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Babak Rafati: Schiedsrichterwesen birgt "sozialen Sprengstoff"


Ex-Schiri Rafati im Interview
Schiedsrichterwesen birgt "sozialen Sprengstoff"

Von t-online
Aktualisiert am 15.09.2015Lesedauer: 5 Min.
Ex-Schiedsrichter Babak Rafati übt Kritik am Schiedsrichterwesen.Vergrößern des BildesEx-Schiedsrichter Babak Rafati übt Kritik am Schiedsrichterwesen. (Quelle: dpa-bilder)
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Es war die erste große Fehlentscheidung der Saison. Knut Kirchers Elfmeterpfiff in der 90. Minute, der dem FC Bayern am vierten Bundesliga-Spieltag doch noch zum 2:1-Erfolg gegen den FC Augsburg verholfen hat. Seitdem wird wieder über die Schiedsrichter und die Einführung technischer Hilfsmittel diskutiert. Babak Rafati spricht im Interview mit t-online.de über den Videobeweis, den Druck der Schiedsrichter und längst fällige Reformen.

Der ehemalige FIFA-Schiedsrichter, der im November 2011 unmittelbar vor einem Bundesligaspiel einen Suizidversuch begangen hat, arbeitet heute als Referent für Stress- und Konfliktmanagement in der freien Wirtschaft und auf Führungskongressen. Dem Fußball ist der 45-Jährige weiterhin verbunden. Als mittlerweile Außenstehender kann er sich eine eigene, freie Meinung über das Schiedsrichterwesen erlauben.

Das Interview führte Thomas Tamberg

Eine Fehlentscheidung hat den Bayern einen Last-Minute-Sieg beschert. Als ehemaliger Schiedsrichter können Sie es ja jetzt sagen: Gibt es den Bayern-Dusel, haben die Referees mehr Respekt vor dem Rekordmeister?
Babak Rafati: Ich habe die Szene gesehen und natürlich war es eine Fehlentscheidung. Ob die Schiedsrichter vor dem FC Bayern wirklich mehr Respekt haben, ist schwierig zu sagen. Fakt ist aber: Strittige Szenen in Spielen des FC Bayern haben medial eine ganz andere Auswirkung.

Immer wieder wird darüber diskutiert, ob der Videobeweis eingeführt werden soll. Wie stehen Sie dazu?
Das ist eine sehr interessante Frage, weil ich sie als aktiver Schiedsrichter anders beantwortet hätte als heute. Damals war ich gegen den Videobeweis. Ähnlich dürften es die meisten aktiven Schiedsrichter jetzt auch noch sehen. Ich beurteile es mittlerweile jedoch anders. Da ich nicht mehr diesen Tunnelblick habe - frei nach dem Motto: 'Lasst bloß keinen ran an unsere Sekte'. Es kann nicht schaden, wenn wir den Videobeweis testen. Man kann es nach ein paar Monaten wieder einstellen, wenn es nichts bringt.

Was versprechen Sie sich von der Einführung des Videobeweises?
Es geht mittlerweile um so viele Millionen Euro, warum sollten wir nicht den Oberschiedsrichter einführen, der eine Entscheidung von oben ganz ohne Emotionen treffen kann? Mittlerweile gibt es so viele enge Situationen, die man mit dem menschlichen Auge gar nicht mehr wahrnehmen kann. Das würde auch nicht die Autorität des Schiedsrichters untergraben, sondern ihn vielmehr unterstützen, da es den Hass-Faktor auf den Schiedsrichter deutlich verringert. Außerdem: Je mehr Klarheit bei den Entscheidungen, desto besser ist es für alle Beteiligten.

Wie meinen Sie das?
Ich bin kürzlich von einem Bundesligaverein gefragt worden, ob ich mir es vorstellen könnte, als Schiedsrichterberater mitzuwirken, um einen Schiedsrichter dahin zu bringen, dass er eine Fehlentscheidung wieder gut macht, indem er auf der anderen Seite ebenfalls eine Fehlentscheidung trifft. Da habe ich gesagt, das ist aber eine ziemlich weit hergeholte Überlegung. Aber da sieht man mal, in welche Richtung die Vereine denken können.

