t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon

Menü Icont-online - Nachrichten für Deutschland
Such Icon
HomeSportFußball

Türkgücü München: Zu Besuch beim türkischen Verein, der nicht türkisch sein will


Der türkische Fußballverein, der nicht nur türkisch sein will

  • Dominik Sliskovic
Von Dominik Sliskovic

Aktualisiert am 23.02.2020Lesedauer: 7 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Die "Fanatiks" wollen bei Türkgücü eine tolerante Kurve formen – und treffen auf Widerstand.Vergrößern des Bildes
Die "Fanatiks" wollen bei Türkgücü eine tolerante Kurve formen – und treffen auf Widerstand. (Quelle: Philippe Ruiz)

Türkgücü will als der erste von Migranten gegründete Verein in den deutschen Profifußball – und sich dort als Münchens Nummer drei etablieren. Doch der Klub kämpft mit internen Problemen.

Mit wem man auch am Rande des Regionalliga-Heimspiels von Türkgücü München gegen den VfR Garching spricht – früher oder später geht es um Hasan Kivran. Seine Leidenschaft. Seine Vision. Immer wieder Kivran. Auch Teamkapitän Yasin Yilmaz kann nicht anders, und lobt den Investor: "Es ist Präsident Kivran zu verdanken, dass Türkgücü perspektivisch arbeitet. Unser erstes Gespräch ging gute drei Stunden, in denen er mich mit seinem klaren Plan für die Zukunft des Vereins umgehauen hat." Kivran sei "mit einer solchen Leidenschaft involviert", dass er dem 30-jährigen Yilmaz, der nach einer gescheiterten Zweitliga-Karriere in der Türkei nach Bayern zurückkehrte, wieder "den Glauben an meinen Traum Profifußball zurückgab".

Denn Türkgücü will sich neben dem FC Bayern und 1860 als die dritte Fußballkraft Münchens etablieren. Der Aufstieg in die Dritte Liga, der durch den komfortablen Vorsprung an der Tabellenspitze der bayerischen Regionalliga nur noch Formsache zu sein scheint, wird nur als Zwischenschritt gesehen. Das ausgerufene Ziel ist: Türkgücü München in der zweiten Bundesliga zu etablieren.

Dabei setzen sie ganz besonders auf die Hilfe Kivrans: Der Deutsch-Türke, der sein Geld im Leasinggeschäft gemacht hat, hat dem Verein bereits große Sponsoren, wie etwa den US-Versicherer Aon, zur Seite gestellt. Dass Aon, immerhin Premiumpartner von Manchester United, auf der Brust eines Viertligisten wirbt, imponiert nicht nur der sportlichen Konkurrenz. Auch Spieler wissen um die ambitionierten Ziele und die potente Solvenz Türkgücüs.

Immer mehr bayerische Talente zieht es zu Türkgücü

Viele Kicker im Kader spielten bereits höherklassig, andere wurden direkt von renommierten Nachwuchsleistungszentren zu TG gelotst. Die Aufgabe, diese Spieler zum Klub zu locken, hat das zweite elementare Teil im Puzzle Türkgücü übernommen: Robert Hettich. Der langjährige Teammanager und Pressesprecher von 1860 München bringt ebenso wie Kivran ein weitverzweigtes Netzwerk in den Klub. Auch aufgrund seiner guten Kontakte entscheiden sich immer mehr junge bayerische Talente für Türkgücü, statt auf den Sprung zu den Profis ihres Heimatvereins zu hoffen.

Doch Türkgücü kämpft auch mit Problemen: Der Klub ist quasi obdachlos, hat kein eigenes Vereinsgelände, kein eigenes Stadion. Auch deshalb prüft Präsident Kivran die Möglichkeit, bei einem Drittliga-Aufstieg mit Türkgücü nach Nordrhein-Westfalen umzuziehen, wie er jüngst der "Süddeutschen Zeitung" bestätigte. Für das Ruhrgebiet spräche unter anderem die große türkische Diaspora, die der Klub als potenzielle Anhängerschaft ausgemacht hat.

Dabei liegt die noch kleine, junge Fanszene Türkgücüs bereits in Heimstetten im Clinch miteinander. Hier in Heimstetten, wo aus der Metropole München die bayerische Postkartenidylle wird, wo zwei Ampeln den Dorfverkehr regeln und samstagmorgens noch beim Metzger für frische "Schmankerl" angestanden wird, trägt der aktuell wohl spannendste Fußballklub der Republik seine Heimspiele aus. Beziehungsweise trug sie aus. Denn inzwischen hat sich Türkgücü München bereits vom Sportpark Heimstetten verabschiedet. Die Restsaison trägt der 1975 von türkischen Gastarbeitern und Migranten gegründete Verein im Stadion an der Grünwalder Straße aus. Ausgerechnet in der Herzkammer des Münchner Fußballs, diesem Stück Fußballgeschichte, will Türkgücü die nächsten großen Schritte in seiner Entwicklung zur neuen bayerischen Fußballmacht machen.

