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Phantomtor von Kießling: So lief das Skandalspiel Hoffenheim - Leverkusen


Das Phantomtor
So erlebte unser Reporter das Skandalspiel

Von t-online
Aktualisiert am 19.10.2013Lesedauer: 4 Min.
Eine Szene, die Geschichte schreiben wird: Das Phantomtor von Sinsheim.Vergrößern des BildesEine Szene, die Geschichte schreiben wird: Das Phantomtor von Sinsheim. (Quelle: Avanti/imago-images-bilder)
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Aus Sinsheim berichtet Jörg Runde

Es läuft die 70. in der Rhein-Neckar-Arena in Sinsheim. Von meinem Platz rechts hinter dem Hoffenheimer Tor - Block C, Reihe 6, Platz 38 - sehe ich, wie sich Gonzalo Castro den Ball zum Eckball hin legt. Nur wenige Meter von mir entfernt rangeln Stefan Kießling und Tobias Strobl um die beste Position für den zu erwartenden Luftkampf. Der Hoffenheimer rutscht weg, Leverkusens Torjäger kommt dadurch frei zum Kopfball. Der Ball streicht knapp, aber klar erkennbar am Tor vorbei. Kießling dreht ab, greift sich an den Kopf und ärgert sich sichtlich. Zwar zappelt das Netz, der Ball aber nicht darin. Oder doch? "Das war klar Außennetz", versuche ich einige Hoffenheimer Fans um mich herum zu beruhigen.

Auf einmal läuft TSG-Keeper Koen Casteels ins Tor, holt den Ball raus. Schiedsrichter Felix Brych zeigt zur Mitte. Stefan Reinartz läuft zu Kießling und animiert ihm zum Jubeln. Der Stürmer macht mit, auch Simon Rolfes und Castro kommen dazu. Wenn auch nur halbherzig.

Es ist nicht der Jubel eines Spitzenreiters, kein Aufschrei der Freude über den zu erwartenden Sieg. Es ist der Jubel zweifelnder Profis, die genau wissen: Da ist was faul. Komisch ist in dem Moment, dass keiner der Hoffenheimer Spieler protestiert. Weder der im Zweikampf beteiligte Strobl noch Torhüter Casteels reagieren sauer. Alle schauen sich an und wundern sich.

Zweifel beim Torschützen

Augenblicke später stehen Kießling und Brych am Mittelkreis und diskutieren. Der Bayer-Profi äußert wohl seine Zweifel am Treffer. Es ist die letzte Chance für Brych, seinen Fehler zu korrigieren. Als er das Spiel mit dem Anstoß wieder freigibt, hat die Bundesliga-Saison 2013/2014 das erste Skandalspiel inklusive Phantomtor.

Ich mache mir in diesem Moment vor allem Gedanken über meine Augen und ärgere mich, die Brille zu Hause vergessen zu haben. Egal, es ist ein schönes Spiel, das nach den Toren von Sidney Sam (26.) und Kießling (70.) 2:0 für Leverkusen steht.

An der Tor-Entscheidung zweifle ich erst wieder, als mich Minuten später Kollege Lehmann aus der Redaktion anruft und fragt, ob ich im Stadion gesehen hätte, dass der Kopfball von Kießling eindeutig vorbeigegangen sei. "Klar, ich habe es doch gewusst", sage ich laut, rehabilitiere in Gedanken meine Augen und erzähle die Geschichten meinen Sitznachbarn. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer und ist gerade auch bei den Hoffenheimer Ersatzspielern angekommen.

Ersatzspieler klären auf

Stefan Thesker und Sebastian Rudy entdecken ein winziges Loch im Netz. Sie rufen Schiedsrichter Brych heran, zeigen ihm das Loch, durch das der Ball ins Tor flutschte. Der kann das nur zur Kenntnis nehmen, annullieren kann er den Treffer nicht mehr. Da sind ihm durch die Regeln die Hände gebunden.

Firmino verballert noch einen Elfmeter (83.) und Sven Schipplock gelingt kurz vor dem Abpfiff der Anschluss (88.). Irgendwie egal. Alles dreht sich nur noch um das Phantomtor. Nicht nur in Block C wird wild diskutiert, gepfiffen und geschrien. Die Fans von 1899 fühlen sich betrogen, die Anhänger von Bayer 04 amüsieren sich und werden dafür beschimpft.

Auch Leverkusens Sportchef Rudi Völler bekommt sein Fett weg. "Ich bin hier teilweise beleidigt worden, dabei können wir doch gar nichts dafür", sagt er nach dem Spiel.

Kießling: "Habe mich gewundert"

Irgendwie fühlt sich nach dem Spiel keiner wirklich verantwortlich für das Skandalurteil. Selbst Schiri Brych nicht: "Es gab keine Zweifel an Hand der Reaktion bei den Hoffenheimern und den Leverkusenern, deshalb habe ich auf Tor entschieden. Mir hat keiner gesagt, dass es kein Tor war. Auch von der Bank gab es keine Hinweise." Davon, dass seine Assistenten das Tornetz in der Halbzeit wohl nur schlampig kontrolliert haben, sagt Brych nichts. Genau das muss aber als Hauptfehler des Schiedsrichtergespanns angesehen werden.

Auch Torschütze Kießling äußert zwar nach dem Spiel erneut seine Zweifel, will aber von einem Fehler seinerseits verständlicherweise nichts wissen: "Ich war überrascht, dass er drin war. Ich dachte, er geht vorbei und habe mich schon gewundert. Aber genau gesehen habe ich es nicht."

Mit langen Diskussionen will sich Völler indes nicht aufhalten. Ob gesehen oder nicht, er gibt dem Gastgeber einen Ratschlag mit auf den Weg. "Die Hoffenheimer haben so viel Geld für das tolle Stadion hier ausgegeben. Sie sollten Mal mehr Geld in gescheite Netze investieren."

Gisdol: "Fairness muss siegen"

Ex-Schiedsrichter Markus Merk hofft jedenfalls darauf, dass sich die Gemüter beruhigen. Netz, Torschütze, Schiedsrichter oder dessen Assistent, einen Hauptschuldigen sieht er nicht: "Man kann keinem der Beteiligten einen Vorwurf machen", sagt er bei Sky und ergänzt: "Es kann aber nur eine Entscheidung geben: Wiederholungsspiel."

So wie nach dem Phantomtor von Thomas Helmer am 23. April 1994. Damals stolperte der Verteidiger in Diensten des FC Bayern gegen Nürnberg den Ball am Tor vorbei, Linienrichter Jörg Jablonski zeigte irrtümlicherweise zur Mitte. Schiri Hans-Joachim Osmers entschied zwar auf Tor, der DFB erklärte es aber nachträglich für ungültig und ließ die Partie wiederholen.

Mit einer Neuansetzung rechnen auch die Verantwortlichen von 1899 Hoffenheim. Ein offizieller Protest gegen die Spielwertung ist bereits eingelegt. Trainer Markus Gisdol bringt es auf den Punkt. "Zum Schluss muss die Fairness siegen. Ich denke, wir werden das Spiel hier noch einmal sehen." Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes soll sich schon Anfang nächster Woche bei einer mündlichen Verhandlung mit dem Phantom-Tor beschäftigen.

Mit einem Wiederholungsspiel rechne ich auch. Und ich werde wieder hingehen und in Block C, Reihe 6, Platz 38 sitzen. Nur diesmal nehme ich meine Brille mit. Man weiß ja nie.

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