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FC Schalke 04: Warum Pfarrer Barth die Tedesco-Entlassung "in der Seele wehtat"


S04-Pfarrer Ernst-Martin Barth
"Ich bete für Schalke und die Menschen hier"

InterviewVon Philip Seiler

Aktualisiert am 05.05.2019Lesedauer: 6 Min.
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Schalke-Pfarrer Ernst-Martin Barth im Stadion: Bei jedem Heimspiel sitzt er auf der Tribüne.Vergrößern des Bildes
Schalke-Pfarrer Ernst-Martin Barth im Stadion: Bei jedem Heimspiel sitzt er auf der Tribüne. (Quelle: Karsten Rabas/FC Schalke 04)

Die Saison ist für den FC Schalke 04 eine zum Vergessen. Auch der Pfarrer der Arena-Kapelle leidet mit. Im Interview mit t-online.de verrät Ernst-Martin Barth, wie er die Schalke-Fans aufbaut und warum ihm die Tedesco-Entlassung "in der Seele wehtat".

Seit dem Kindesalter ist Ernst-Martin Barth Schalker durch und durch. Heute begleitet der evangelische Pfarrer die Arbeit in der Kapelle der Schalker Arena, leitet Gottesdienste und ist zugleich Seelsorger für die Menschen in der Region. Und er fiebert bei jedem Heimspiel auf der Tribüne mit.

Vor dem Duell gegen den FC Augsburg (13.30 Uhr im Liveticker bei t-online.de) spricht der Schalke-Pfarrer über die Arbeit in der Kapelle, die miserable Saison, Ex-Trainer Domenico Tedesco und er verrät sein ungewöhnlichstes Erlebnis auf Schalke.

Herr Barth, wie groß war der Stein, der Ihnen am vergangenen Samstag nach dem Sieg im Revierderby gegen Borussia Dortmund vom Herzen gefallen ist?

Ernst-Martin Barth (59): (lacht) Das war ein ganzer Steinbruch. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass wir das Revierderby für uns entscheiden und in diesem Duell eine so gute Rolle spielen.

Die Saison verlief für Schalke ansonsten katastrophal. Wie viele Nerven hat Sie die Saison bislang gekostet?

Es war insgesamt eine völlig trostlose Saison. Der Derbysieg hat uns kurzzeitig wieder Freude bereitet. Aber wir müssen jetzt weiter auf unsere sportliche Gesamtsituation schauen. Denn Schalke ist noch nicht gerettet. Und auch beim Klassenerhalt wartet viel Arbeit.

Haben Sie in dieser Saison bereits für den Klassenerhalt gebetet?

Unsere Aufgabe besteht nicht darin, für Siege zu beten. Ich bete aber sehr wohl für den Verein und die Menschen. Ich bin für die Belange der Menschen da. Aber natürlich werde ich im Stadion immer aufgezogen: „Na, hast du heute schon gebetet?“ Letztens sagte ein Fan scherzhaft zu mir: „Da müssen wir aber noch ein bisschen üben, damit das endlich mal besser klappt.“

Beten Sie stattdessen für einzelne Spieler?

Ich bete, dass sich die Spieler nicht verletzen, wie zum Beispiel Suat Serdar nach den groben Fouls der Dortmunder am vergangenen Wochenende.

Auch für Trainer wie beispielsweise Domenico Tedesco, der nach der erfolgreichen Vorsaison kürzlich entlassen wurde?

Ich habe ihn sehr zu schätzen gelernt in seiner menschlichen Art und Weise. Wir hatten hin und wieder ein flüchtiges Gespräch vor einem Spiel, weil die Kapelle in der Arena auf dem Weg zu den Spielerkabinen liegt. Ich habe ihn als enorm fleißig und als einen sehr guten Trainer erlebt. Und seine Entlassung hat mir wie vielen anderen Menschen in der Seele wehgetan. Ich drücke ihm die Daumen, dass sein Weg erfolgreich weitergeht.

Sie sind seit 2014 evangelischer Pfarrer in der Kapelle der Schalker Arena, die es bereits seit 2001 als erste ihrer Art in Deutschland gibt. Wie sieht Ihre Arbeit dort aus?

Bei der Kapelle handelt es sich um einen ökumenischen Sakralraum. Ich taufe jährlich etwa 60 Kinder in einzelnen Gottesdiensten, die sogar aus den benachbarten Ländern wie Österreich oder der Schweiz kommen. Ich traue Paare oder feiere silberne und goldene Hochzeiten sowie besondere Festtage, bei denen die Menschen sich eine geistliche Begleitung wünschen. Zudem führe ich tägliche Gruppen durch die Arena, die mit einer künstlerischen Erläuterung der Kapelle enden. Aber ein sehr großer Teil ist inzwischen auch die seelsorgliche Arbeit.

Wie sieht diese Arbeit im Einzelnen aus?

Es hat sich in den letzten Jahren sehr stark entwickelt, dass Menschen mich in verschiedenen, meistens kritischen Lebenssituationen um Gespräche bitten. Vor jedem Heimspiel bin ich zum Beispiel für die Herzenswünsche von Schalke mit zuständig, begleite Mitarbeiter des Vereins, die diese Menschen mit schweren Schicksalen, Schwersterkrankungen und möglicherweise kurzer Lebensdauer zu ihrem letzten Schalke-Spiel führen. Da sind wir auch in der Kapelle und kommen dann über die Situation des jeweiligen Menschen ins Gespräch.

