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Schweizer "Tatort" im Faktencheck: Darf man für Hilfe Geld verlangen?


Der "Tatort"-Faktencheck
Darf man für Hilfe Geld verlangen?

Von Barbara Schaefer

Aktualisiert am 06.08.2018Lesedauer: 6 Min.
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Undurchsichtig: Führt Franky Loving (Andri Schenardi) nur durch den Abend, oder mehr im Schilde? Die Pianistin Elena Princip (Uygar Tamer) muss sich das auch fragen.Vergrößern des Bildes
Undurchsichtig: Führt Franky Loving (Andri Schenardi) nur durch den Abend, oder mehr im Schilde? Die Pianistin Elena Princip (Uygar Tamer) muss sich das auch fragen. (Quelle: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler)

Während eines Konzertes jüdischer Musiker wird ein Klarinettist vergiftet, Wunden reißen auf, eine alte Rechnung soll beglichen werden – und die Kamera ist immer mittendrin. Im Zentrum steht ein alter, reicher Mann, Sponsor des jüdischen Orchesters, Judenretter – aber vielleicht doch kein selbstlos guter Mensch.

Bei diesem herausragenden Schweizer "Tatort" kann man etwas lernen, und das ist nicht das Schlechteste für Fernsehunterhaltung. Verhandelt werden die Hintergründe der Bergier-Kommission, und davon hat man noch nicht oft etwas gehört. Die Kommission untersuchte 1999, ob die Schweiz während der NS-Zeit für Flüchtlinge zusätzliche Hürden schaffte und somit Mitschuld trägt am Tod der Menschen, die an der Grenze abgewiesen wurden. Der Abschlussbericht hält fest, die Schweiz habe "Menschen in höchster Lebensgefahr" die Hilfe verweigert. Zwar hat die Schweiz vielen Menschen Asyl gewährt, doch mindestens 24.500 Flüchtlinge wurden abgewiesen.

Hier traten sogenannte "Intermediäre" auf, für viel Geld verhalfen sie Juden zu Visa, Aufenthaltsgenehmigungen und falschen "arischen" Pässen, sodass sie mit Fluchthelfern entkommen konnten. Die Intermediäre kassierten 30 Prozent Provision. Nie explizit erwähnt wird die Parallele zum Heute, dass es Geschäftsleute gibt, die mit der Flucht von Menschen Geld machen. Aber der Zuschauer hat die aktuelle Situation immer vor Augen.

Im Luzerner "Tatort" soll nun der Mäzen Walter Loving (Hans Hollmann als selbstgerechter Patriarch) so ein Intermediär gewesen sein. Er lädt zu einem Benefizkonzert, "10.000 Stutz" kostet die Karte, das argentinische "Jewish Chamber Orchestra" wird in Jean Nouvels Konzertbau "KKL" Musik von jüdischen Komponisten spielen, die Opfer der NS-Vernichtungspolitik geworden waren. Doch die Pianistin und ihr Bruder planen, an diesem Abend von Lovings Vergangenheit zu erzählen. Dann wird der Bruder durch Kontaktgift an seiner Klarinette vergiftet.

Herausragend ist dieser "Tatort" nicht nur als Geschichtsstunde (Drehbuch: Dani Levy, "Alles auf Zucker"), sondern auch durch seine Machart. Regisseur Dani Levy hat ihn in nur einer Einstellung inszeniert. Wie ein Theaterstück wurde durchgespielt, ein geschlossenes Drama als Einheit von Zeit, Handlung und Raum. Durch den Abend – und die Kamera (die großartig: Filip Zumbrunn) – führt der Sohn Franky Loving (Andri Schenardi) als maliziöser Conferencier. Und dann führt er doch alle an der Nase herum, trotz seiner launigen Worte.

Das One-Shot-Verfahren war gewagt, ein "Tatort" dauert immer genau 88 Minuten. Das Wagnis ist gelungen, die wilde Kamerafahrt zieht einen mitten rein, passend hektisch wird es bei den Notarzteinsätzen der Vergifteten, mitsamt Luftröhrenschnitt und Defi, man stolpert den Kommissaren Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) hinterher, die hier nur Nebenrollen spielen.

Tatsächlich auf der Bühne sitzt das "Jüdische Kammerorchester München", als die Pianistin schließlich in Form eines Gedichtes Namen verliest von Menschen, die viel Geld bezahlt haben, und dennoch in den Konzentrationslagern umkamen. Loving bekennt sich schuldig, ja, er habe 30 Prozent Provision erhalten, und ja, er habe nicht alle Menschen retten können: "Das Leben ist nicht nur Erfolg; Scheitern und Erfolg sind Geschwister."

Ist das Zynismus, Hybris – oder hat er recht? Schwierige moralische Fragen – t-online.de macht den Faktencheck.

Faktencheck:

Fragen an Martin Kaluza, Berlin, Journalist und promovierter Philosoph:

t-online.de: Martin Kaluza, ein Mann rettet Leben, aber die Hintergründe sind düster. Was ist, unter philosophischen Gesichtspunkten, eine gute Tat?

Martin Kaluza: Düstere Handlungsgründe sind philosophisch gesehen nie ein gutes Zeichen. Immanuel Kant zum Beispiel war da sehr streng: Ob eine Tat gut ist, hängt von der Absicht ab. Nur der gute Wille zählt: Helfe ich jemandem aus gutem Willen, ist die Tat gut. Helfe ich jemandem, weil er mir sympathisch ist, mag das für den Betroffenen die gleichen Folgen haben, aber es kann keine gute Tat sein. Das Gleiche gilt für düstere Hintergründe. Man kann das für überspitzt halten – aber ich denke, die gute Absicht ist für viele auch heute noch ein wichtiges Kriterium.

