitgründerinnen der Munich Hot Springs und erfahrene Eisbaderin. Und heute so etwas wie meine Lehrerin. Ein paar Jungs aus dem Fitnessstudio seien vor Jahren nach dem Sport regelmäßig noch ins kalte Wasser gestiegen, da sei sie irgendwann einfach mitgegangen, berichtet sie.

Mit der Zeit wuchs die anfangs noch kleine Gruppe dann immer weiter an. Heute sind allein zwischen 40 und 50 Wagemutige da. Die meisten kommen regelmäßig, sind geübte Eisbader. Doch ich bin an diesem Tag nicht der einzige Neuling, auch zwei andere wollen den inneren Schweinehund besiegen.

Positiver Effekt auf die Gesundheit

Eine von ihnen ist Laura-Sophia, 25 Jahre alt, Studentin. Freunde von ihr gingen öfters zum Eisbaden, seien seitdem niemals krank, erzählt sie: "Da wollte ich das auch mal ausprobieren, wissen, ob an dem Hype etwas dran ist." An dem Thema kommt man zurzeit tatsächlich einfach nicht vorbei. Auch Social Media ist voll davon. Es gibt Zehntausende Beiträge unter dem Hashtag auf Instagram und TikTok, die Videos werden millionenfach geklickt.

Viele sehen das Bad im kalten Wasser als Challenge, als Herausforderung. Andere wiederum schwören auf den angeblich positiven Effekt auf die Gesundheit. Auch wenn es bislang nur wenige belastbare Studiendaten gibt, die belegen, ob und wie gesund der Gang ins eiskalte Nass wirklich ist. Sicher ist, dass der kurze Kältereiz ein gutes Training für die Gefäße darstellt.

Diese ziehen sich schlagartig zusammen, wenn die Temperatur auf der Haut sinkt. Beim Aufwärmen weiten sie sich dann wieder, das Blut durchströmt den Körper regelrecht. Die Folge: Die Schleimhäute werden besser durchblutet, Viren und Bakterien haben es dadurch schwerer, in den Nasen-Rachen-Raum einzudringen. Auch auf die Fettverbrennung soll sich Eisbaden positiv auswirken. Außerdem fühlt man sich anschließend durch die freigesetzten Endorphine einfach besser.

Wie viele kleine Nadelstiche auf der Haut

Doch dafür muss man leiden. "Wenn ihr ins Wasser geht, ist das erst einmal ein Schock für den Körper", stellt Irina Hey schonungslos klar. Aber statt dem inneren Drang zu folgen, das Wasser auf direktem Wege wieder zu verlassen, sollten Laura-Sophia und ich einfach ruhig bleiben, lautet die Anweisung. Eisbaden ist schließlich nichts für Weicheier. Zudem sollen wir den Kopf über Wasser halten und am besten eine Mütze tragen, weil der Körper über den Kopf viel Wärme abgibt.

Auch die Hände sollten trocken bleiben, da diese ebenfalls schnell an Temperatur verlieren. Denn: "Das Blut wird als Erstes aus den Extremitäten in die Körpermitte gepumpt, um die inneren Organe zu schützen." Aktuell habe das Wasser im Schwabinger Bach drei Grad, sagt Irina Hey. Also sechs Grad wärmer als die Außentemperatur.


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"Wenn ihr im Wasser seid, fühlt sich das zunächst wie ganz viele Nadelstiche an."


Irina Hey von den munich hot springs


"Wenn ihr im Wasser seid, fühlt sich das zunächst wie ganz viele Nadelstiche an", erklärt die erfahrene Eisbaderin. Das sind ja verlockende Aussichten. Nach einer Zeit werde es dann aber angenehm. Wenn dieses Gefühl wieder nachlasse, sei dies das Zeichen, aus dem Wasser zu gehen. Dann sollen wir uns schnellstmöglich anziehen und ins Warme gehen. Auch eine Tasse heißer Tee könne nicht schaden.

Gar nicht so schlimm wie befürchtet

Inzwischen haben die Leute um uns herum begonnen, sich auszuziehen. Also packe auch ich meine mitgebrachte Decke aus und lege Kleidungsstück für Kleidungsstück darauf ab. Bis ich nur noch in Badehose dastehe. Wenigstens lässt sich die Sonne blicken, die Strahlen auf der Haut tun gut. "Fühlt sich gleich zwei Grad wärmer an", scherzt ein Mann neben mir.