Hettich: Junge Spieler sind ein elementarer Teil der Vereinsphilosophie

Dafür hat Türkgücü im Sommer 2019 nachhaltig seinen Kader umstrukturiert. 22 neue Spieler kamen, die meisten von ihnen unter 23 Jahren. Die Kicker, die heute gegen Garching auflaufen, sollen Türkgücüs Farben auch in "sieben, acht Jahren" tragen, so der Wunsch. "Auf junge Spieler zu setzen und sie weiterzuentwickeln" sei elementarer Teil der Vereinsphilosophie, meint Sportdirektor Hettich. Einer von ihnen ist 1860-Sprössling Kilian Fischer.

"Gerade bei ihm muss ich sagen, dass ich es noch immer für außergewöhnlich halte, dass Sechzig ihn ablösefrei gehen lassen hat", sagt Hettich, bevor er unterstreicht, was für ein Coup ihm da aus seiner Sicht gelungen ist: "Der Junge war Kapitän der Sechziger U19, der Spieler, den viele – nicht nur ich – als das größte Talent der Truppe ansahen. Er bringt alles mit: Er hat Schnelligkeit, ist robust und besitzt eine enorme Spielintelligenz." All dies soll der 20-jährige Defensivallrounder einbringen, um Türkgücüs Ziel von Liga zwei so schnell wie möglich zu erreichen – und sich selbst für größere Aufgaben zu empfehlen.

Was Türkgücü noch zu einem visionären Verein fehlt, ist ein eigenes Nachwuchsleistungszentrum (NLZ). Eine Talentschmiede, wie die "Junglöwen" des Lokalrivalen 1860 München, ist bei Türkgücü nicht Sicht. Doch: Ein qualitativ hochwertiger Unterbau hat bei Türkgücü offenbar auch keine Priorität. Spricht man mit Sportdirektor Hettich darüber, scheint er den Aufbau eines NLZ eher als lästige Pflichterfüllung zu sehen. "Wenn wir in die 2. Bundesliga aufsteigen wollen, brauchen wir ein NLZ. Das ist eine Vorgabe vom Verband", frühstückt er das Thema ab. Man habe momentan "viel zu viele Dinge, die dringender eine Lösung benötigen". Etwa ein angemessenes Trainingsgelände. "Aktuell trainieren wir auf einer Bezirkssportanlage, die wir uns mit anderen Vereinen teilen. Das ist für eine Mannschaft, die unter Profibedingungen arbeiten möchte, nicht hinzunehmen."

400 türkischstämmige Unterstützer bei Auswärtsspiel in Aschaffenburg

Doch noch heißt der Alltag Regionalliga Bayern. Gegen Schlusslicht Garching finden 503 zahlende Gäste den Weg raus in Münchens Speckgürtel. Hier, zwischen eisstockschießenden Rentnern und auf Kunstrasenplätzen kickenden Jugendlichen, benötigt es besonders viel Vorstellungskraft, um sich ein ausverkauftes Türkgücü-Heimspiel im 15.000 Zuschauer fassenden "Grünwalder" auszumalen. Nichtsdestotrotz denken sie bei Türkgücü groß. Beim Auswärtsspiel in Aschaffenburg standen 400 türkischstämmige Unterstützer im Gästeblock und feuerten den Münchner Klub an.

Loading...
Loading...
Loading...

Doch es gibt noch weitere Probleme im Klub. "Ich wünsche mir, dass wir in Zukunft weniger auf die Silbe 'Türk' in unserem Namen reduziert werden", fordert Hettich. Denn in ihr steckt die komplexe Krux dieses Vereins: eines türkischen Vereins, der nichts mit der politischen Türkei zu tun haben will. Hettich, aber auch Kapitän Yilmaz, träumen hingegen lieber von Tausenden Fans, die im Ruhrgebiet und anderen Ballungsräumen Deutschlands mit großer türkischer Diaspora die Gästeblöcke füllen sollen – politisch von der Türkei vereinnahmt werden wollen sie jedoch nicht. Doch es scheint nicht einfach zu sein, mit dieser Situation umzugehen.

