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Henry Maske kritisiert AfD: "Ist das die Welt, die wir uns wünschen?"


Box-Legende erinnert sich
Henry Maske: "Hier passiert etwas, das undenkbar war"

  • David Digili
InterviewVon David Digili

09.11.2019Lesedauer: 10 Min.
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Profi-Debüt: Maske im Kampf gegen den Mexikaner Antonio Arvizu am 9. Mai 1990.Vergrößern des Bildes
Profi-Debüt: Maske im Kampf gegen den Mexikaner Antonio Arvizu am 9. Mai 1990. (Quelle: imago-images-bilder)

Ex-Boxweltmeister Henry Maske spricht über einen Schlüsselmoment zur Zeit der Wende, Schwierigkeiten am Beginn seiner Profikarriere und den Zuspruch rechtsextremer Parteien im Osten.

Er war Olympiasieger und Meister im Halbschwergewicht: Box-Legende Henry Maske zählt zu den erfolgreichsten gesamtdeutschen Sportlern. Nach einer erfolgreichen Karriere in der DDR wurde der gebürtige Brandenburger nach der Wende auch in der Bundesrepublik zur Größe. Seine Titelkämpfe beim Privatsender RTL verfolgten in den neunziger Jahren Millionen Zuschauer im TV. Mit seinem kultivierten Auftreten und seinem stets fairen Verhalten im Ring sorgte Maske für einen Box-Boom in Deutschland und veränderte das Image seines Sports nachhaltig.

Heute lebt er mit seiner Familie in Köln, betreibt in der Region Filialen einer Fast-Food-Kette und engagiert sich für benachteiligte Jugendliche.

Im Interview mit t-online.de spricht der "Gentleman" über Schwierigkeiten zu Beginn seiner Profikarriere, einen Schlüsselmoment zur Zeit der Wende, den neuerlichen Zuspruch rechtsextremer Parteien im Osten – und erklärt, warum er im Westen "keine Chance" gehabt hätte.

t-online.de: Herr Maske, wie erinnern Sie sich persönlich an den 9. November 1989?

Henry Maske (55): An diesen Tag erinnere ich mich auch nach 30 Jahren noch ganz genau: Manfred Wolke (Maskes damaliger Trainer, d. Red.) und ich waren gemeinsam bei einem Forum in Potsdam, hatten gerade die Weltmeisterschaft hinter uns – ich war ja der erste Weltmeister der DDR – und sprachen über unsere Erlebnisse beim Turnier. In einer Pause dann gab es plötzlich Unruhe im Küchenbereich. Die Damen dort hörten bei ihrer Arbeit Radio und bekamen sofort mit, was gerade passierte. Das konnten sie natürlich nicht für sich behalten, und so war das Thema beim Forum dann schlagartig natürlich ein ganz anderes.

Wissen Sie noch, welche Gedanken Ihnen bei dieser Nachricht durch den Kopf gegangen sind?

Mein Gedanke war: Hier passiert gerade etwas, das doch eigentlich undenkbar war. Ich bin ja bis dato zu hundert Prozent in der DDR groß geworden, war damals gerade 25 Jahre alt. Als Kind bin ich mit der Gewissheit aufgewachsen, dass, wenn die Mauer mal eingerissen werden würde, dann von der anderen Seite, weil alle zu uns kommen wollen. Sehr verblümt, oder? Naturgemäß änderte sich diese Ansicht im Laufe der "Reifejahre". Die Ereignisse der seinerzeit letzten Monate erwarteten eine wirklich klärende Reaktion, die ganz anders aussehen musste. Mit einer friedlichen Revolution, die eine grundlegende Veränderung zur Folge haben würde, damit rechnete sicher niemand.

Gab es Unsicherheit auch bei Ihnen?

Vergleichbare Entwicklungen in der Geschichte ließen auch hier viel Raum für beängstigende Spekulationen. Dass dann Günter Schabowski plötzlich jeden quasi motivierte, zur Mauer zu gehen – das sind Momente, die wir alle niemals vergessen werden. Rückblickend bin auch ich den vielen Menschen, die den Mut hatten, immer wieder auf die Straße zu gehen und für unsere menschlichen Rechte einzutreten, unendlich dankbar. Und selbstverständlich hatte auch und gerade Michail Gorbatschow einen unsagbaren Anteil an diesem Weg.

