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Miroslav Klose in Altach: Wenn der Weltmeister zum Balljungen wird


Klose-Evolution in österreichischer Provinz
Wenn der Weltmeister zum Balljungen wird

  • T-Online
Von Alexander Kohne, Altach

Aktualisiert am 25.07.2022Lesedauer: 7 Min.
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Miroslav Klose: Er trainiert jetzt in Vorarlberg.Vergrößern des Bildes
Miroslav Klose: Der Weltmeister von 2014 ist seit Ende Juni 2022 Trainer des SCR Altach. (Quelle: IMAGO/GEPA pictures/ Oliver Lerch)

Als Spieler gewann Miroslav Klose alles. Mit 44 ist er nun Cheftrainer – nicht in München oder Rom, sondern im 7.000-Einwohner-Städtchen Altach. Das ist nur auf den ersten Blick seltsam.

Plötzlich wird der Weltmeister und 137-malige Nationalspieler zum Balljungen. Da niemand sonst in der Nähe ist, joggt Miroslav Klose beim Testspiel des SCR Altach gegen Winterthur die Seitenline entlang, lupft die Kugel lässig mit der Fußspitze in die rechte Hand und legt sie einige Meter weiter griffbereit auf den Rasen.

Die Aktion steht sinnbildlich für den neuen Trainer des Sportclubs Rheindorf Altach. Seit dem 20. Juni arbeitet Klose in der 7.000-Einwohner-Gemeinde im westösterreichischen Bundesland Vorarlberg. Nach Assistenzstellen bei der deutschen Nationalmannschaft und dem FC Bayern sowie zwei Jahren als Coach der Münchner U17 ist er erstmals Cheftrainer einer Profimannschaft. Mit 44 Jahren.

Klose – der als Aktiver über zwei Jahrzehnte eine prägende Figur im deutschen Fußball war – hat sich bewusst für die österreichische Provinz entschieden. In einem ruhigen, teilweise etwas verschlafenen Umfeld will er Erfahrung sammeln – auch in dem Bewusstsein, Fehler machen zu dürfen.

"Es war von Anfang an dieses Gefühl, das ich hier genau richtig bin", sagt der ehemalige Weltklassestürmer zu t-online. Besonders die Gespräche mit den Verantwortlichen haben ihn beeindruckt. Diese seien "so offen" gewesen, dass ihm schnell klar gewesen sei: "Das will ich machen!"

Verhandlungen via Videoschalte

Nicht nur der Weltmeister von 2014 war früh überzeugt, mit dem Klub aus Vorarlberg auf einer Wellenlänge zu liegen. "Auch wir haben sehr schnell das Gefühl gewonnen, dass es passt", sagt SCR-Geschäftsführer Christoph Längle. Längle, ein dynamischer Typ Anfang 50, verrät auch, dass die Verhandlungen dennoch nicht einfach waren: "Weil Miro noch im Urlaub war, haben wir uns erst drei-, viermal via Videoschalte ausgetauscht." Das sei vor etwa sechs Wochen gewesen.

Federführend war dabei der sportliche Leiter Werner Grabherr. Nachdem dieser 2019 als Trainer in Altach entlassen worden war, schaute er für Hospitationen am Nachwuchscampus der Bayern vorbei. "Dort hat er einige Trainingsformen von Miro gesehen", berichtet Längle – und Grabherr war nachhaltig beeindruckt. Als der SCR im Sommer auf Trainersuche war, erinnerte er sich daran.

Grabherr suchte nicht den direkten Kontakt zu Klose, sondern wählte den Umweg über Bayerns Nachwuchschef Jochen Sauer. Der ist für Klose eine Vertrauensperson und kennt die österreichische Liga aus seiner Zeit als Geschäftsführer in Salzburg.

"Er hat sich mit Miro in Verbindung gesetzt und dann ging es sehr schnell", verrät SCR-Boss Längle. "Miro ist gleich angesprungen und wenige Minuten später hat er mit Werner telefoniert. So ist das Ganze ins Rollen gekommen."

"Schaffe, schaffe, Hüsle baue"

Die Chemie habe einfach gepasst – auch, "weil wir für ähnliche Werte stehen." Diese seien harte Arbeit, Bescheidenheit und Bodenständigkeit. "Sein Berater hat gesagt: Miro ist der Erste, der morgens auf dem Trainingsgelände ist und der Letzte, der geht. Und das erwarten wir auch ein Stück weit. Es ist die Mentalität hier in der Region. Da gilt das Motto: 'Schaffe, schaffe, Hüsle baue", so Längle.

Wer ihm zuhört, gewinnt den Eindruck, dass es relativ einfach gewesen ist, einen Weltstar wie Klose in die österreichische Provinz zu lotsen. Allein ein Blick auf Altachs Saisonbudget von etwa neun Millionen Euro – Bayern-Neuzugang Sadio Mané soll jährlich das Doppelte verdienen – lässt dies zweifelhaft erscheinen.

