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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gegen EM-Favoriten Deutschland setzt auf neue Abwehrkette

Deutschland steht vor dem Viertelfinale unter Druck. Gegen Frankreich kommt es auf drei entscheidende Faktoren an.
Nach einer durchwachsenen Vorrunde hält das deutsche Frauen-Nationalteam an seinem Plan fest: Der EM-Titel soll her. Der Weg ist allerdings weit. Vor dem Viertelfinale gegen Turnierfavorit Frankreich am Samstag (ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online) zitierte Stürmerin Giovanna Hoffmann einen Satz der im März verstorbenen DFB-Legende Doris Fitschen: "Never train for second place." (zu Deutsch: "Trainiere niemals für Platz zwei").
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Es gehe darum, Spiele zu gewinnen, "egal wie", betonte die Stürmerin bei einer Pressekonferenz in Zürich. Zur Not müsse man "auch mal mit dem Kopf durch die Wand gehen".
Das Team von Bundestrainer Christian Wück geht dabei als Außenseiter ins Spiel. Frankreich ist nach der EM-Gruppenphase mit drei Siegen ungeschlagen – darunter ein 2:1 gegen Titelverteidiger England. Deutschland hingegen konnte nur zwei Spiele gewinnen und musste gegen Schweden sogar eine herbe 1:4-Niederlage einstecken.
Die DFB-Frauen waren zwar am Boden. Die Köpfe sind inzwischen aber aus gleich mehreren Gründen wieder aufgerichtet.
Eine Umstellung
Offensivspielerin Klara Bühl sagte am Donnerstag: "Jedem ist bewusst, dass mit Frankreich eine Top-Nation auf uns zukommt." Der Plan? "Giftig in den Zweikämpfen zu sein, denen auf die Füße zu treten, dann können wir die schon ein bisschen ärgern." Auch der Spielstil soll angepasst werden. Denn nach der Niederlage im dritten EM-Gruppenspiel wäre es "naiv zu sagen, wir machen gar nichts und spielen so weiter", erklärte Bühl.
Deutschland trat zuletzt riskant auf, stand in der Abwehrkette sehr hoch und ließ die Gegner besonders durch ungenaue Pässe wiederholt gefährlich werden. Personell muss Bundestrainer Wück aufgrund der Verletzung von Kapitänin Giulia Gwinn (Innenband) und der Rotsperre von Carlotta Wamser in der Defensive umstellen.
Obwohl der 52-Jährige in Unterzahl gegen Schweden zwischenzeitlich auf eine Dreierkette gesetzt hatte, soll diese Formation keine Rolle im Viertelfinale spielen. Wie die "Bild"-Zeitung berichtet, hält Wück an einer Viererkette fest und verhilft einer 20-Jährigen offenbar zu ihrem Debüt.
Franziska Kett vom FC Bayern absolvierte bislang erst drei Länderspiele. Dennoch soll die Zweitjüngste im deutschen Kader auf die linke Verteidigerposition rücken. Sarai Linder, die zuletzt links hinten gespielt hatte, soll die rechte Seite übernehmen. Auch das Duo in der Innenverteidigung verändert sich dem Bericht zufolge: Anstelle der zuletzt schwächelnden Rebecca Knaak rückt die langjährige Stammkraft Kathrin Hendrich zurück in die erste Elf. Neben ihr setzt Wück auf Kapitänin Janina Minge, die bis zuletzt die einzige Konstante in der deutschen Abwehrkette war.
Im Mittelfeld vertraute Bundestrainer Wück bislang auf Sjoeke Nüsken und Elisa Senß. Die beiden wissen sich gut zu ergänzen, sollen mit einer defensiv orientierten Spielerin allerdings zusätzlich Unterstützung bekommen: Sara Däbritz rückt demnach ins Zentrum. Ihr Vorteil? Sie ist mit 109 Länderspielen die Erfahrenste im deutschen Kader und profitiert von sechs Jahren Spielpraxis bei Paris Saint-Germain und Olympique Lyon.
Sollte Wück tatsächlich auf Däbritz setzen, müsste er seine Offensive umstellen. Zuletzt setzte der 52-Jährige im zentralen offensiven Mittelfeld auf Linda Dallmann oder Laura Freigang. Gegen Frankreich könnten sich beide auf der Bank wiederfinden, um den Platz für Däbritz freizumachen.
So könnte aus dem mitunter riskanten offensiv ausgerichteten Spiel ein tiefer stehendes Deutschland entstehen, das die Räume für den Gegner Frankreich verkleinert. Mit einem schnellen Umschaltspiel würde die verbleibende Offensive um Klara Bühl, Jule Brand und Lea Schüller in Szene gesetzt werden.