Seitdem sind drei Jahrzehnte vergangen. Wie sehen Sie die Entwicklung in Ost und West seitdem?

Eine Wertung aus meiner Brille kann nur höchst unvollständig, in manchen Punkten völlig anders, gar falsch sein. Darüber wird doch gerade wieder sehr heftig diskutiert, auch nach den Wahlen zuletzt. Jeder Bürger der ehemaligen DDR hat seine ganz persönlichen 30 Jahre erlebt. Ich selbst gehöre zu den Gewinnern dieser Einheit. Diese überzeugende Antwort wünsche ich mir für jeden.

Wie erklären Sie das?

Ich hatte das große Glück, dass ich damals in einem Alter war, den Schritt ins Profiboxen noch wagen zu können, zusammen mit Manfred Wolke. Wir waren die ersten überhaupt aus der DDR, die diesen Schritt gewagt haben, der bis dahin ja total verteufelt war.

Die Reaktionen waren negativ?

Man hat uns belächelt, man hat uns ausgelacht, man hat uns beschimpft. Wir aber nahmen uns glücklicherweise die Zeit, zu zeigen, dass es uns um eins geht: Das, was wir machen, so gut zu machen, dass wir auch Erfolg haben. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger. Und dann hat sich das über die Jahre gedreht. Die Leute hatten wieder Interesse an unserem Sport. Für mich ist der Sport ein Sport, und ich will meine Gegner schlagen, besser sein als sie. Natürlich kann dieser Sport hart sein, natürlich kann dieser Sport brutal sein, aber er lebt wie jeder andere Sport auch von Bestleistungen und dem Willen, diese zu zeigen.

Sie starteten einen Box-Boom…

Da kam zu diesem Zeitpunkt einfach alles zusammen. In den Jahren danach entwickelte sich eine unheimliche Resonanz, dann kam mit RTL auch noch ein junger Fernsehsender hinzu, der neugierig war, neue Wege gehen wollte und uns vertraute. So hatten wir die Möglichkeit, den Boxsport einem großen Publikum zu präsentieren. Hätten wir das auf Jahrmärkten gemacht, wäre es niemandem aufgefallen. Und davon hat der Boxsport auch Jahre später noch profitiert.

Der Schritt war für Sie aber auch ein Wagnis. Hatten Sie je Zweifel an diesem Projekt oder waren Sie von Anfang an überzeugt, dass es klappen würde?

Nein, auf keinen Fall. Wir waren nicht überzeugt. Wir waren aber auf einem Weg. Wir hatten aber bemerkt, dass der Boxsport lange Zeit nicht von der Qualität geprägt war, die wir aus dem Amateurbereich kannten. Normalerweise ist die Rollenverteilung ja: Amateur und Profi – also Laie und Fachmann. Im Sport verhält es sich aber anders. Bei dem einen spielt Geld ebenfalls eine Rolle, der andere agiert aus purer Leidenschaft. Zwar wurden in den letzten DDR-Jahren auch bescheidene Preisgelder bezahlt, dass man bei den Profis mehr Geld verdienen konnte, das war neu für uns. Fakt ist aber, dass der größte Teil Deutschlands mit Boxen noch überhaupt nichts anfangen konnte. Der später sehr erfolgreiche Sven Ottke sagte mal als Reaktion auf meinen Schritt: Lieber ein gut bezahlter Amateur als ein schlecht bezahlter Profi.

Aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar.

Das war damals aber absolut berechtigt. Trotzdem haben Manfred Wolke und ich uns nicht unwohl gefühlt – und wir hatten das Glück, dass wir mit Wilfried Sauerland einen erfahrenen Promoter für uns gewinnen konnten, der den Mut hatte, uns zu beschäftigen. RTL war dann eine riesige Plattform. Es kam alles zur richtigen Zeit zusammen.

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Wladimir Klitschko sagte mir im letzten Jahr, dass Boxen für ihn in der Sowjetunion auch ein Weg war, etwas von der Welt zu sehen. War das bei Ihnen genauso?

Ich werde nie vergessen, wie ich als 17-Jähriger nach Irland und Nordirland durfte. Davon habe ich jahrelang erzählt. Als ich die ersten 20 Irischen Pfund in der Hand hielt, dachte ich nur "Wow!" Diese Erfahrungen waren irre. Aber man darf auch nicht vergessen: Wir sind ja ausschließlich zum Sport im Ausland gewesen. Und trotzdem muss ich gestehen: Die Zeit in den 80ern, die wir erlebten, die war im Vergleich zu unseren Vorgängern schon viel entspannter.