Diese Zerrissenheit innerhalb des Vereins spiegelt sich auch auf der kleinen Tribüne des Heimstetter Sportparks wider. Zum einen wären da die "Fanatiks", die sich selbst als den ersten Fanclub Türkgücüs ansehen und dem Klub seit fast vier Jahren durch alle Ligen und Dörfer Bayerns folgen. Sie organisieren sich an einem Ende der Traverse hinter zwei Capos, schwingen Fahnen, trommeln, singen – auf Deutsch, im Geiste der italienischen Ultra-Kultur.

Zum anderen ist da der einsame Trommler, den alle im und um den Verein nur als Hakan kennen. Er und weitere Personen, deren Väter den Vorgänger Türkgücüs bereits in den Achtzigern unterstützt haben, sind eben auch bei den Spielen. Hakan trommelt in türkischer Tradition, stimmt kurze "Türkgücü"-Schlachtrufe an, animiert das Publikum – auf Türkisch. Was den "Fanatiks" gar nicht schmeckt.

Zwei ihrer Rädelsführer, Fazli G. und Baris A., beide erfolgreiche Kleinunternehmer, erklären: "Diese Fans um Hakan, die stehen nicht für den Klub und seine Werte." Hakans folkloristischer Ansatz mache den Verein lächerlich, sagt Baris, nimmt einen großen Schluck Bier und schiebt mit missfälliger Miene hinterher: "Wir sind hier doch nicht auf einer türkischen Hochzeit."

Türkgücüs Fanszene ist schon jetzt gespalten

Den "Fanatiks" ist klar: Solang Trommler Hakan mit türkischer Fahne durch die Reihen schreitet, wird Türkgücü nie zu dem strahlenden Paradebeispiel eines gelungenen Integrationsprozesses werden, als den sie und die Klubführung ihn so gerne sehen und vermarkten wollen. Statt auf Nationalismen und Klischees zu setzen, wollen Fazli und Baris mit den "Fanatiks" eine diverse, tolerante Kurve aufbauen. "Wir sind nicht Türken oder Deutsch-Türken, wir sind Fußballfans", sagt Baris, "wir sind emotional, leidenschaftlich – aber nie auf Kosten des Gegners. Wir stehen für gesunde Rivalität. Und da haben türkische Fahnen nichts auf den Rängen zu suchen."

Während Fazli und Baris im kalten Novemberwind unter einem Sonnenschirm stehen, unter dem Türkgücü-Fanartikel verkauft werden und von "Fanatiks"-Chapters in ganz Deutschland träumen, haben ebenjene Türkgücü-Sympathisanten um Trommler Hakan, die aus ihrer Sicht nicht für den Klub und dessen Werte stehen, begonnen sich zu organisieren. Ihr Name: "Ultras Türkgücü München". Zwar gibt die Gruppierung vier Grundsätze aus, unter denen sich unter anderem das Verbot politischer Äußerungen im Stadion findet. Ein Blick auf den Instagram-Account der Formation – dem übrigens bereits über 1.700 Nutzer folgen – zeigt jedoch, dass sie sich in erster Linie als Ventil für das Ausleben der türkischen Identität versteht: omnipräsente türkische Fahnen auf den Rängen, türkisch vorgetragene Schlachtgesänge und nicht zuletzt das stilisierte TR der Eigenschreibweise "ulTRas", das auf das internationale Kennzeichen der Türkei verweist. Die "Ultras Türkgücü München" sorgen jedoch für volle Gästeblöcke, etwa beim Testspiel gegen Drittligisten Bayern II, als 200 Anhänger extra aus Nürnberg anreisten.

Wofür steht dieser Verein nun also? Wird es den organisierten Fangruppierungen untereinander gemeinsam mit der Vereinsführung gelingen, an einem Strang zu ziehen? Gelingt es ihnen, Türkgücü tatsächlich zu dem Verein zu machen, der die Geschichte türkischer Migranten mit dem Lokalkolorit Münchens vereint, wie es bereits dem neu geschaffenen Klubwappen mit der türkischen Fahne und den bayerischen Rauten gelingt?

Kapitän Yilmaz rutscht auf seinem Stuhl vor und zurück, bevor er zu einer Parabel ansetzt, die alle Kritiker verstummen lassen soll: "Dem FC Bayern wirft ja auch niemand vor, dass sie Bayern im Namen tragen, aber kaum bayerische Spieler im Kader haben." So wie der Rekordmeister sei Türkgücü vor allem ein Münchner Klub. So wie bei den Bayern niemand ernsthaft fordert, mit elf Bayern aufzulaufen, entscheidet sich auch Türkgücü für die besten verfügbaren Spieler – unabhängig vom Reisepass, stellt Yilmaz noch einmal klar. "Da kann man wirklich nicht von uns als dem 'Türkenverein' sprechen."

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

t-online - Nachrichten für Deutschland


TelekomCo2 Neutrale Website