Muss Schiedsrichter Kircher nach seiner Fehlentscheidung aus dem München-Spiel DFB-intern mit Konsequenzen rechnen?
Bei einigen anderen Schiedsrichtern könnte es so sein. Aber ich glaube nicht, dass es bei Kircher Konsequenzen geben wird. Ich kenne die internen Strukturen. Kircher kann gut mit Herbert Fandel (Vorsitzender der DFB-Schiedsrichter-Kommission, Anm. d. Red.) und wird jetzt von diesem Verhältnis profitieren. Ich habe aber am eigenen Leib erfahren, dass Sanktionen mir gegenüber über Medien veröffentlicht und nicht als Betroffenen direkt mitgeteilt wurden. Das ist kein gesunder Weg und ich weiß von einigen aktuellen Schiedsrichtern, dass die Thematik "Zusammenarbeit hinter den Kulissen mit den Medien" sozialen Sprengstoff birgt.

Kircher hat nach der Partie den Fehler zugegeben, aber deutlich gemacht, dass der Hauptschuldige sein Assistent Robert Kempter war. Auch nicht die feine englische Art, oder?
Wenn der Assistent draußen etwas anzeigt, wirst du ihm als Hauptschiedsrichter in den meisten Fällen vertrauen und seine Entscheidung übernehmen. Vor allem wenn der Assistent so klar und dominant ein Signal gibt. Das kann ich schon nachvollziehen. Klar ist aber auch, dass der Hauptschiedsrichter immer mit in der Verantwortung steht und öffentlich sagen sollte, dass 'wir' einen Fehler gemacht haben.

Wie läuft beim DFB die Fehleranalyse zu dieser Szene ab?
Die Schiedsrichter-Kommission wird sich die kritischen Szenen vom Wochenende anschauen. Dann wird das über ein Internetportal den Schiedsrichtern kommuniziert. Intern wird alles offengelegt und angesprochen. Aber es wäre genauso wichtig, auch öffentlich eine richtige Fehlerkultur zu etablieren.

Das bedeutet konkret?
Wir brauchen keine ehemaligen Schiedsrichter als TV-Experten, die sich hinstellen und Fehlentscheidungen ihrer ehemaligen Kollegen hinterher verteidigen. Wir brauchen eine Unabhängigkeit, damit das Verhältnis zwischen Fans, Verein, Medien und Schiedsrichter lockerer wird und man offen über Fehler sprechen kann. Aber solange man versucht, Schiedsrichter als Halbgötter in Schwarz darzustellen, ist das nicht möglich.

Als Schiedsrichter-Chefs bei DFB und DFL fungieren in Deutschland Herbert Fandel und Hellmut Krug. Trauen Sie den beiden Organisationen unter diesem Duo tiefgreifende Reformen zu?
Die Kompetenz und die Fähigkeit haben DFB und DFL absolut. Aber ich habe über drei Jahre lang Interviews dazu gegeben. Der DFB hat sich nie dazu geäußert, deswegen lasse ich meine persönliche Meinung an dieser Stelle außen vor. Aber ich möchte einige aktuelle Schiedsrichter zitieren. Sie sagten mir, dass zwei Personen im Schiedsrichterwesen ganz viele Semester Sozialkompetenz studieren müssten, damit sich etwas verbessert. Es wurde mir wortwörtlich gesagt, dass diese zwei bestimmten Personen unfähig sind, ihre Ämter auszuführen. Ich denke, diese Aussagen sprechen Bände.

Gestatten Sie eine abschließende Frage zu Ihrem Suizidversuch 2011, als sie sich dem Druck der Schiedsrichterei nicht mehr gewachsen fühlten. Wie ist der DFB damit umgegangen?
Ich habe vom DFB nie ein Wort gehört. Nichts, gar nichts. Damals hatte ich Schwierigkeiten das einzuordnen. Interne Abteilungen wissen ja, was passiert ist, und welchen Anteil sie daran haben. Aber mittlerweile ist es für mich nachvollziehbar, warum sich der DFB nie gemeldet hat. Es käme wohl einem Schuldeingeständnis gleich. Ich möchte mich auch gar nicht mehr mit dem DFB beschäftigen, daher gilt radikale Akzeptanz. Es würde mir unnötig Energie abverlangen. Mir geht es um die Sache. Dass wir im Schiedsrichterbereich oder Profifußball generell sowie für den Berufsalltag in der Burnout-Prävention etwas machen.

Ein Thema, das über den Fußball hinausgeht.
Wir sprechen nicht nur über Probleme im Spitzensport, vielmehr von einem Gesellschaftsphänomen. Ich bin bereit, öffentlich die volle Verantwortung für das, was ich getan habe, zu übernehmen, um die Sache voranzubringen. Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten, der Kampf gegen Leistungsdruck, Mobbing und Burnout wird jedoch nie zu Ende gehen. Wir müssen uns entschieden dagegen einsetzen. Ich bin guter Hoffnung, dass dahingehend noch etwas passiert.

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