Was meinen Sie genau?

In den Siebzigern, so berichteten die älteren Kollegen, wurde das viel rigoroser gehandhabt und filtriert, wer mit wem wohin durfte. Wir konnten einfach rausgehen, wenn wir Zeit hatten, und fühlten uns frei. Natürlich wusste man nie genau: Wer war Sportler – und wer war auch noch IM? Unter uns gab's ja auch den einen oder anderen, der dann vielleicht auch mitging.

Sie sagten kürzlich: "Unvergessen bleibt für mich, wie schwer die Leute es hatten, im neuen Land anzukommen." Und Sie selbst?

Ich konnte es mir recht einfach machen. Im Zweifel bin ich in meiner Welt geblieben. Das hieß: Von der Wohnung in die Trainingshalle und zurück, und dann des Öfteren zu Sportveranstaltungen in die alten Bundesländer. Insofern war der direkte Kontakt überschaubar. Vom einen oder anderen Freund gab es keine Resonanz, damit war ja dann aber auch alles gesagt. Aber ich war glücklicherweise jung genug und hatte das Bewusstsein: Natürlich hat jetzt jeder eine neue Situation, natürlich haben wir uns alle irre gefreut, dass das, was passiert ist, passiert ist. Aber im Zuge der Zeit kommen Dinge auf uns zu, die wir bisher nur aus dem Fernsehen kannten.

Zum Beispiel?

Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit. Als ich Mitte der Achtziger in Finnland war, in einem Land, von dem ich immer dachte, es wäre ein wundervolles Land – da schaute ich abends aus dem Hotel auf einen U-Bahn-Schacht. Da lag ein Obdachloser. Und daneben waren schöne Schaufenster. Ganz so rund schien es also auch in dieser Welt nicht zu laufen, bestätigte mir dieser Anblick seinerzeit. Und diese nicht ganz runde Welt kam auf einmal zu uns. Nicht jeder hatte sofort die Energie und das Bewusstsein, damit umzugehen und für sich zu erkennen, es besser zu machen und die eigenen Möglichkeiten zu nutzen.

Wie erging es Ihnen persönlich?

Die Presse hier schrieb dann Dinge im Sinne von: Der Maske würde auch am Nordpol boxen, solange er dafür Kohle kriegt – das habe ich dann nicht persönlich genommen, sondern stattdessen geantwortet: Freunde, wir werden die Chance nutzen und das, was wir tun, erfolgreich tun. Und wir hatten den Mut dazu. Einige andere hatten diesen Mut eben möglicherweise nicht – auch, weil sich ihnen vielleicht keine Chancen geboten haben oder sie diese nicht gesehen haben. Die letzten Wahlen haben ja zum Ausdruck gebracht, dass wir sehr unterschiedliche Ansätze und Beurteilungen zu den letzten 30 Jahren haben.

... die durchaus auch ins Extreme abdriften können...

Ich hatte ja Dietmar Woidke in Brandenburg persönlich unterstützt. Natürlich gab es da Reaktionen: "Ja, aber..." – und darauf sagte ich: Ich kann nicht ansatzweise beurteilen, wie hier die letzten 30 Jahre abgelaufen sind, weil ich einen Großteil davon aus dieser Welt raus war. Aber eins ist ja klar: Die AfD, die in Brandenburg 27 Prozent der Stimmen geholt hat – ist das wirklich die Welt, die wir uns wünschen? Dass ein Teil dieser Partei Dinge sagt und tut, die für den überwältigenden Teil der Bevölkerung bedrohlich wirken? Wenn sich ein Herr Gauland hinstellt und sagt: "Wir werden sie jagen" – dann hat das doch wenig human Vertretbares, oder?

Wie erklären Sie sich den starken Zulauf der Partei besonders in den neuen Bundesländern?

Es ist mir zu leicht, alle als Protestwähler abzutun. Ich als ehemaliger Leistungssportler bin mit etwas groß geworden, das nicht immer witzig war: Kritik. Auf ganz direkte Art und Weise. Die hat mir nicht immer gepasst. Wer mag schon Kritik? Aber wenn ich verschiedene Dinge, die kritisiert wurden, nicht abgestellt hätte, wäre meine Karriere möglicherweise ganz anders verlaufen. Wenn ich aber nicht dazu bereit bin, hinzuhören, nachzufragen und dann auch für sich selbst zu überlegen, was da dran ist.

