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Jörg Schönenborn über Wahlen: "Da dürfen wir uns nicht täuschen lassen"


ARD-Experte Jörg Schönenborn
"Diese Botschaft bekommen wir seit über zwanzig Jahren"


31.08.2024Lesedauer: 6 Min.
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Jörg Schönenborn: Seit 25 Jahren moderiert er für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Wahlsendungen.Vergrößern des Bildes
Jörg Schönenborn: Seit 25 Jahren moderiert er für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Wahlsendungen. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

In Sachsen und Thüringen stehen Wahlen an. Auch dieses Mal ist Jörg Schönenborn für die ARD als Experte im Einsatz. Bei t-online gewährt der Journalist Einblicke.

Am Sonntag wird gewählt. Sachsen und Thüringen bitten alle Wahlberechtigten zur Urne. Am 22. September ist es dann auch in Brandenburg so weit. Die ersten Hochrechnungen werden wie gewohnt am Abend erwartet – und wie üblich präsentiert und analysiert Journalist Jörg Schönenborn in der ARD Prognosen und Ergebnisse.

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Der 59-Jährige steht seit mittlerweile 25 Jahren für Wahlsendungen vor der Kamera, am 6. Juni 1999 feierte er sein Debüt. Mit t-online hat er kurz vor den Landtagswahlen über seine Arbeit bei der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt gesprochen, darüber, wie er sich auf Wahlsendungen vorbereitet und warum er seinen Beruf als Geschenk empfindet.

t-online: Wie bereiten Sie sich auf die Landtagswahlen vor?

Jörg Schönenborn: Das beginnt schon Wochen vorher. Sobald die ersten Spuren von Wahlkampf zu sehen sind, fängt das Beobachten an. Ich gucke, ich höre, ich lese und mache mir Notizen. Ein paar Tage vorher sind wir dann in der Phase, in der wir genau formulieren müssen, was wir die Wählerinnen und Wähler fragen. Das ist besonders wichtig. Wenn man keine guten Fragen hat, die wirklich den Kern treffen, dann hat man sonntagabends keine guten Analysen.

Sind die Vorbereitungen aufwendiger als für andere Formate?

Ja. Die Vorbereitung findet über eine lange Zeit im Kopf statt. Das Besondere an der Wahlsendung ist auch, dass wir den Verlauf nicht kennen. Wir wissen weder, wie sich die Hochrechnungen entwickeln, noch wissen wir, wie die politischen Akteure darauf reagieren. Alles in der Sendung ist live, fast nichts geplant. Das kann man nur, wenn man perfekt vorbereitet ist.

Nehmen Sie sich von der Politik, also von Ihrer Arbeit, auch mal eine Auszeit?

Ich lebe und liebe Politik. Es ist nicht nur Teil meines Berufs, ich finde sie auch darüber hinaus wirklich sehr spannend. Ich habe kürzlich im Urlaub nicht nur Krimis gelesen, sondern auch ein Buch vom Soziologen Steffen Mau, der tolle gesellschaftliche Analysen macht. Das inspiriert mich.

Wieso genau?

Ich möchte verstehen, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Wir bekommen von den Wählerinnen und Wählern in den letzten Jahren immer wieder Botschaften, die entschlüsselt werden müssen. Unsere Wahlanalysen helfen dabei, sie zu verstehen. Das ist auch für den anderen Teil meines Berufs wichtig, den des Programmdirektors.

Welche Botschaften sind das zum Beispiel?

Das ist die Botschaft an die Politik: "Ihr da oben versteht nicht, was in unserem Alltag los ist." Diese Botschaft bekommen wir seit über zwanzig Jahren. Dazu zählt auch die Enttäuschung, die sich zehn Jahre nach der Wende eingestellt hat, als sich viele persönliche Hoffnungen und Träume nicht erfüllten. Daraus zogen viele den Schluss: "Ich probiere jetzt einfach mal eine andere Partei aus". Das waren mal die Piraten, dann die WASG, die Linke profitierte ebenfalls davon, und jetzt ist es seit ein paar Jahren die AfD, und neuerdings das Bündnis Sahra Wagenknecht.

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Wie aufgeregt sind Sie vor den Wahlsendungen?

Ich bin gespannt, aber nicht aufgeregt. Ich habe keine Angst, dass etwas schiefgeht. Es gibt ein Team von Wissenschaftlern, Demoskopen und Journalisten, mit denen ich in der Sendung verbunden bin und mich austauschen kann. Wir haben einen Touchscreen, den ich so konzipiert habe, dass er meinem Denken entspricht. Das ist alles gut ausgearbeitet.

Aber?

Gespannt bin ich immer, ob wir die richtigen Antworten haben. Manchmal bin ich begeistert, weil wir genau richtig gefragt, analysiert und vermutet haben. Und manchmal stehen wir da und können zwar etwas erklären, aber ich habe das Gefühl, nicht alle Botschaften der Wähler entschlüsselt zu haben.


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Ich versuche immer die Person zu sein, die am skeptischsten gegenüber unseren eigenen Zahlen ist.


Jörg Schönenborn


Inwiefern stehen Sie unter Zeitdruck?