Also doch etwas Verhandlungsgeschick? "Wichtig war, zu vermitteln, dass es nicht um den großen Namen Miro Klose geht", entgegnet der Altach-Boss und fügt hinzu: "Geld war sicher nicht das Motiv, zu uns zu wechseln. Finanziell verdient er hier etwa so viel wie in Deutschland ein Drittligatrainer."

Gerade darum haben sich viele Beobachter verwundert die Augen gerieben, als das deutsche Fußballidol ausgerechnet im "Ländle" aufschlug. "Wir waren total überrascht, weil ja viele andere Trainer im Gespräch waren", berichten die Altach-Anhänger Norman Mischitz und Robert Netzer. Mischitz' Sohn Samuel ist Teil der aktuellen Mannschaft, Netzers Sohn Philipp beendete nach über 300 Spielen für Altach im Sommer seine Karriere.

Vom Promi auf der Trainerbank erwarten sich die beiden Väter einen Schub: "Allein der Name Klose – das wird für das Team sehr motivierend sein." Die Spieler bestärken diese Erwartung, zumal Kloses Training sichtbar anspruchsvoll ist. "Wir lernen viel Neues, er gibt uns neuen Input. Da muss jeder mit dem Kopf voll dabei sein, denn die Einheiten sind sehr intensiv", verdeutlicht Kapitän Jan Zwischenbrugger, der fast sein halbes Leben beim SCR verbracht hat.

Altach-Kapitän: "Jeder muss voll dabei sein"

Doch nicht nur auf dem Trainingsplatz, auch am Spielfeldrand kann man Kloses Auftreten durchaus als "intensiv" bezeichnen. Im Testspiel gegen den schweizerischen Erstligaaufsteiger Winterthur gibt der Neu-Trainer klare Anweisungen, macht sich von der Seitenlinie aus deutlich bemerkbar: "Drauf, drauf, drauf" oder "Weiter, weiter" hallt es durch die Altacher Cashpoint-Arena.

Und Klose wird taktisch spezifischer: Er ruft seinen Schützlingen zu, wie bei gegnerischen Angriffen verschoben werden soll, zeigt Anspielwege auf und erklärt immer wieder, wie der Gegner im Pressing angelaufen werden soll. Deutschlands Fußballer des Jahres 2006 kommuniziert – und geht an der Seitenlinie körperlich mit.

Seine klassische Haltung: Rechter Arm vor dem Bauch, linke Hand am Kinn, der Rücken durchgebogen – je brenzliger die Situation, desto weiter nach hinten. Die dafür nötige Gelenkigkeit lässt das gymnastische Talent erahnen, welches der 44-Jährige als Spieler lange Jahre mit seinem Saltojubel zelebrierte.

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Außerdem muntert Klose seine Spieler ständig auf. Niemand im Stadion klatscht so viel wie der Trainer. Immer wieder führt er drei- bis fünfmal die Handinnenflächen in schneller Abfolge zusammen – in der ersten Hälfte der Partie allein 32-mal (!). Entsprechend seinem Credo: "Die Fans sollen nach den Spielen nach Hause gehen und gesehen haben, dass das Team alles gegeben hat." Klose möchte das Publikum "fußballerisch begeistern".

Sehr viel ist davon gegen Winterthur nicht zu sehen. Altach hat zwar deutlich mehr Ballbesitz, die besseren Chancen verbuchen jedoch die Gäste. Am Ende heißt es 1:1. "Natürlich habe ich klare Vorstellungen. Aber ich muss mich anpassen, ein bisschen von meinen Erwartungen runtergehen", sagt Klose. Zu viel Euphorie war schon als Spieler nicht seine Sache.

Euphorie im "Ländle"

Im Umfeld des Klubs sieht dies freilich anders aus. Kurz nach der Verpflichtung brach die Homepage zusammen, der Dauerkartenverkauf liegt rund ein Fünftel über dem Vorjahr. Zudem sei man bei Medienanfragen in "neue Dimensionen" vorgestoßen. Ein Beispiel: Bei Kloses Vorstellung waren über 40 Journalisten vor Ort. Sonst sind es eher drei.

"So eine Persönlichkeit war noch nie in Altach", verdeutlicht Kapitän Zwischenbrugger; Geschäftsführer Längle ergänzt: "Die Euphorie im Umfeld ist deutlich größer als sonst. Die Leute sind stolz. Für uns ist es eine Auszeichnung, dass Miro sich für Altach entschieden hat."

Was Klose peinlich ist

Klose selbst nimmt den Hype gelassen. Wenn sich Fragen auf seine Person fokussieren, stellt er in Antworten das "Wir" heraus. Als der Coach unter frenetischem Beifall bei der offiziellen Teamvorstellung mit den Worten "Eine Sensation, dass er in Altach ist" begrüßt wird, ist Klose das sichtlich peinlich. Er entgegnet Dinge wie: "Die Mannschaft steht auf dem Platz. Wir tragen nur dazu bei." Mit "Wir" meint er natürlich "Trainerteam und Staff", seinen eigenen Namen nennt er nicht.

