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Olympia 2022: Kamila Walijewa – eine 15-Jährige, vorgeführt vor der ganzen Welt


Doping-Skandal im Eiskunstlauf
Eine 15-Jährige wird vor der ganzen Welt vorgeführt

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MeinungEin Kommentar von Alexander Kohne, Zhanjiakou

Aktualisiert am 16.02.2022Lesedauer: 4 Min.
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Kamila Walijewa: Die 15-Jährige ist nach ihrem positiven Dopingtext in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt.Vergrößern des Bildes
Kamila Walijewa: Die 15-Jährige ist nach ihrem positiven Dopingtext in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. (Quelle: TASS/imago-images-bilder)

Teenager Kamila Walijewa kämpft trotz positivem Dopingtest in Peking um Olympiagold im Eiskunstlauf. Das sorgt weltweit für Unverständnis. Die große Verliererin ist sie selbst.

Ab 14.52 Uhr am heutigen Dienstag richteten sich die Augen der Sportwelt auf Kamila Walijewa. Die als Jahrhunderttalent geltende Russin schickte sich in Peking an, mit ihrer Kurzkür den ersten Schritt zu olympischem Gold im Eiskunstlauf zu machen. Mit gerade einmal 15 Jahren.

Als wäre dieser Umstand für einen Teenager nicht belastend genug, ist Walijewa in den vergangenen Tagen zur meistbeobachteten Sportlerin der Welt geworden. Kurz nachdem sie mit dem russischen Team Gold gewonnen hatte, wurde ein positiver Dopingtest auf ein verbotenes Herzmittel bekannt – der allerdings schon zwei Monate zurücklag.

Ob der Teenager für den Test selbst etwas kann, darf bezweifelt werden. Dennoch hat der Befund für einen Skandal gesorgt – und zwar völlig zu Recht. Das viel größere Ärgernis ist aber ein anderes: Dass eine 15-Jährige im Widerstreit von Sportsystem, Verbänden und Gerichten vor den Augen der Weltöffentlichkeit vorgeführt, und emotional regelrecht zermahlen, wird. Schluss damit! Mit dem ursprünglichen Geist der Spiele hat das nichts zu tun.

Die Kritik sollte sich nicht auf Walijewa konzentrieren. Wer glaubt, dass eine 15-Jährige aus freien Stücken dopt oder mal eben ein Herzmedikament zur Leistungssteigerung einwirft, ist naiv.

Der russische Sport in der Kritik

Walijewa steht sinnbildlich für einen russischen Sport, in dem Doping weiterhin an der Tageordnung zu sein scheint. Zur Erinnerung: Im Zuge der Winterspiele 2014 in Sotschi sorgte russisches Staatsdoping für einen der größten Skandale der Sportgeschichte. Besonders dreist: Durch ein Loch in der Wand eines Labors wurden positive Proben einfach ausgetauscht. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) kündigte ein umfassendes Durchgreifen an – und praktizierte dies letztendlich nur halbherzig. Statt eines Komplettausschlusses dürfen russische Sportlerinnen und Sportlern unter neutraler Flagge bei den Spielen starten. Ende des Jahres soll dann alles wie vorher sein.

Konsequentes Handeln sieht anders aus. Seit Jahren geht das IOC beim Umgang mit Russland auf Kuschelkurs – und das rächt sich nun offenbar. Dass sich im russischen Sport in einigen Bereichen nicht übermäßig viel getan hat, zeigt unter anderem ein Blick auf Walijewas Entourage.

Mannschaftsarzt Filipp Shvetskyi war bereits wegen Dopings gesperrt. Trainerin Eteri Tutberidse ist für ihre ebenso harten wie umstrittenen Methoden bekannt. Um ihr Moskauer Trainingszentrum ranken sich ebenfalls Dopinggerüchte. 2019 schreib eine damals 13-jährige Sportlerin bei Instagram: "Nimm viel Doping, dann wirst Du beständig Leistung bringen. So ist das." Daraufhin wurde massiver Druck auf sie ausgeübt. Mittlerweile startet sie für die Ukraine.

Tutberidse versichert derweil: "Ich möchte sagen, dass ich absolut sicher bin, dass Kamila unschuldig und sauber ist." Daran bestehen erhebliche Zweifel. Dennoch steht noch lange nicht fest, dass das Eiskunstlaufwunderkind wirklich gedopt hat. Die B-Probe steht noch aus.

Äußerst heikel ist indes, dass sie unter diesen Vorzeichen überhaupt starten darf, auch wenn das formaljuristisch richtig sein mag. Denn erst am Montag kippte der Internationale Sportgerichtshof Cas eine vorübergehende Suspendierung durch die russische Anti-Doping-Behörde. Skurril: Das Gericht entschied dabei nicht über den Kernpunkt – also das mutmaßliche Doping –, sondern lediglich über die Zulässigkeit der Suspendierung.


Als Begründung wurden unter anderem die wochenlange Verzögerung bei der Auswertung des Tests und die besondere Schutzbedürftigkeit als Teenager angeführt. Das Problem dabei: Wenn Walijewa zu jung ist, um schuldig zu sein, was ist dann mit ihren Konkurrentinnen? Sind deren olympische Träume etwa weniger wert? Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada war alles andere als erfreut über das Urteil. In ihrem Regelwerk gibt es nämlich keine derartigen Ausnahmen.

Entscheidend für die Richter war wohl auch die Frage: Was ist, wenn die Russin in einem ordnungsgemäßen Verfahren nach den Spielen freigesprochen wird? Möglicherweise hätte man sie durch Startverbot dann um den Olympiasieg gebracht.

IOC legt fest: Keine Medaillenübergabe in Peking

Sollte Topfavoritin Walijewa wirklich Gold holen, würde sie die entsprechende Medaille ganz sicher nicht in China erhalten. Das IOC sagte die Siegerehrung vorsorglich ab. Erst sollen die Gerichte entscheiden – was gerade im Sport höchstproblematisch ist. Denn: Wenn von vornherein klar ist, dass nicht Leistung allein über Gold, Silber und Bronze entscheidet, wird der Grundgedanke des sportlichen Wettstreits konterkariert. Das schadet dem olympischen Sport massiv – und die Situation wird immer mehr zur Farce.

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Statt um einen fairen Wettkampf geht es um juristische Spitzfindigkeiten, Herzmedikamente in Kinderkörpern und ein teils groteskes Gezerre zwischen Verbänden und Kontrollorganen.

Niemand nimmt Rücksicht auf die 15-Jährige

Auf der Strecke bleibt dabei eine 15-jährige Athletin, die in eine immer ausweglosere Situation gebracht wird. Auf sie nimmt niemand Rücksicht. Wo ist beispielsweise IOC-Präsident Thomas Bach, der in der Causa klar Stellung bezieht? Warum nehmen die russischen Trainerinnen und Betreuer ihre völlig überforderte Athletin nicht aus dem Wettbewerb – immerhin haben sie eine besondere Fürsorgepflicht? Und warum dürfen 15-Jährige überhaupt bei Olympia antreten, wo es doch für sie eigene Jugendspiele gibt?

Die zweimalige Olympiasiegerin Katharina Witt schrieb dazu: "Seit Jahren beschäftigt mich, warum bei den Olympischen Winterspielen 15- und 16-jährige russische Talente mit ihren faszinierenden Ausnahmeleistungen gewinnen und dann für immer die Eis-Weltbühne des Leistungssports verlassen. Oft gesundheitlich angeschlagen." Für Witts These gibt es zahlreiche Belege.

Es bleibt zu hoffen, dass Walijewa nicht die nächste in der Reihe ist.

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