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Prozess in Nürnberg: Cannabis-Ärztin zu Geldstrafe verurteilt


Urteil vorm Landgericht
Cannabis auf Rezept: Privatärztin muss 15.000 Euro Strafe zahlen

Jasmin Siebert

Aktualisiert am 26.10.2022Lesedauer: 4 Min.
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Die verurteilte Ärztin mit ihren Verteidigern Gunter Kowalski (links) und Ernst-Anton Eder (hinten)Vergrößern des Bildes
Die verurteilte Ärztin mit ihren Verteidigern Gunter Kowalski (links) und Ernst-Anton Eder (hinten). (Quelle: Jasmin Siebert)

Weil sie unerlaubt Cannabis verschrieben hat, wird eine Ärztin in Nürnberg zu einer Geldstrafe von 15.600 Euro verurteilt. Vor Gericht prallen Welten aufeinander.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat eine Ärztin aus Fürth zu einer Geldstrafe von 15.600 Euro verurteilt. Die Ärztin, die in ihrer Privatpraxis hauptsächlich homöopathisch arbeitet, muss 240 Tagessätze à 65 Euro dafür bezahlen, dass sie im Jahr 2018 in 25 Fällen Cannabis verordnet hat, ohne Behandlungsalternativen geprüft oder angeboten zu haben.

In sieben Fällen wurde sie schuldig gesprochen, unrichtige Gesundheitszeugnisse, die eine generelle Fahrtauglichkeit bescheinigen, ausgestellt zu haben. Ihren Beruf darf die 59-jährige Ärztin weiter ausüben.

In der Anklageschrift waren der Privatärztin noch 89 unrechtmäßige Verordnungen von Cannabis bei 26 Patienten vorgeworfen worden. In mehreren Fällen, vor allem Folgeverschreibungen betreffend, wurde das Verfahren eingestellt. Letztlich sah das Gericht nur noch die Cannabisrezepte von acht Patienten als strafrechtlich relevant an.

Auch vom Anfangsverdacht, die Ärztin habe sich durch die Verordnung von Cannabisblüten finanziell bereichern wollen, nahm das Gericht Abstand. Es erkannte an, dass die Ärztin ihren Patienten wirklich helfen wollte und sich viel Zeit für sie genommen hatte.

In der Urteilsbegründung sagte die Richterin, dass die verurteilte Ärztin vorsätzlich gegen das Ultima-Ratio-Prinzip gehandelt habe. Ultima Ratio meint das letztmögliche Mittel, in diesem Fall: Wenn ein Betäubungsmittel wie Cannabis verschrieben wird – noch dazu in Abweichung von ärztlichen Leitlinien für ein bestimmtes Krankheitsbild – sollten Alternativen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.

So hatte die verurteilte Ärztin Cannabisblüten bei ADHS, Posttraumatischer Belastungsstörung, Zwangsstörung, Schmerzen, Asthma und Neurodermitis verschrieben, ohne die Patienten darüber aufzuklären, dass sie damit von den ärztlichen Leitlinien abwich. Handschriftliche Notizen der Ärztin sowie Zeugenaussagen belegten, dass die Ärztin mit den Patienten nicht über Behandlungsalternativen gesprochen habe.

Die Richterin betonte, dass juristisch nicht darüber geurteilt werde, ob die Ärztin falsche medizinische Entscheidungen getroffen habe. Rechtlich von Belang sei nur, dass sie bei den Fällen, die zu einer Verurteilung führten, Behandlungsalternativen nicht geprüft oder angeboten habe, sondern lediglich den Patientenwünschen nachgekommen sei.

Bei Urteilsverkündung: Ärztin wirkt emotional aufgewühlt

Die Ärztin hatte gegenüber t-online an einem früheren Verhandlungstag bereits eingeräumt, dass sie Patienten Cannabis verschrieben hatte, wenn diese sie darum gebeten hatten und sie den Eindruck hatte, dass die Pflanze ihnen helfe. Dass ihr genau das nun zum Vorwurf gemacht wird, wühlt sie emotional ziemlich auf.

Auf Anraten ihrer Verteidiger hatte die Ärztin an allen sieben Verhandlungstagen geschwiegen, aber während der Urteilsverkündung ist ihr deutlich anzumerken, dass sie nun doch gerne etwas sagen würde. "Unfassbar", "stimmt nicht" und Ähnliches murmelt die Ärztin im lila Samtkleid während der Ausführungen der Richterin.

Weil sie sich vor Gericht zu den Vorwürfen nicht geäußert hatte, bezog sich die Richterin auf eine schriftliche Stellungnahme, die die Ärztin gegenüber dem Gesundheitsamt abgegeben hatte, um die Gesinnung der Ärztin zu beurteilen. Dort schrieb diese sinngemäß: Kann ich Menschen zwingen, Behandlungsmethoden zu wählen, die sie aus triftigen Gründen ablehnen, wenn sie für sich doch bereits eine geeignete Methode ohne Nebenwirkungen gefunden haben?

Beim Thema Cannabis prallen vor Gericht Welten aufeinander

Dass beim Thema Cannabis auch in dieser Gerichtsverhandlung Welten aufeinanderprallten, hatte Verteidiger Gunter Kowalski in seinem Schlussplädoyer kraftvoll deutlich gemacht: Da sei auf der einen Seite eine Staatsanwaltschaft, die in Cannabis eine gefährliche Droge sehe. Und da sei eine andere Seite mit sich immer mehr erweiternden, medizinischen Einsatzmöglichkeiten und einer Regierung, die gerade eine generelle Legalisierung vorbereite.

Kowalski wies darauf hin, dass sich beim Thema Cannabis vieles im rechtlichen Graubereich bewege. So sei der Umgang mit Cannabispatienten im Straßenverkehr noch immer nicht geregelt, da der THC-Grenzwert im Blut auch Tage nach der Einnahme noch überschritten wird. Die Ärztin hätte ihren Patienten mit den Gesundheitszeugnissen keine generelle Fahrtauglichkeit bescheinigt, diese hätten lediglich dazu gedient, sich als Cannabispatienten auszuweisen. Über die eigene Fahrtauglichkeit müssten Patienten wie bei der Einnahme von anderen Medikamenten auch im Einzelfall selbst urteilen.

Verteidiger: "Angsthasen"-Ärzte trauten sich nicht, Cannabis zu verordnen

Der Verteidiger betonte die ärztliche Freiheit: Kein Mediziner müsse sich an die ärztlichen Leitlinien halten. Man könne darüber streiten, ob andere Medikamente besser seien als Cannabis. So hätte etwa Ritalin eine lange Liste an Nebenwirkungen, mit Cannabis sei der betroffene ADHS-Patient wieder auf die Beine gekommen.

Kowalski wies in seiner Verteidigung auch darauf hin, dass es Ärzte gebe, die "am liebsten Cannabis verschreiben". Tatsächlich haben Start-ups wie Algea Care und Nowomed, die auch Filialen in Nürnberg betreiben, das Verschreiben von Cannabis per Privatrezept zum Geschäftsmodell gemacht. Demgegenüber stünden "Angsthasen"-Ärzte, die sich nicht trauten, Cannabis zu verordnen.

Obwohl die Strafe milde ausgefallen ist, kündigten die Verteidiger an, Revision einzulegen. Verteidiger Kowalski sagte, er fände es gut, wenn sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Thema befassen würde.

Verwendete Quellen
  • Reporterin vor Ort
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