Ich muss immer sofort reagieren. Ich sehe oft beim Vorlesen Ergebnisse, die ich vorher noch nicht kannte. Wenn sich in der Hochrechnung etwas verschiebt, muss ich während des Sprechens überlegen, was es bedeutet. Dann haben wir auch oft im Wahlstudio die Situation, dass am Tisch ein Politiker oder eine Politikerin ist und wir uns spontan entscheiden zu konfrontieren: "Das, was Sie gesagt haben, sehen Wähler und Wählerinnen anders. Was sagen Sie dazu?" Von daher ist das immer ein sehr spontanes Reagieren. Das ist aber der Reiz von Livesendungen.

In Livesendungen können Fehler nicht einfach herausgeschnitten werden. Welche können Ihnen unterlaufen?

Der größte Fehler wäre, dass wir bei knappen Ergebnissen um 18.30 Uhr schon glauben, wir würden wissen, welche Partei am Ende vorne liegt. Da dürfen wir uns nicht täuschen lassen, müssen Skepsis und Zweifel bewahren. Ich versuche immer die Person zu sein, die am skeptischsten gegenüber unseren eigenen Zahlen ist. Im Zweifel muss ich sagen, lasst uns diesen Trend bitte erst noch mal prüfen und lieber so lange bei den alten Zahlen bleiben. Lieber keine Botschaft senden als eine, die wir später zurücknehmen müssen! Dieser Fehler ist uns durchaus schon mal unterlaufen, aber zum Glück ist das schon länger her.

Erinnern Sie sich an ein prominentes Beispiel?

2002, als Edmund Stoiber gegen Gerhard Schröder angetreten ist. Unser Fehler war, der Union im Verlauf der Hochrechnungen erst ein Mandat mehr zu geben und es dann wieder wegzunehmen, weil die Zahlen das gerade so hergaben. Es hat dazu geführt, dass Herr Stoiber einen Moment lang glaubte, er habe gewonnen. Im Rückblick hätten wir anders mit den Zahlen umgehen müssen.

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Beeinflussen Fehler das Vertrauen der Zuschauerinnen und Zuschauer?

Das Publikum findet es gut, wenn ich ehrlich sage, dass ich mich getäuscht habe, wir es anders erwartet oder nicht vermutet hätten. Fehler einzuräumen, gehört zur Glaubwürdigkeit. Bei einem Wahlabend entsteht das Bild nicht sofort, es wird Pinselstrich für Pinselstrich gezeichnet. Manchmal übertuscht man wieder eine Farbe, weil sich eine Vermutung nicht bestätigt. Das Publikum kann zuschauen, wie über den Abend ein politisches Bild entsteht. Und daraus entsteht das Vertrauen.

Erinnern Sie sich an Ihre allererste Wahlsendung?

Ja, das war in Bremen. Es war ein wahnsinnig heißer Tag. Unsere Kulisse war vor Fenstern Richtung Westen aufgebaut. Es war eine der heißesten Sendungen, die ich je gemacht habe. Politisch war sie nicht so spannend.

Wie aufgeregt waren Sie?

Ich war aufgeregt, weil ich sehr stolz war. Ich bin als Jugendlicher politisch sozialisiert worden, mich hat Politik damals schon als Zuschauer interessiert. Den Wahlabend habe ich immer schon ein bisschen als Hochamt gesehen. Ich war sehr stolz, das machen zu können, und habe auch versucht, entsprechend sorgfältig und vorsichtig zu sein.


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Es ist ein Geschenk, öffentlich wirken zu können.


Jörg Schönenborn


Wie sind Sie an den Job gekommen?

Ich bin nicht gefragt worden. Meine damalige Chefredakteurin war in einer Sitzung, in der plötzlich auf den Tisch kam, dass mein Vorgänger Uli Deppendorf einen neuen Job hat. Das hieß, er hatte am Wahlabend etwas anders zu tun. Meine Chefredakteurin kam also zurück und sagte, sie müsse spontan reagieren, und schlug mich vor. Doch hätte sie mich vorher gefragt, was ich gerne mal machen würde, hätte ich genau das gesagt.

Wie wichtig war der Schritt für Ihre Karriere?

Das war für mich persönlich sehr wichtig. Es ist ein Geschenk, öffentlich wirken zu können. Ich bin dadurch zu einem bekannten Fernsehgesicht geworden, aber muss eben der Verantwortung an diesem Platz an jedem Wahlabend gerecht werden.

Und ist es für Sie persönlich eine Bereicherung?

Für mich persönlich ist es ein lebenslanges Fortbildungsprogramm. Als Programmverantwortlicher habe ich sehr viel gelernt. Die Dinge, die wir erforscht haben, haben mich inhaltlich klüger gemacht. Mein Blick auf Politik wird auch jetzt in der Phase, in der wir gerade sind, bereichert. Insofern ist es ein doppeltes Geschenk.

Denken Sie daran, Ihre Aufgabe bei den Wahlsendungen abzugeben?

Bei jedem Menschen beginnt irgendwann ein neuer Lebensabschnitt, das steht bei mir jetzt zum Glück nicht an. Ich mache das seit 25 Jahren, und das ist für den WDR und die ARD auch Kapital. Denn das Vertrauen des Publikums entsteht durch Menschen, die jahrelang im Programm zu sehen sind. Und dass ich seit so langer Zeit dabei bin, erfüllt mich mit Stolz.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Jörg Schönenborn
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