Der Blick in den Spiegel fehlt?

Als Kind lernt man doch: Wenn ich kritisiere, muss ich erst mal vor der eigenen Haustür kehren. Und das muss ich dann auch leben. Freunde von mir sagen, dass Rot-Grün in Brandenburg nicht annähernd so viel Eindruck wie sonst hinterlassen hat, weil sie in vielen Bereichen Fragen offen gelassen haben. Kurz vor und nach den Wahlen fällt dann allen Parteien auf, dass sie mit den Menschen reden müssen – reden ist etwas Wunderbares, aber es muss gehandelt werden. Und zwar so, dass nicht nur der von mir sehr geschätzte Dietmar Woidke gut dasteht, sondern auch so, dass jeder Einzelne der vielen Mitarbeiter, die überall benötigt werden und auf die man sich verlässt, das geschenkte Vertrauen jeden Tag aufs Neue begründen.

Statistiken der Brandenburg-Wahl deuteten ja auf einen hohen Prozentsatz Protestwähler hin...

Protest hat doch nur eine Wirkung, wenn die Auswirkungen in einem demokratischen Rahmen bleiben. Wenn aber Protest dazu führt, dass man irgendwann sagt – und das ist ein hässlicher Satz – "Das habe ich so nicht gewollt", dafür hatten wir genug Beispiele in unserer Geschichte, was dann passiert. Verantwortung darf doch nicht nur von anderen verlangt werden, man muss sie auch selbst leben. Und da sehe ich immer wieder Defizite.

Ihr legendärer erster Kampf gegen Graciano Rocchigiani 1995 wurde im Vorfeld auch zum Duell Ost gegen West stilisiert. Wie erinnern Sie sich an die Wirkung damals?

Ja, es war ein spektakulärer Kampf, ja, es war emotional. Aber das Schöne war: Danach, als es zum Urteil kam, mit dem ja viele nicht einverstanden waren, hat mich nicht die ganze Halle in Dortmund ausgepfiffen. Ein nennenswerter Teil war auch zufrieden mit dem Ergebnis. Und das waren nicht nur Fans aus dem Osten. Wenn Sie mich also heute fragen, was ich Gutes daraus mitgenommen habe: Ich habe gezeigt, dass ich kämpfen kann – denn ich war mausetot, ich hatte komplett überpaced, hatte eine falsche Taktik, aber Graziano hatte nicht die Energie, mich auszuknocken, denn auch er war kaputt. Wichtiger aber noch: Der Kampf zeigte mir, dass ich in dieser Welt angekommen war, dass sich also auch 60 Millionen Deutsche aus den alten Bundesländern entschieden hatten, entweder Graciano oder mich oder einfach beide anzufeuern. Denn danach sprach kaum jemand noch über "Ost gegen West". Ich wurde angenommen. Das hat mir sehr viel gegeben.

Sie haben oft über die harte Ausbildung in der DDR gesprochen. Hätte Ihre Karriere im Westen denselben Verlauf genommen?

Ich glaube: Ich hätte im Westen keine Chance gehabt.

Das müssen Sie erklären.

Ich bin kein Naturtalent. Ich musste mich immer intensiv mit den Dingen auseinandersetzen, die ich erreichen wollte. Und so habe ich es, weil ich schon ganz früh angefangen und mir Kritik zu Herzen genommen habe, zum Stilisten und zum qualitativ hochwertigen Boxer gebracht. Als ich damals auf die Sportschule kam, konnten viele der sogenannten Fachleute nichts mit mir anfangen. Aber wenn man das Boxen runterbrach auf die Formel: Boxen ist, wenn zwei Athleten versuchen, sich gegenseitig zu treffen, und wem es häufiger gelingt, der gewinnt – dann hatte meistens der Maske häufiger getroffen.


Sie mussten sich durchsetzen?

Ich musste meine Qualitäten entwickeln, und das hatte mit Arbeit zu tun, mir ist nichts in den Schoß gefallen. Um aber noch mal auf Ihre Frage zurückzukommen: Diese Intensität hätte ich in den alten Bundesländern so nie erfahren können, denn ein vergleichbares System, dass man Leistungssport in höchster Form betreiben kann ohne in die eigene Bildung zu vernachlässigen, das gibt es ja bis heute kaum – und das vermisse ich.

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