Ist so viel Bescheidenheit noch glaubhaft? Offenbar schon. Mehrere Vereinsmitarbeiter erklären unabhängig voneinander, dass Klose wirklich als Erster um 7 Uhr am Vereinsgelände aufschlägt und dieses als Letzter – meist nach 21 Uhr – verlässt.

All das entspreche dem Eindruck, den er durch Interviews und Reportagen von Klose gehabt habe, erklärt Klubboss Längle – und ergänzt: "Das Verrückte ist: Er ist so, wie er dort rüberkommt. Chapeau, dass es noch solche Menschen gibt."

Unter Längles Ägide hat sich der SCR zu einem etablierten Erstligisten entwickelt, der in Sachen Infrastruktur in Österreich vorne dabei ist. Was genau das bedeutet, verdeutlicht der Geschäftsführer mit sichtlichem Stolz anhand einer Karte des Vereinsgeländes. Obwohl Altach nur 7.000 Einwohner hat, fasst die Arena 8.500 Plätze. Direkt am Stadionparkplatz, der an ein Maisfeld angrenzt, gibt es vier Trainingsplätze und den sogenannten "Proficampus" für die erste Mannschaft. Daneben steht ein Rohbau, in dem die Nachwuchsabteilung einziehen soll.

Altacher Ambitionen

Doch damit nicht genug: Perspektivisch sollen drei weitere Trainingsplätze – unter anderem beheizt und mit Kunstrasen – sowie ein neues Gebäude für VIP-Bewirtung und Geschäftsstelle hinzukommen. Außerdem soll die Arena auf über 10.000 Plätze ausgebaut werden.

"Wir wollen weg vom Dorfklub-Image. Unsere Vision ist, der Fußballklub für ganz Vorarlberg zu sein – weil wir in der Vergangenheit an dieser Kleinheit auch gescheitert sind", verdeutlicht Längle. Altach liegt in der Mitte des Rheintals zwischen Bregenz und Feldkirch. "Es ist relativ urban hier. In der Region leben rund 280.000 Menschen, das wäre zusammen die zweitgrößte Stadt Österreichs", umreißt der SCR-Boss.

Dennoch übt sich Längle beim Saisonziel in Zurückhaltung: "Wir erwarten nicht: Jetzt kommt Miro Klose, schnippt mit den Fingern und schon sind wir ein Top-5-Verein." Dies wäre anhand der Vorsaison auch vermessen. Dort schaffte der SCR zwar sensationell den Klassenerhalt, erzielte aber mit Abstand die wenigsten Tore.


Quotation Mark

Wir erwarten nicht: Jetzt kommt Miro Klose, schnippt mit dem Fingern und schon sind wir ein Top-5-Verein.


Altach-Geschäftsführer Christoph Längle


Doch das soll sich ändern. Während Coach Klose in Bezug auf seine Spielidee meist im Ungefähren bleibt, wird Kapitän Zwischenbrugger konkreter: "Wir probieren, auf mehr Ballbesitz zu spielen. Die Positionierung ist sehr wichtig. Wir wollen höher anlaufen, ein hohes Pressing spielen." Mit einem Kader, in dem die meisten Akteure laut dem Portal "Transfermarkt.de" einen Marktwert zwischen 200.000 und 500.000 Euro haben, erscheint diese Spielidee durchaus ambitioniert.

Kein Wunder, dass Klose sich nicht ausschließlich darauf verlässt – er setzt auch auf Disziplin. Die Spieler putzen ihre Schuhe selbst, in der Kabine wird Wert auf Ordnung gelegt. Nostalgiker fühlen sich zurückversetzt in Kloses Jugendzeit bei der SG Blaubach-Diedelkopf.

Damals spielte er in der Bezirksliga Westpfalz und startete eine kaum für möglich gehaltene Weltkarriere. Es war eine Zeit, in der es ihn ebenfalls nicht störte, den Ball anstelle der Balljungen aufzunehmen.

Verwendete Quellen
  • Beobachtungen vor Ort in Altach
  • Gespräch mit Christoph Längle
  • Gespräch mit Jan Zwischenbrugger
  • Gespräch mit Norman Mischitz und Robert Netzer
  • Gespräche mit SCR-Vereinsmitarbeitern
  • Transfermarkt.de: Spielerprofil von Miroslav Klose
  • Transfermarkt.de: Trainerprofil von Miroslav Klose
  • Transfermarkt.de: Spielerprofil von Jan Zwischenbrugger
  • Transfermarkt.de: Spielerprofil von Samuel Mischitz
  • Transfermarkt.de: Spielerprofil von Philipp Netzer
  • Sport Bild: Kloses Alltag in Altach (Printausgabe 26, 2022, S. 40-43)
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