Wie oft kommt es vor, dass Fans vor einem Spiel in die Kapelle möchten, um für Schalke zu beten?

Die Kapelle ist aufgrund ihrer Lage im 2. Untergeschoss nicht für jeden zugänglich. Dafür muss man sich mit mir verabreden. Es ist keine Stadionkapelle wie in Barcelona, wo Fans ihre Devotionalien ausrollen können, um für Siege zu beten oder Lichter zu entzünden. Es ist ein Gebetsraum und ein Raum der Meditation, der Ruhe und der Stille. Durch die Konzeption als Verlängerung zur Mittellinie auf dem Spielfeld ergibt sich eine Sichtachse: Fußball und Glauben gehören zusammen und spielen Doppelpass.

Suchen in der aktuell schwierigen Zeit besonders viele Fans bei Ihnen Beistand?

Insgesamt eher selten. Aber ich bin hier ganz nah bei den Menschen in meiner Gemeinde. Da sind sehr viele Schalke-Fans und ich bin oft im und am Stadion. Da werde ich auf die sportlich schwierige Situation angesprochen und die Leute suchen das Gespräch. Meine Aufgabe sehe ich dann darin, dass ich den Menschen einfach zuhöre und sie ermutige: „Das wird wieder besser. Aber wir können es jetzt nicht ändern und müssen diese Situation jetzt einfach mal aushalten.“

Wie sehr kann die sportliche Krise eines Fußballvereins diese Menschen in ihrem täglichen Leben beeinträchtigen?

Der ganze Verein ist im Moment erschöpft. Und im ganzen Verein herrschte über Wochen und Monate eine schwermütige, depressive Stimmung – von den Mitarbeitern bis zu den Fans. Ich merke das auch an mir selbst. Wir brauchen jetzt dringend die Pause nach dem Saisonfinale am 18. Mai.

Haben auch schon Spieler oder Trainer bei Ihnen Beistand gesucht?

Das kommt durchaus vor. Früher waren es vor allem die brasilianischen Spieler, die eine ganz besondere Frömmigkeit haben. Aber auch in dieser Saison gab es ein, zwei Spieler des Kaders, die mit mir in Kontakt standen. Sowohl wegen der sportlichen Situation als auch wegen persönlicher Probleme.

Kommen wir noch mal zur sportlichen Situation: Im Vorjahr wurde Schalke noch Vizemeister, in diesem Jahr steht man im Tabellenkeller. Es war nicht der erste Absturz dieser Art. Warum gehört diese emotionale Achterbahnfahrt irgendwie zu Schalke?

Vielleicht sind der Verein und die Fans manchmal zu emotional. Die Vizemeisterschaft im vergangenen Jahr wurde natürlich ausgiebig gefeiert. Und das soll bei einem Kumpel- und Malocherklub wie Schalke auch so sein. Aber im Nachhinein hätte man die Saison etwas sachlicher angehen müssen. Das ist bei Schalke jedoch nicht immer leicht.

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Gerade diese Emotionen zeichnen Schalke doch aus …

Das hat mit den Menschen zu tun. Schalke ist die fußballerische Verlängerung des Bergbaus. Das ist der Mythos. Das ist die Heimat. Dort, wo man sich nicht lange erklären muss. Dort, wo man sich verstanden fühlt. Da sind die Menschen des Potts, die für Schalke alles opfern und alles in Kauf nehmen. 41 Prozent der Menschen sind hier in der Grundsicherung, wir haben die höchste Arbeitslosenzahl der Bundesrepublik. Und daraus folgt das Bekenntnis zum Verein: „Wir lieben dich, aber leiden dich auch.“

Sie besitzen selbst seit Jahren eine Dauerkarte des FC Schalke 04 und fiebern bei den Heimspielen mit. Eher still und leise? Oder springen Sie auch mal auf und werden laut?

(lacht) Es wird auch mal laut. Zum Beispiel zuletzt in der 99. Spielminute gegen Eintracht Frankfurt, als der Elfmeter gegen Schalke verhängt wurde (Endstand: 1:2, Anm. d. Red.). Da wurde ich sehr, sehr laut.

Kommt Ihnen da hin und wieder auch mal ein böses Wort über die Lippen?

Das passiert schon mal, aber es geht nie unter die Gürtellinie.


Was war das ungewöhnlichste Erlebnis bei Ihrer langjährigen Arbeit auf Schalke?

(lacht) Es gibt so viele besondere und persönliche Momente. Aber ich erinnere ich mich immer sehr gerne an eine Silberhochzeit. Die Braut war eine Dortmunderin. Ihr Ehemann war Königsblauer. Der Braut wurden dann zuhause die Augen verbunden. Und als sie vor der Schalke-Kapelle stand und ihr vor den wartenden Freunden die Augenbinde abgenommen wurde, hat sie vor Freude geweint. Und wenn eine Dortmunderin auf Schalke vor Freude weint, ist es doch das Größte, das es gibt.

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