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Helmut Newton: Umstrittener Starfotograf wäre 100 Jahre alt geworden


Sein Werk polarisierte
Umstrittener Starfotograf Helmut Newton wäre 100 geworden

t-online, dpa, Gerd Roth

26.10.2020Lesedauer: 5 Min.
Helmut Newton: Der Fotograf wäre am Samstag 100 Jahre alt geworden.Vergrößern des BildesHelmut Newton: Der Fotograf wäre am Samstag 100 Jahre alt geworden. (Quelle: imago images / teutopress)
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Seine Kunst polarisiert: Er wird international gefeiert und zeitgleich heftig kritisiert. Doch Helmut Newton zählt zu den wichtigsten Fotografen seiner Zeit. Vor 100 Jahren wird er in Berlin geboren.

"Mein Junge, du wirst in der Gosse enden", sagt ihm sein Vater in der Vorkriegszeit einst fälschlicherweise voraus. Stattdessen erlangte Newton, der unter dem Namen Helmut Neustädter geboren wurde, Ruhm und Anerkennung, aber auch massive Ablehnung. Er wurde zu einem der wichtigsten und einflussreichsten Fotografen seines Jahrhunderts. Am 31. Oktober 2020 wäre Newton 100 Jahre alt geworden.

Helmut Newton wollte schon immer Fotograf werden, auch wenn seinen Eltern, jüdischen Knopffabrikanten, dieser Wunsch gegen den Strich geht. Mit zwölf Jahren bekommt der in Berlin aufgewachsene Junge dennoch seine erste Kamera. Als Jugendlicher geht er in die Lehre bei der später von den Nazis ermordeten Else Ernestine Neuländer-Simon, die unter dem Namen Yva eine gefragte Modefotografin ist. 1938 muss ihr Atelier schließen, der 18-jährige Newton flieht am 5. Dezember desselben Jahres in Richtung Asien – mit zwei Kameras im Gepäck.

Australische Staatsbürgerschaft nach Krieg angenommen

In Singapur arbeitet er schließlich als Bildreporter für die "Singapore Straits Times" – zumindest zwei Wochen lang. Danach wird er wegen angeblicher Unfähigkeit wieder vor die Tür gesetzt. So zieht Newton weiter nach Australien, wo er fünf Jahre der Armee dient. Nach seiner Entlassung eröffnet er ein kleines Fotostudio in Melbourne und nimmt die australische Staatsbürgerschaft an.

Dort steht die als June Brunell agierende Schauspielerin June Browne für ihn Modell. Die beiden verlieben sich und heiraten 1948. Unter dem Pseudonym Alice Springs wird sie später selbst als Fotografin arbeiten. Vor allem aber bleibt June Newton das gemeinsame Leben lang eine kritische und inspirierende Begleiterin der fotografischen Entwicklung Helmut Newtons, wird wichtige Arbeiten und Ausstellungen als Gestalterin und Kuratorin entscheidend beeinflussen. June Newton ist heute 97 Jahre alt und lebt in Monte Carlo.

Helmut Newton beginnt 1956 seine Zusammenarbeit mit dem Modemagazin "Vogue". Zunächst nimmt ihn die britische Ausgabe der Zeitschrift unter Vertrag. 1961 ziehen June und Helmut Newton nach Paris in die Rue Aubriot im Marais. Newton arbeitet nun fest für die französische "Vogue", für die er 25 Jahre lang die wichtigsten Modeaufnahmen machen wird. Hinzu kommen zahlreiche andere Projekte.

"Ich bin ein professioneller Voyeur"

Newtons Arbeiten bewegen sich in einer Welt von Geldadel und Jetset zwischen Glamour und Schmuck. "Ich bin ein professioneller Voyeur", sagt der Fotograf in Gero von Boehms Film "Helmut Newton – The Bad and the Beautiful", der dieses Jahr im Juli erschien. Zuschauerinnen und Zuschauer entdecken in der Dokumentation vor allem eines: ganz viel nackte Haut. Wie auf Newtons Fotografien eben. "Was die Leute sagen, wenn es ihnen nicht gefällt, ist mir vollkommen schnuppe, solange es mir gefällt. Das ist die Hauptsache", findet der Künstler. Mehrere Frauen, die sich von Newton ablichten ließen, äußern sich anerkennend.

Doch die Mode- und Aktfotografien bringen Newton auch die Gegnerschaft vieler feministischer Gruppierungen ein. US-Autorin Susan Sonntag wirft Newton in einer Fernsehdiskussion "ungeheuerliche Fantasien" vor. Eine entsprechende Bemerkung Newtons kontert sie: "Viele frauenfeindliche Männer sagen, dass sie die Frauen lieben." Auch in Deutschland stoßen Newtons Arbeiten auf Widerstand. Alice Schwarzer verurteilt die Fotos als nicht nur "sexistisch und rassistisch, sondern auch faschistisch". Ihre Analyse: "Das Phänomen Newton wäre nicht denkbar ohne die Frauenbewegung. Er liefert einer verunsicherten, irritierten Männerwelt den neu geschärften Blick auf die erstarkenden Frauen", schreibt die "Emma"-Chefin. "Eine schwache Frau unterwerfen – wie uninteressant. Eine starke Frau brechen – echt scharf."