Bekannter Gegner, bekannter Spielort
Klara Bühl betonte auf der Pressekonferenz, dass aber auch Faktoren abseits der Taktik entscheidend seien: Es komme darauf an, dass "man die Emotionen und die Leidenschaft spürt. Wir müssen das Spiel mit Leben füllen". Dazu wolle das Team laut Giovanna Hoffmann "in den Kopf der Französinnen kommen".
Das gelang dem Team schon einige Male. In insgesamt 20 Aufeinandertreffen ging Deutschland zwölfmal als Sieger hervor. Frankreich konnte erst sechsmal gewinnen – zuletzt im Rahmen der Nations League im vergangenen Jahr (2:1). Mit Blick auf eine Europameisterschaft gehört der Vorteil jedoch dem deutschen Team. Bei der EM in England standen sich Deutschland und Frankreich 2022 im Halbfinale gegenüber, am Ende gewann Deutschland mit 2:1 nach Toren von Ex-Kapitänin Alexandra Popp und zog ins Endspiel ein.
Seither haben sich die Mannschaften und Spielstile verändert. Hoffmann glaubt daher: "Wir müssen aufs Jetzt, den Moment, unsere Stärken und auch auf die Mannschaftskonstellation schauen und gucken, dass wir dieses einzelne Spiel gewinnen." Uefa-Frauenfußballchefin Nadine Kessler, die 2013 mit Deutschland den bislang letzten EM-Triumph feierte, glaubt an die DFB-Elf: "Keiner schreibt Deutschland jemals ab, vor allem nicht die internationalen Leute. Und dann sollten es die Deutschen auch selbst nicht tun."
Die DFB-Frauen profitieren dabei in Basel auch von der Unterstützung Tausender Fans. Bühl: "Ich glaube, dass dieses Spiel vor allem auch aufgrund der beiden Mannschaften unglaublich gut besucht sein wird. Natürlich hoffen wir auf ganz viele deutsche Fans." Die Bayern-Spielerin erinnerte sich an die Stimmung im Gruppenspiel gegen Dänemark: Es könne ein ausschlaggebender Faktor sein, "wenn man merkt, dass auch viele Menschen einen unterstützen. Das hat uns da im Spiel sehr geholfen." Auch das Dänemark-Spiel fand in Basel statt. Damals wurde das DFB-Team von knapp 16.000 deutschen Fans unterstützt.
Druck als Antrieb
Im Viertelfinale lastet ein enormer Druck auf den DFB-Frauen. Das Verpassen des Halbfinales wäre eine Enttäuschung. Der Druck dürfe laut Hoffmann aber "nicht lähmen", sondern müsse "antreiben". Die Favoritenrolle liegt zudem klar bei den Franzosen.
Pl. | Spieler | Verein | Spieler, Verein | Spiele | Sp. | ØQuote | 11er | Tore |
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1 | Esther González | Spanien | Esther GonzálezSpanien | 3 | 1.33 | 0 | 4 | |
2 | Stina Blackstenius | Schweden | Stina BlacksteniusSchweden | 4 | 0.75 | 0 | 3 | |
2 | Cristiana Girelli | Italien | Cristiana GirelliItalien | 4 | 0.75 | 0 | 3 | |
2 | Alèxia Putellas | Spanien | Alèxia PutellasSpanien | 3 | 1 | 0 | 3 | |
5 | Lea Schüller | Deutschland | Lea SchüllerDeutschland | 3 | 0.66 | 0 | 2 |
Mit der angedachten Umstellung würde Deutschland auch an Erfahrung dazugewinnen, um mit dem Druck umzugehen. Denn neben Sara Däbritz (Debüt 2013) profitiert auch Kathrin Hendrich (Debüt 2014) von vielen Jahren im DFB-Trikot. Am vergangenen Mittwoch stellte sie klar: Dem Team sei bewusst, "dass jede kleinste Nachlässigkeit zu eventuellen Gegentoren führen kann." Die 33-Jährige spielt in der Schweiz ihr siebtes Turnier, kennt ähnliche Situationen aus der Vergangenheit. "Wir wissen, wie man damit umgehen kann. Wir werden alles daransetzen, unsere Leistung auf den Platz zu bringen und die Mannschaft so gut es geht zu stabilisieren", so Hendrich weiter.
Sie zog einen Vergleich zum EM-Finale 2022, das Deutschland nach Verlängerung 1:2 verloren hatte: "Wir haben alle daran geglaubt, hatten das Ziel vor den Augen und haben unser Herz auf dem Platz gelassen. Das wird in dem Spiel nicht anders sein."
Die Einstellung des deutschen Teams stimmt also. Nun kommt es darauf an, ob der Plan von Bundestrainer Wück sowie Faktoren abseits der Taktik aufgehen. Fest steht: Es gibt keine Garantie, aber Hoffnung.
- Eigene Beobachtungen und Recherche
- fussballdaten.de: Bilanz zwischen Deutschland und Frankreich