Dann geht es los, ich laufe in Richtung Uferrand. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Der erste Schritt ins Wasser, er ist gar nicht so schlimm, wie ich es befürchtet hatte. Es fühlt sich an wie in einem Kneippbecken. Alles zieht sich zusammen, aber es ist aushaltbar. Doch bislang stehe ich auch nur bis zu den Knien im Eiswasser, das unangenehmste kommt also erst noch. Ohne lange nachzudenken, steige ich von einer Stufe im Bach hinab – nun geht mir das Wasser bis zur Brust.

Ein innerer Kampf

Die Kälte, sie brennt auf meiner Haut, mein Herz beginnt immer schneller zu schlagen. "Schnell raus hier", ist der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schießt. "Langsam und tief atmen, einfach entspannen", versucht Irina Hey mich und Laura-Sophia, der es neben mir nicht anders ergeht, zu beruhigen. Leichter gesagt als getan.

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Die ersten Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen, sind ein innerer Kampf. Ich schließe die Augen, versuche mich nur auf mich zu konzentrieren. "Verdammt", denke ich, als mir auffällt, dass ich meine Arme unter Wasser habe. "Anfängerfehler." Dann lässt der Schmerz langsam nach, das Leiden wird weniger. Bis tatsächlich die Phase einsetzt, von der Irina Hey zuvor gesprochen hatte.

Ich öffne meine Augen und genieße das Gefühl des kalten Wassers, das meinen Körper umhüllt. Ein kleines Lächeln macht sich auf meinen Lippen breit. Lange hält dieser Zustand jedoch nicht an. Vielleicht zwei, maximal drei Minuten bin ich im Schwabinger Bach. Mehr geht nicht, muss es aber auch nicht. Laut Irina Hey ist die Wassertemperatur gleich der Zeit im Wasser.

Als würden die Endorphine in meinem Körper tanzen

Also schnell raus aus. Meine Arme und Beine, sie sehen nun aus wie nach einer meiner geliebten heißen Duschen: vollkommen gerötet. Dazu fühlen sie sich taub an, lassen sich nur langsam und schwerfällig bewegen. Meine Nase gleicht der von Rudolph, dem Rentier. Ansonsten ist mir komischerweise gar nicht kalt. "Zieh dich schnell an", ruft mir Irina Hey aus dem Wasser heraus zu. Doch bevor ich in meine warmen Klamotten schlüpfe, greife ich auf einen Trick zurück, den ich im Internet gelesen habe.

Aus einer mitgebrachten Flasche lasse ich lauwarmes Wasser über Hände und Füße laufen. Das hat einen Effekt: Das Wasser auf meiner Haut fühlt sich angenehm warm an, es ist, als würde ich langsam wieder auftauen. Und während ich mich anziehe, macht sich noch ein weiteres Gefühl in meinem Inneren breit – das der vollkommenen Zufriedenheit. Ich kann förmlich spüren, wie die Endorphine in meinem Körper tanzen, ich freier atmen kann, einfach glücklich bin.

Definitiv nicht mein letztes Eisbad

Ohne den Langzeiteffekt zu kennen, habe ich nun zumindest eine leise Ahnung davon, was Menschen selbst bei Minusgraden in Flüsse, Seen oder Eistonnen steigen lässt. Manche nur für ein paar Sekunden, andere für zehn Minuten. So wie einer der Munich Hot Springs, der an diesem Tag am längsten aushält. "Manche schaffen sogar 20 Minuten", sagt Irina Hey. Unvorstellbar für mich.

Zugleich steht für mich aber auch fest: Mein letztes Eisbad wird das definitiv nicht gewesen sein. "Ich werd's auf jeden Fall weitermachen", kündigt auch Laura-Sophia euphorisch an. Dann mache ich mich mit einem Grinsen im Gesicht auf den Heimweg. Mit dem guten Gefühl, den inneren Schweinehund besiegt zu haben. Und dem Wissen, dass ich die Dusche beim nächsten Mal durchaus auch etwas kälter einstellen könnte. Ich muss nur wollen.

Verwendete Quellen
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