"Spiegel für die Gesellschaft, weil sie sexistisch ist"

Schauspielerin Isabella Rossellini, die vor Newtons Kamera posierte, sagt: "Helmut war nicht einfach ein Macho, es war komplizierter. Er sieht Frauen als Sexobjekte, als anziehend und gleichzeitig hegt er auch einen Groll gegen sie. Aber er hat diese Kultur repräsentiert." Model Nadja Auermann wertet Newtons Arbeit in von Boehms Film als "Spiegel für die Gesellschaft, weil die Gesellschaft sexistisch ist". Sie ist ebenfalls auf seinen Bildern zu sehen.

Newton selbst sagt in seinem ersten Bildband "White Women" 1976: "Ich fotografiere gern Frauen, denen man ansieht, dass sie etwas vom Leben wissen." In einem Brief an seinen Freund José Alvarez schreibt er kategorisch: "Intellektuelle Diskussionen über meine Arbeit werde ich nicht führen."

Für Françoise Marquet, Gründerin der Fotografischen Abteilung des Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris, besteht Newtons Beitrag zur Geschichte der Fotografie "nicht nur in der Provokation". Er lasse Frauen neu sichtbar werden als "eine eigenverantwortliche, zur Lust fähige Frau". Weiter erklärt Marquet: "In Vorwegnahme der selbstbestimmten Sexualität sind die Frauen in Newtons Welt begehrende Subjekte, weit entfernt von der schwachen Frau als Objekt, das von starken, frauenverachtenden, machohaften Männern dominiert wird."

"Big Nudes"

Wie die "Big Nudes". Die Aufnahmen überlebensgroßer Frauen in martialischer Nacktheit gelten als fotografische Ikonen. Sie sind wohl die bekanntesten Bilder Newtons, ebenso bewundert wie umstritten, oft zitiert, mitunter persifliert. Inspiriert sind die "Big Nudes" durch einen Artikel über eine Spezialeinheit im Kampf gegen die Bader-Meinhof-Gruppe, Vorläufer der terroristischen RAF. "In den Diensträumen dieser Anti-Terror-Einheit hingen Fahndungsfotos, die die Verdächtigen vom Scheitel bis zur Sohle und in Lebensgröße zeigten", erinnert sich Newton im Katalog "Helmut Newton. Work" zur Berliner Ausstellung im Jahr 2000. "Bevor sie zu den 'Big Nudes' wurde, trug die Aktserie lange Zeit den Arbeitstitel 'The Terrorists'."

Neben seinen Modeaufnahmen und den Aktfotografien sind Newtons Porträts bekannt. Oft mit kleinen Ausschnitten, scheinbar ohne viel Aufwand geschossen. "Ich fotografiere die Menschen, die ich liebe und verehre – die Berühmten und besonders die Berüchtigten." Dazu zählen etwa Gerhard Schröder, Phillipe Starck, Leni Riefenstahl, Jean-Marie Le Pen, Faye Dunaway, Catherine Deneuve, Madonna oder Claudia Schiffer.

Fotos kurz nach einer Operation

Immer wieder porträtierten sich June und Helmut Newton selbst und gegenseitig. Auch dies häufig nackt oder in eher untypischen, unangenehmen Situationen: etwa im Krankenhaus, mit Schläuchen behangen oder mit frisch vernähten Operationswunden. Tabus sind Newton fremd.

Nach Berlin kehrt Newton regelmäßig zurück. Deutschland an sich habe er nie vermisst, den Ort seiner Geburt schon. 2003 vermacht er der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der Hauptstadt sein Werk, seine im selben Jahr gegründete Newton-Stiftung bespielt damit seit 2004 das Fotomuseum. "Ich bin stolz und glücklich, dass meine Fotos in meine Heimatstadt kommen, nicht nur die Nackten, auch alle anderen." Inzwischen zeigte das Museum mehr als 50 Ausstellungen.

Am 23. Januar 2004 stirbt der Luxusliebhaber bei einem Unfall mit seinem silberfarbenen Cadillac. Newton wird in einem Ehrengrab in seiner Geburtsstadt beigesetzt. Zum runden Geburtstag wird er mit der frei zugänglichen Ausstellung "Helmut Newton One Hundred" wieder sehr sichtbar in Berlin. Im ganzen Stadtgebiet sollen Motive hängen, hinzu kommt eine 85 Meter lange Wand am Kraftwerk in Kreuzberg, die großformatige Arbeiten zeigt. Nicht dabei: nackte Frauen. Die Organisatoren wollen keine Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
  • eigene Recherchen
  • Gero von Boehm: "Helmut Newton – The Bad and the Beautiful"
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