Bleibt eine gute Tat eine solche, wenn Geld verlangt wird?

Eine Tat wird zur guten Tat, weil sie auf das Wohl einer bestimmten Person oder Gruppe zielt. Wenn für die gleiche Handlung Geld genommen wird, ist das Wohl der Person an eine Bedingung geknüpft – an die Bezahlung. Die Hilfe ist in diesem Fall Mittel zu einem anderen Zweck, dem Geschäftemachen. Damit fällt sie nicht mehr in die Kategorie "gute Tat". Aber das muss nicht grundsätzlich falsch sein. Es gibt faire und unfaire Geschäfte. Und aus moralischen Gründen sind faire Geschäfte unfairen sicher vorzuziehen.

Gibt es also so etwas wie das Falsche im Richtigen?

Jein. Worum geht es denn genau?

Im Schweizer "Tatort" steht ein alter reicher Mann im Mittelpunkt. Während der Nazizeit hat er als Intermediär Flüchtlinge an Fluchthelfer vermittelt, und dafür viel Geld kassiert. Wie ist dies zu sehen?

Vielleicht hilft ein anderes Beispiel, einen Überblick zu bekommen: Angenommen, ich wandere bei großer Hitze durch den Grand Canyon, habe aber zu wenig Trinkwasser eingepackt. Mit letzter Kraft erreiche ich einen Kiosk, in dem sich Wasserflaschen stapeln. Wenn der Kioskbesitzer mir Wasser schenkt, hat er mich mit einer guten Tat gerettet. Wenn er mir Wasser zu einem fairen Preis verkauft, den ich mir leisten kann, ist das keine gute Tat im engeren Sinne. Aber wir sind ein faires Geschäft eingegangen, und es hat mir das Leben gerettet.

Und wann kippt es?

Wenn er das Wasser nur unter der Bedingung herausrückt, dass ich ihm mein Haus überschreibe, hat er mich erpresst, um sich an mir zu bereichern. Das ist der Unterschied zwischen moralisch motivierter, kommerzieller und krimineller Hilfe. Aus aktuellem Anlass sei ergänzt: Wenn seine Regierung ihm bei Strafe verbietet, mir überhaupt Wasser zu geben, weil mein Verdurstungstod als abschreckendes Beispiel für andere dienen soll, ist seine Regierung moralisch komplett aus dem Ruder gelaufen.

Die Schweiz hat zwar Asyl gewährt, doch an der Grenze wurden mindestens 24.500 Flüchtlinge abgewiesen. Daher die Frage: Lag – und liegt – die Schuld am organisierten Schlepperwesen nicht nur bei den Helfern, die Geld verdienen, sondern auch oder vorrangig bei Staaten, die ihre Grenzen verschließen und damit das Schlepperwesen überhaupt erst ermöglichen?

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Dadurch, dass sie ihre Grenzen verschließen, schaffen Staaten erst den Markt für die Dienstleistungen der Schlepper. Und sie tun das in dem Wissen, dass sie Menschen in die Hände von Schleppern treiben, in Gefahr bringen oder ihrem Schicksal überlassen. Aber die Hauptschuld am damaligen Schlepperwesen tragen natürlich die Nazis, vor denen Menschen flüchten mussten.

Und auf heute bezogen?

In der aktuellen Fluchtdebatte ist die Frage nach den Hauptverantwortlichen komplexer: Menschen in aller Welt flüchten vor Bürgerkrieg und durch Korruption ruinierter Wirtschaft, vor Regierungstruppen und Drogenguerillas, vor religiösen Konflikten und kriminellem Raubbau an der Natur. Das alles soll die Schlepper aber nicht von Schuld freisprechen – insbesondere nicht diejenigen, die ihre Kunden in überladenen Booten allein lassen und bewusst in Lebensgefahr bringen.

Ist "Schuld" eine moralische, philosophische oder doch nur eine juristische Kategorie?

Alles drei.

Am Ende bekennt sich der Alte schuldig, und weist dennoch die Schuld von sich. Ja, er habe Geld bekommen, 30 Prozent des Geldes waren seine Provision. Aber er habe nicht alle retten können. Das Leben sei nicht nur Erfolg, "Scheitern und Erfolg sind Geschwister." Ist das Hybris, oder hat er recht?

Zu 30 Prozent Hybris.

Ist es überhaupt legitim, solche Fragen zu stellen?

Die Geschichte der Philosophie hat gezeigt, dass man solche Fragen 4.000 Jahre lang immer wieder stellen kann. Und man muss es auch: Denn so bleiben wir als Gesellschaft darüber im Gespräch, was richtig ist und was falsch.

Und was hat die Gesellschaft davon?

Wir vergewissern uns unserer Werte immer wieder aufs Neue und wenden sie auf immer neue Situationen an. Allerdings sollte man diese Fragen nicht als politische Waffe einsetzen, um der Provokation willen. Die Philosophie ist nämlich in einem Punkt vorbildlich: Bei ihr geht es um redliche Argumentation, um die Macht der guten Begründung. Rhetorik allerdings – also das zur Kunstform erhobene Abbügeln der Position des Gegners mit allen Mitteln – ist das Gegenteil von Philosophie.

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