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Verherrlicht Netflix-Hit "365 Days" sexuelle Erniedrigung?


Netflix-Produktion
Wirbel um Erotikfilm – verherrlicht "365 Days" Vergewaltigung?

  • Steven Sowa
Von Steven Sowa

Aktualisiert am 16.06.2020Lesedauer: 4 Min.
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"365 Days" zeichnet ein fragwürdiges Frauen- und Männerbild: Doch aus den Netflix-Charts ist der Film momentan nicht wegzudenken.Vergrößern des Bildes
"365 Days" zeichnet ein fragwürdiges Frauen- und Männerbild: Doch aus den Netflix-Charts ist der Film momentan nicht wegzudenken. (Quelle: Netflix/Screenshot)

Ein polnischer Softporno auf Netflix sorgt für Diskussionsstoff. "365 Days" erzählt die Geschichte eines Mafiabosses, der eine Frau gefangen nimmt und sie sexuell gefügig macht.

"Ihre Beziehung lässt ihr kaum Luft zum Atmen. Wird ihre Leidenschaft als Gefangene eines anderen Mannes neu entflammt?" heißt es auf Netflix im Beschreibungstext zum Film. Doch "365 Days" ist weniger ein Film über die verlorene "Leidenschaft" einer Frau, sondern vielmehr ein Werk über die sexuelle Erniedrigung durch einen Mann – so lautet der Tenor der Kritik in den sozialen Medien und bei den Kritikern.

Darum geht es: Die junge Warschauerin Laura ist beruflich unglücklich und in ihrer Beziehung gelangweilt. Dem sizilianischen Mafia-Macho Massimo geht es ähnlich, mit dem Unterschied, dass er es ständig mit offenbar willfährigen, sexuellen Spielpartnerinnen treibt. Als er Laura trifft, sperrt er sie ein und "gewährt" ihr 365 Tage, um sich in ihn zu verlieben. Keine Überraschung: Das dauert kein ganzes Jahr.

Klingt wie das Drehbuch eines Softpornos? Tatsächlich mutet "365 Days" wie ein inhaltsleeres Sexfilmchen an – wenngleich Netflix ihn im Genre "Romantische Filme" aufführt und Wikipedia ihm das Prädikat "Drama" anheftet.

Auf Twitter gibt es für den Film viel Häme. "Schlechtester Film, den ich je gesehen habe", meint ein User und ein anderer schreibt: "Ich habe nicht mal die Hälfte angeschaut, weil es so schlecht war." Doch neben der Qualitätskritik ist es vor allem der Vorwurf, der Film beschwöre Vergewaltigungsfantasien und feiere die sexuelle Erniedrigung als Teil der Dramaturgie.

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Das Machwerk "fantasiere von Vergewaltigung" und über "Menschenhandel". Eine andere Userin fragt, wo eigentlich "der Film in dem Porno" geblieben sei.

Sexuelle Unterwürfigkeit für einen dominanten Mann

Tatsächlich wird die Figur des Massimo als ein Vollblut-Macho inszeniert, der sich auf Frauen stürzt wie ein Raubtier. In einer seiner ersten Szenen des Films hat er Oralverkehr in einem Flugzeug, währenddessen offenbar nur er selbst Freude empfindet. Anschließend wird die Frau, derer er sich fast beiläufig ermächtigt hat, selig lächelnd, aber mit tränenverschmiertem Gesicht gezeigt. Dass sich Zuschauer daran stören, dürfte wenig überraschend sein.

Auch als er Laura begegnet, ist er der dominante Aktivposten, sie die gefügige Assistentin. Dass sie entführt wurde, scheint sie nicht zu stören. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Stockholm-Syndrom? Die Dialoge sprechen eine andere Sprache. Da raunt Massimo seiner Gefangenen Laura zu Beginn zu: "Ich tue nichts ohne deine Erlaubnis." Wenige Filmszenen später fesselt er sie im Flugzeug an einen Sitz und begrapscht sie im Intimbereich. Nur um dann mit dem Nachsatz von ihr abzulassen: "Erst wenn du darum bettelst."

Anna-Maria Sieklucka und Michele Morrone spielen die Hauptrollen. Der Film startete bereits am 7. Februar 2020 in polnischen Kinos und seit dem 7. Juni steht er bei Netflix zum Abruf bereit. Freigegeben ist er ab 16 Jahren – doch Kritik wird daran nicht ob der vielen expliziten Szenen laut, sondern vor allem wegen seines sehr fragwürdigen Frauen- und Männerbildes.

Als er sie eines Tages in sein Schlafzimmer einsperrt und sie "ich will hier raus, mach die Tür auf" schreit, antwortet er nur mit den Worten: "Ich werde mit dir machen, was ich will" und "Ich habe absolut uneingeschränkten Zugriff auf deinen Körper". Das sind noch die harmloseren Sätze aus dem Drehbuch von Barbara Białowąs und Tomasz Mandes, aber sie sagen viel über den Umgang mit dem Stoff aus.

Auf der Bewertungsplattform metacritics.com finden sich zum jetzigen Zeitpunkt lediglich zwei Kritiken – beide sind verheerend. Die US-Seite "Movie Nation" schreibt "365 Days" sei ein "wahnsinnig alberner Softcore-Film". Weiter geht "Variety" in der Bewertung: "durch und durch schrecklich" sei der Film und "politisch verwerflich". Ein User auf der Plattform meint: "Dieser Film stiftet zu sexueller Gewalt an".

Warum hält sich der Film in der Top-Ten von Netflix?

Doch obwohl sich die Kritiker über die miese Machart des Films einig sind, hält sich "365 Days" seit Wochen in den Netflix-Charts. Der Algorithmus spült den Film regelmäßig in die Top-Ten und zeigt: die Massen lassen sich von der scheinbar harmlosen erotischen Anmutung einfangen. Dass die Massenkompatibilität dabei nicht automatisch ein Zeichen dafür ist, dass der Film den Zuschauern auch gefällt, steht auf einem anderen Blatt. Netflix zählt alle Werke, die wenige Minuten angeschaut wurden. Es geht um das Abspielen – umso öfter "365 Days" geklickt wird, desto weiter rutscht er im Ranking hoch.

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Dennoch könnte es auch für den Streamingdienst ein Problem werden, die Top-Ten-Platzierung lediglich dem Algorithmus zu überlassen. Fragwürdige Werke mit gefährlichen Botschaften und einem haarsträubenden Gesellschaftsbild davon, wie Männer mit Frauen umgehen, wird auch Netflix vermutlich nicht gerne als Aushängeschild im Schaufenster zu stehen haben. "Sex sells", der altbekannte Einwurf, nackte Haut und erotische Abenteuer würden immer funktionieren, greift nur an der Oberfläche – auch "Fifty Shades of Grey" bespielte das Motiv, ein reicher Typ könne eine Frau mit SM-Praktiken gefügig machen und war damit erfolgreich. Richtig ist: Der Film wird haufenweise angeschaut. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle, die "365 Days" sehen, mit den Inhalten einverstanden sind – anders sind die Kommentare in den sozialen Medien kaum zu erklären.

Spätestens nach #MeToo und den Millionen Frauen, die strukturellen Sexismus und sexuelle Übergriffe überall auf dem Globus angeprangert haben, stellt sich die Frage, ob ein Streamingdienst mit über 170 Millionen Abonnenten weltweit nicht darüber nachdenken sollte, welchen Produkten man via Algorithmus eine Bühne bereitet und welchen nicht.

Verwendete Quellen
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